Fünfundzwanzigstes Kapitel
Die moderne Kolonisationstheorie 253)
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Die politische Ökonomie verwechselt prinzipiell zwei sehr verschiedne Sorten Privateigentum, wovon das eine auf eigner Arbeit des Produzenten beruht, das andre auf der Ausbeutung fremder Arbeit. Sie vergißt, daß das letztre nicht nur den direkten Gegensatz des erstren bildet, sondern auch bloß auf seinem Grab wächst.
Im Westen von Europa, dem Heimatsland der politischen Ökonomie, ist der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation mehr oder minder vollbracht. Das kapitalistische Regiment hat hier entweder die ganze nationale Produktion sich direkt unterworfen, oder, wo die Verhältnisse noch unentwickelter, kontrolliert es wenigstens indirekt die neben ihm fortexistierenden, verkommenen, der veralteten Produktionsweise angehörigen Gesellschaftsschichten. Auf diese fertige Welt des Kapitals wendet der politische Ökonom mit desto ängstlicherem Eifer und desto größerer Salbung die Rechts- und Eigentumsvorstellungen der vorkapitalistischen Welt an, je lauter die Tatsachen seiner Ideologie ins Gesicht schreien.
Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stößt dort überall auf das Hindernis des Produzenten, welcher als Besitzer seiner eignen Arbeitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den Kapitalisten. Der Widerspruch dieser zwei diametral entgegengesetzten ökonomischen Systeme betätigt sich hier praktisch in ihrem Kampf. Wo der Kapitalist die Macht des Mutterlandes im Rücken hat, sucht er die auf eigner Arbeit beruhende Produktions- und Aneignungsweise gewaltsam aus dem Weg zu räumen. Dasselbe Interesse, welches den Sykophanten des Kapitals, den politischen Ökonomen, im Mutterland bestimmt, die kapitalistische Produktionsweise theoretisch für ihr eignes Gegenteil zu erklären, dasselbe Interesse treibt ihn hier "to make a clean breast of it" und den Gegensatz beider Produktionsweisen laut zu proklamieren. Zu diesem Behuf weist er nach, wie die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, Kooperation, Arbeitsteilung, Anwendung der Maschinerie im großen usw. unmöglich sind ohne die Expropriation der Arbeiter und die entsprechende Verwandlung ihrer Produktionsmittel in Kapital. Im Interesse des sog. Nationalreichtums sucht er nach Kunstmitteln zur Herstellung der Volksarmut. Sein apologetischer Panzer zerbröckelt hier Stück für Stück wie mürber Zunder.
Es ist das große Verdienst E. G. Wakefields, nicht irgend etwas Neues über die Kolonien 254), aber in den Kolonien die Wahrheit über die kapitalistischen Verhältnisse des Mutterlands entdeckt zu haben. Wie das Protektionssystem in seinen Ursprüngen 255) die Fabrikation von Kapitalisten im Mutterland, so erstrebt Wakefields Kolonisationstheorie, welche England eine Zeitlang gesetzlich ins Werk zu setzen suchte, die Fabrikation von Lohnarbeitern in den Kolonien. Das nennt er "systematic colonization" (systematische Kolonisation).
Zunächst entdeckte Wakefield in den Kolonien, daß das Eigentum an Geld, Lebensmitteln, Maschinen und andren Produktionsmitteln einen Menschen noch nicht zum Kapitalisten stempelt, wenn die Ergänzung fehlt, der Lohnarbeiter, der andre Mensch, der sich selbst freiwillig zu verkaufen gezwungen ist. Er entdeckte, daß das Kapital nicht eine Sache ist, sondern ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.256) Herr Peel, jammert er uns vor, nahm Lebensmittel und Produktionsmittel zum Belauf von 50.000 Pfd. St. aus England nach dem Swan River, Neuholland, mit. Herr Peel war so vorsichtig, außerdem 3.000 Personen der arbeitenden Klasse, Männer, Weiber und Kinder mitzubringen. Einmal am Bestimmungsplatz angelangt, "blieb Herr Peel, ohne einen Diener, sein Bett zu machen oder ihm Wasser aus dem Fluß zu schöpfen"257). Unglücklicher Herr Peel, der alles vorsah, nur nicht den Export der englischen Produktionsverhältnisse nach dem Swan River!
Zum Verständnis der folgenden Entdeckungen Wakefields zwei Vorbemerkungen. Man weiß: Produktions- und Lebensmittel, als Eigentum des unmittelbaren Produzenten, sind kein Kapital. Sie werden Kapital nur unter Bedingungen, worin sie zugleich als Exploitations- und Beherrschungsmittel des Arbeiters dienen. Diese ihre kapitalistische Seele ist aber im Kopfe des politischen Ökonomen so innig mit ihrer stofflichen Substanz vermählt, daß er sie unter allen Umständen Kapital tauft, auch wo sie das grade Gegenteil sind. So bei Wakefield. Ferner: die Zersplitterung der Produktionsmittel als individuelles Eigentum vieler voneinander unabhängigen, selbstwirtschaftenden Arbeiter nennt er gleiche Teilung des Kapitals. Es geht dem politischen Ökonomen wie dem feudalen Juristen. Letzterer klebte auch auf reine Geldverhältnisse seine feudalen Rechtsetiketten.
