Unsterblichkeit
Unsterblichkeit der Seele oder des Geistes bedeutet im eigentlichen Sinne nicht die Fortexistenz der einzelnen menschlichen Seele im Allgeiste, das Fortbestehen einer Seelensubstanz überhaupt, sondern vielmehr die selbständige Fortdauer der einzelnen, menschlichen geistigen Persönlichkeit und Individualität. Die bloße Fortdauer als Teil einer allgemeinen göttlichen Substanz oder Aktualität oder das Fortleben im Gedächtnis der Nachwelt oder das Fortwirken des Menschen durch seine Ideen ist kein Fortleben des persönlichen Bewußtseins und kann nur im übertragenen Sinne eine Unsterblichkeit genannt werden. Dem Begriffe der Unsterblichkeit, der ein individuelles Verlangen zum Ausdruck bringt, entspricht allein die Fortdauer des persönlichen Ichs. Wir finden auch bei vielen Völkern diesen Glauben verbreitet und zwar in drei Hauptanschauungen: 1. Die älteste, welche auch bei Homer und im Alten Testamente auftritt, ist, daß die Seelen unter der Erde in einem freudlosen Schattenreich (Hades, Scheol) dahindämmern. 2. In Indien und Ägypten lehrte man die Metempsychose (s. d.), d.h. einen eine Vergeltung in sich einschließenden moralischen Kreislauf, den die Seele durchzumachen habe; ähnlich dachten sich Empedokles, Philolaos und Platon die Unsterblichkeit als Seelenwanderung. 3. Das Christentum, der Islam und der Talmud betonen die Idee der Vergeltung (Seligkeit und Verdammnis) und die Auferweckung des Leibes (oder Fleisches), welche man sich, im Anschluß an die poetischen Schilderungen von Dante, Swedenborg, Bunyan, Klopstock u. a. mehr oder weniger sinnlich vorstellte. Für die Unsterblichkeit der Seele sind viele Beweise versucht worden. Man kann sie einteilen in metaphysische, physische, psychische, logische, ästhetische, ethische (moralische) und religiöse. Metaphysisch schließt man z.B.: Mit dem Wesen der Seele ist das Leben verbunden; sie kann also gar nicht anders als lebend gedacht werden (Platon) oder: Die Seele ist das Immerbewegte, das Prinzip der Bewegung, und darum unvergänglich (Alkmaion, Platon) oder: Der Geist ist ewig, weil er, als die Wahrheit, selbst ein Gegenstand, und so von seiner Realität untrennbar ist (Hegel). – Physisch wird z.B. geschlossen: Die menschliche Seele ist eine Kraft im engeren Verstande, eine Substanz, und nicht eine Zusammensetzung von Substanzen. Ein Ende ihres Seins läßt sich nicht begreifen, da vom Sein zum Nichtsein kein Übergang stattfindet (Platner); oder: Es entspricht der Stellung des Menschen im Naturreiche nicht, daß seine Seele sterblich ist. Wäre sie es, so wäre er elender als das Tier, das wenigstens nicht durch Erinnerung und Hoffnung gequält wird (populär). – Psychologisch sind z.B. folgende Beweise: Wir besitzen ein angeborenes Wissen, das durch Erinnerung zu neuem Leben geweckt wird. Hieraus läßt sich auf eine Präexistenz der Seele schließen, der ein Fortleben nach dem Tode entspricht (Platon); oder: Die edelsten Menschen haben eine Sehnsucht nach einem Jenseits, die nicht getäuscht werden kann (Platon). – Logische Beweise für die Unsterblichkeit sind z.B.: Die Seele ist einfach, unkörperlich und darum unzerstörbar (Berkeley, Leibniz, Wolf, Herbart); oder: Die Seele ist ihre eigene Ursache (ex se ipsa causa) und darum unsterblich (Albertus Magnus). – Ethisch (moralisch) ist der Beweis Mendelssohns: Ein Loben nach dem Tode ist notwendig, wenn die Taten und der Lohn des Menschen in einem normalen Verhältnis stehen sollen, und der Beweis Kants: Weil wir in diesem Leben völlige Heiligkeit nicht erlangen können, muß ein Progreß in’s Unendliche, also ein ewiges Leben der Seele, als Postulat der praktischen Vernunft gelten. – Ästhetisch ist der Beweis Schillers in den „Künstlern“, daß das Gleichmaß und die Gerechtigkeit ein zweites Leben jenseits der Urne „in des Avernus finsterm Ozean“ fordern. – Religiöse Beweise sind: Es ist ein Widerspruch gegen Gottes Güte, daß er das so schön Gefügte wiederum auflösen und vernichten sollte (Platon); oder der Beweis des Augustinus: Die Seele hat teil an den ewigen Wahrheiten und ist darum unsterblich. – Jede einzelne Religion, welche die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele vertritt, fügt hierzu aus ihre Eschatologie weitere Beweise hinzu. Vor strenger Prüfung dürfte keins dieser Argumente standhalten. Aber alle entsprechen einem Wunsch und einer Hoffnung des Individuums. So ist die Idee der Unsterblichkeit ein persönlicher Glaube, zu dem man niemand zwingen kann, nicht ein theoretisches Wissen. Der Realist wird sich nicht leicht zu diesem Glauben bekennen, der Pantheist wird nur das Fortleben im All zugeben, der Idealist wird von seinem Standpunkt aus, ebenso wie der schlichtgläubige, der Philosophie fernstehende Mensch am unmittelbarsten zu dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele hingeführt werden. – Vgl. Platon, Phädon. M. Mendelssohn, Phädon. 1767. J. H. Fichte, Idee d. Persönl. u. d. indiv. Fortdauer. 1834. Fechner, Büchlein v. Leben u. d. Tode. 1834 und Zendavesta III. 1851. Spieß, Entwicklungsgesch. der Vorstellungen vom Zustand nach dem Tode. Jena 1877. Henne am Rhyn, das Jenseits. Leipz. 1880.