21. Einfache Reproduktion

 

Früher machte das Kapital, wo es ihm nötig schien, sein Eigentumsrecht auf den freien Arbeiter durch Zwangsgesetz geltend. So war z.B. die Emigration der Maschinenarbeiter in England bis 1815 bei schwerer Strafe verboten.

Die Reproduktion der Arbeiterklasse schließt zugleich die Überlieferung und Häufung des Geschicks von einer Generation zur andren ein.12) Wie sehr der Kapitalist das Dasein einer solchen geschickten Arbeiterklasse unter die ihm zugehörigen Produktionsbedingungen zählt, sie in der Tat als die reale Existenz seines variablen Kapitals betrachtet, zeigt sich, sobald eine Krise deren Verlust androht. Infolge des Amerikanischen Bürgerkriegs und der ihn begleitenden Baumwollnot wurde bekanntlich die Mehrzahl der Baumwollarbeiter in Lancashire usw. aufs Pflaster geworfen. Aus dem Schoß der Arbeiterklasse selbst, wie andrer Gesellschaftsschichten, erhob sich der Ruf nach Staatsunterstützung oder freiwilliger Nationalkollekte, um die Emigration der "Überflüssigen" in englische Kolonien oder die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Damals veröffentlichte die "Times" (24. März 1863) einen Brief von Edmund Potter, früher Präsident der Manchester Handelskammer. Sein Brief ward mit Recht im Unterhaus als "das Manifest der Fabrikanten" bezeichnet.13) Wir geben hier einige charakteristische Stellen, worin der Eigentumstitel des Kapitals auf die Arbeitskraft unverblümt ausgesprochen wird.

"Den Baumwollarbeitern mag gesagt werden, daß ihre Zufuhr zu groß ist ... sie müsse vielleicht um ein Dritteil reduziert werden, und dann würde eine gesunde Nachfrage für die übrigen zwei Dritteile eintreten ... Die öffentliche Meinung dringt auf Emigration ... Der Meister" (d.h. der Baumwollfabrikant) "kann nicht willig seine Arbeitszufuhr entfernt sehn; er mag denken, daß das ebenso ungerecht als unrichtig ist ... Wenn die Emigration aus öffentlichen Fonds unterstützt wird, hat er ein Recht, Gehör zu verlangen und vielleicht zu protestieren."

Selbiger Potter setzt dann weiter auseinander, wie nützlich die Baumwollindustrie, wie "sie unzweifelhaft die Bevölkerung aus Irland und den englischen Agrikulturdistrikten wegdrainiert hat", wie ungeheuer ihr Umfang, wie sie im Jahr 1860 5/13 des ganzen englischen Exporthandels lieferte, wie sie nach wenigen Jahren sich wieder ausdehnen werde durch Erweiterung des Markts, besonders Indiens, und durch Erzwingung hinreichender "Baumwollzufuhr, zu 6 d. das Pfund". Er fährt dann fort:

"Zeit - ein, zwei, drei Jahre vielleicht - wird die nötige Quantität produzieren ... Ich möchte dann die Frage stellen, ist diese Industrie wert, sie festzuhalten, ist es der Mühe wert, die Maschinerie" (nämlich die lebendigen Arbeitsmaschinen) "in Ordnung zu halten, und ist es nicht die größte Narrheit, daran zu denken, sie aufzugeben! Ich glaube das. Ich will zugeben, daß die Arbeiter nicht Eigentum sind (I allow that the workers are not a property), nicht das Eigentum Lancashires und der Meister; aber sie sind die Stärke beider; sie sind die geistige und geschulte Kraft, die in einer Generation nicht ersetzt werden kann; die andere Maschinerie dagegen, woran sie arbeiten (the mere machinery which they work), könnte zum großen Teil mit Vorteil ersetzt und verbessert werden in zwölf Monaten.14) Ermuntert oder erlaubt (!) die Emigration der Arbeitskraft, und was wird aus dem Kapitalisten? (Encourage or allow the working power to emigrate, and what of the capitalist?)"

Dieser Herzensstoß erinnert an Hofmarschall Kalb.

" ... Nehmt den Rahm der Arbeiter weg, und das fixe Kapital wird in hohem Grade entwertet und das zirkulierende Kapital wird sich nicht dem Kampf mit schmaler Zufuhr einer niedrigeren Sorte von Arbeit aussetzen ... Man sagt uns, die Arbeiter selbst wünschen die Emigration. Es ist sehr natürlich, daß sie das tun ... Reduziert, komprimiert das Baumwollgeschäft durch Wegnahme seiner Arbeitskräfte (by taking away its working power), durch Verminderung ihrer Lohnverausgabung sage um 1/3 oder 5 Millionen, und was wird dann aus der nächsten Klasse über ihnen, den Kleinkrämern? Was aus den Grundrenten, was aus der Miete der cottages? ... was aus dem kleinen Pächter, dem besseren Hausbesitzer und dem Grundeigentümer? Und sagt nun, ob irgendein Plan für alle Klassen des Landes selbstmörderischer sein kann als dieser, die Nation zu schwächen durch den Export ihrer besten Fabrikarbeiter und die Entwertung eines Teils ihres produktivsten Kapitals und Reichtums?" "Ich rate zu einer Anleihe von 5 bis 6 Millionen, über 2 oder 3 Jahre verteilt, administriert durch Spezialkommissäre, beigeordnet den Armenverwaltungen in den Baumwolldistrikten, unter speziellen gesetzlichen Regulationen, mit gewisser Zwangsarbeit, um die moralische Valuta der Almosenempfänger aufrechtzuerhalten ... Kann es irgend etwas Schlimmeres geben für Grundeigentümer oder Meister (can anything be worse for landowners or masters), als ihre besten Arbeiter aufzugeben und die übrigbleibenden zu demoralisieren und zu verstimmen durch eine ausgedehnte entleerende Emigration und Entleerung von Wert und Kapital in einer ganzen Provinz?"