"Wäre", sagt Wakefield, "das Kapital unter alle Mitglieder der Gesellschaft in gleiche Portionen verteilt, so hätte kein Mensch ein Interesse, mehr Kapital zu akkumulieren, als er mit seinen eignen Händen anwenden kann. Dies ist in gewissem Grad der Fall in neuen amerikanischen Kolonien, wo die Leidenschaft für Grundeigentum die Existenz einer Klasse von Lohnarbeitern verhindert."258)
Solange also der Arbeiter für sich selbst akkumulieren kann, und das kann er, solange er Eigentümer seiner Produktionsmittel bleibt, ist die kapitalistische Akkumulation und die kapitalistische Produktionsweise unmöglich. Die dazu unentbehrliche Klasse der Lohnarbeiter fehlt. Wie wurde nun im alten Europa die Expropriation des Arbeiters von seinen Arbeitsbedingungen, daher Kapital und Lehnarbeit, hergestellt? Durch einen contrat social ganz origineller Art.
"Die Menschheit ... adoptierte eine einfache Methode zur Förderung der Akkumulation des Kapitals", die ihr natürlich seit Adams Zeiten als letzter und einziger Zweck ihres Daseins vorschwebte; "sie teilte sich in Eigner von Kapital und Eigner von Arbeit ... diese Teilung war das Resultat freiwilliger Verständigung und Kombination."259)
Mit einem Wort: die Masse der Menschheit expropriierte sich selbst zu Ehren der "Akkumulation des Kapitals". Nun sollte man glauben, der Instinkt dieses selbstentsagenden Fanatismus müsse sich namentlich in Kolonien den Zügel frei schießen lassen, wo allein Menschen und Umstände existieren, welche einen contrat social aus dem Traumreich in das der Wirklichkeit übersetzen könnten. Aber wozu dann überhaupt die "systematische Kolonisation" im Gegensatz zur naturwüchsigen Kolonisation? Aber, aber:
"in den nördlichen Staaten der amerikanischen Union ist es zweifelhaft, ob ein Zehntel der Bevölkerung der Kategorie der Lohnarbeiter angehört ... In England ... besteht die große Volksmasse aus Lohnarbeitern."260)
Ja, der Selbstexpropriationstrieb der arbeitenden Menschheit zu Ehren des Kapitals existiert so wenig, daß Sklaverei, selbst nach Wakefield, die einzige naturwüchsige Grundlage des Kolonialreichtums ist. Seine systematische Kolonisation ist ein bloßes pis aller [ein Notbehelf], da er nun einmal mit Freien statt mit Sklaven zu tun hat.
"Die ersten spanischen Ansiedler in Santo Domingo erhielten keine Arbeiter aus Spanien. Aber ohne Arbeiter" (d.h. ohne Sklaverei) "wäre des Kapital kaputt gegangen oder wenigstens auf die kleinen Massen zusammengeschrumpft, worin jedes Individuum es mit seinen eignen Händen anwenden kann. Dies fand wirklich statt in der letzten von den Engländern gegründeten Kolonie, wo ein großes Kapital in Samen, Vieh und Instrumenten unterging am Mangel von Lohnarbeitern und wo kein Ansiedler viel mehr Kapital besitzt, als er mit seinen eignen Händen anwenden kann."261)
Man sah: die Expropriation der Volksmasse von Grund und Boden bildet die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. Das Wesen einer freien Kolonie besteht umgekehrt darin, daß die Masse des Bodens noch Volkseigentum ist und jeder Ansiedler daher einen Teil davon in sein Privateigentum und individuelles Produktionsmittel verwandeln kann, ohne den spätren Ansiedler an derselben Operation zu verhindern.262) Dies ist das Geheimnis sowohl der Blüte der Kolonien als ihres Krebsschadens - ihres Widerstands wider die Ansiedlung des Kapitals.
"Wo Land sehr wohlfeil ist und alle Menschen frei sind, wo jeder nach Wunsch ein Stück Land für sich selbst erhalten kann, ist Arbeit nicht nur sehr teuer, was den Anteil des Arbeiters an seinem Produkt angeht, sondern die Schwierigkeit ist, kombinierte Arbeit zu irgendeinem Preis zu erhalten."263)
Da in den Kolonien die Scheidung des Arbeiters von den Arbeitsbedingungen und ihrer Wurzel, dem Grund und Boden, noch nicht existiert oder nur sporadisch oder auf zu beschränktem Spielraum, existiert auch noch nicht die Losscheidung der Agrikultur von der Industrie, noch nicht die Vernichtung der ländlich häuslichen Industrie, und wo soll da der innere Markt für das Kapital herkommen?
"Kein Teil der Bevölkerung Amerikas ist ausschließlich agrikol, mit Ausnahme der Sklaven und ihrer Anwender, die Kapital und Arbeit für große Werke kombinieren. Freie Amerikaner, die den Boden selbst bauen, treiben zugleich viele andre Beschäftigungen. Ein Teil der von ihnen gebrauchten Möbel und Werkzeuge wird gewöhnlich von ihnen selbst gemacht. Sie bauen häufig ihre eignen Häuser und bringen das Produkt ihrer eignen Industrie zu noch so fernem Markt. Sie sind Spinner und Weber, sie fabrizieren Seife und Kerzen, Schuhe und Kleider für ihren eignen Gebrauch. In Amerika bildet der Landbau oft das Nebengeschäft eines Grobschmieds, Müllers oder Krämers."264)
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