Potter, das auserwählte Organ der Baumwollfabrikanten, unterscheidet doppelte "Maschinerie", deren jede dem Kapitalisten gehört und wovon die eine in seiner Fabrik steht, die andre des Nachts und Sonntags auswärtig in cottages haust. Die eine ist tot, die andre lebendig. Die tote Maschinerie verschlechtert und entwertet sich nicht nur jeden Tag, sondern von ihrer existierenden Masse veraltet ein großer Teil durch den steten technischen Fortschritt beständig so sehr, daß sie vorteilhaft und in wenigen Monaten durch neuere Maschinerie ersetzbar. Die lebendige Maschinerie verbessert sich umgekehrt, je länger sie währt, je mehr sie das Geschick von Generationen in sich aufhäuft. Die "Times" antwortete dem Fabrikmagnaten u.a.:

"Herr E. Potter ist so impressioniert von der außerordentlichen und absoluten Wichtigkeit der Baumwollmeister, daß er, um diese Klasse zu erhalten und ihr Metier zu verewigen, eine halbe Million der Arbeiterklasse wider ihren Willen in ein großes moralisches Workhouse einsperren will. Ist diese Industrie wert, sie festzuhalten? fragt Herr Potter. Sicher, durch alle ehrbaren Mittel, antworten wir. Ist es der Mühe wert, die Maschinerie in Ordnung zu halten? fragt wieder Herr Potter. Hier stutzen wir. Unter der Maschinerie versteht Herr Potter die menschliche Maschinerie, denn er beteuert, daß er sie nicht als absolutes Eigentum zu behandeln vorhat. Wir müssen gestehn, wir halten es nicht 'der Mühe wert' oder selbst für möglich, die menschliche Maschinerie in Ordnung zu halten, d.h. sie einzusperren und einzuölen, bis man ihrer bedarf. Menschliche Maschinerie hat die Eigenschaft, während der Untätigkeit zu verrosten, ihr mögt noch soviel dran ölen oder reiben. Zudem ist menschliche Maschinerie, wie der Augenschein uns eben lehrt, imstand, von eignen Stücken den Dampf anzulassen und zu platzen oder einen Veitstanz in unsren großen Städten zu tollen. Es mag, wie Herr Potter sagt, längere Zeit zur Reproduktion der Arbeiter erheischt sein, aber mit Maschinisten und Geld zur Hand werden wir stets betriebsame, harte, industrielle Männer finden, um daraus mehr Fabrikmeister zu fabrizieren, als wir je verbrauchen können ... Herr Potter plaudert von einer Wiederbelebung der Industrie in 1, 2, 3 Jahren und verlangt von uns, die Emigration der Arbeitskraft nicht zu ermuntern oder nicht zu erlauben! Er sagt, es sei natürlich, daß die Arbeiter zu emigrieren wünschen, aber er meint, daß die Nation diese halbe Million Arbeiter mit den 700.000, die an ihnen hängen, ihrem Verlangen zum Trotz in die Baumwolldistrikte einsperren und, eine notwendige Konsequenz, ihr Mißvergnügen durch Gewalt niederschlagen und sie selbst durch Almosen fristen muß, alles das auf die Chance hin, daß die Baumwollmeister ihrer an einem beliebigen Tag wieder bedürfen mögen ... Die Zeit ist gekommen, wo die große öffentliche Meinung dieser Eilande etwas tun muß, um 'diese Arbeitskraft' vor denen zu retten, die sie behandeln wollen, wie sie Kohle, Eisen und Baumwolle behandeln (to save this 'working power' from those who would deal with it as they deal with iron, coal and cotton)."15)

Der "Times"-Artikel war nur ein jeu d'esprit. Die "große öffentliche Meinung" war in der Tat der Meinung des Herrn Potter, daß die Fabrikarbeiter Mobiliarzubehör der Fabriken. Ihre Emigration wurde verhindert.16) Man sperrte sie in das "moralische Workhouse" der Baumwolldistrikte, und sie bilden nach wie vor "die Stärke (the strength) der Baumwollmeister von Lancashire".

Der kapitalistische Produktionsprozeß reproduziert also durch seinen eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt damit die Exploitationsbedingungen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten zu ihrem Kauf, um sich zu bereichern.17) Es ist nicht mehr der Zufall, welcher Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer einander auf dem Warenmarkt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Prozesses selbst, die den einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Warenmarkt zurückschleudert und sein eignes Produkt stets in das Kaufmittel des andren verwandelt. In der Tat gehört der Arbeiter dem Kapital, bevor er sich dem Kapitalisten verkauft. Seine ökonomische Hörigkeit 18) ist zugleich vermittelt und zugleich versteckt durch die periodische Erneurung seines Selbstverkaufs, den Wechsel seiner individuellen Lohnherrn und die Oszillation im Marktpreise der Arbeit.19)

Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter.20)

 


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