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Denken

Wir können nicht genau definieren, was wir uns unter dem Denken denken. Eben darum nicht, weil hier das Werkzeug zugleich die Arbeit wäre. Unser Denken ist das unfaßbare Mittelglied zwischen unseren Wahrnehmungen und unserem Handeln. Wo es nicht derart von der Wirklichkeit zur Tätigkeit, also vom Sein zum Werden führt, ist es immer ein Spiel. Das geistreichste Spiel ist die Philosophie. Da das Denken nun, objektiv genommen, ohne Zweifel ein materieller Vorgang ist, so können wir es in seiner geheimnisvollen Art den zukunftsschwangeren Zuständen gleichstellen, in denen auch andere Dinge als das Gehirn die Kraft sammeln, anders zu werden, als sie sind. Bildlich könnte man allem jederzeit und überall Denken zuschreiben, da alles unaufhörlich anders wird. Am deutlichsten zeigt es sich in chemischen Prozessen, oder in der Erregung von Elektrizität. Da muß es einen noch so kurzen Zeitabschnitt geben, in welchem Schwefel und Quecksilber nach festen Gesetzen (der chemischen Logik) den Plan bauen, Zinnober zu werden, in welchem die Berührung von Metallen die Spannung erzeugt, welche sich in elektrischer Kraft löst. Ebenso in den biologischen Molekülen.

Nun arbeitet unser Gehirn in solcher Weise auch direkt aus der Wirklichkeit heraus. Wir pflegen es nicht Denken zu nennen, wenn das Kind von wenigen Tagen die Nerven und Muskeln noch so kompliziert einsetzt, um an der Mutterbrust zu saugen, oder wenn der Soldat die Apparate seines Auges und seiner Finger, dazu schließlich seines ganzen Körpers kunstgerecht einstellt, um einen wohlzgezielten Schuß abzufeuern. Wir nennen Denken gewöhnlich das Zielen aus der Erinnerung, d. h. wenn wir nicht aus der unmittelbaren Gegenwart in die Zukunft hinüber wollen, sondern aus der haftenden Vergangenheit. Populär ausgedrückt: Wir nennen es denken, wenn wir aus Erinnerungsbildern, d. h. Begriffen, d. h. aus Worten unsere Schlüsse ziehen, d. h. Beschlüsse fassen. Von unseren Wahrnehmungen zu unseren Willensvorbereitungen zieht sich ein Netz von feinen Fäden, vielleicht von unsichtbaren Richtungsfäden. Die Knotenpunkte dieses Schienennetzes müssen die Worte sein. Die Logik will nun durchaus diese Knotenpunkte nach Größe, Lage und Form mathematisch analysieren. Sie gibt zu, daß unser natürliches Denken mit unklaren, unbestimmten und subjektiven Worten arbeitet. Sie strebt darum seit Jahrtausenden einem Denken mit mathematisch gemessenen Worten zu, die sie Begriffe nennt. Ein solches unnatürliches oder übernatürliches Denken findet sich nicht in der Welt der Wirklichkeiten. Wir haben keine anderen Begriffe als unsere armen Worte; diese sind wohl von Geschlecht zu Geschlecht feiner und schärfer geschliffen worden, reine Begriffe werden sie nie werden. Und selbst das Verdienst der Verfeinerung gebührt nur den vielen Formen der Anschauung, nicht der Logik, welche bloß das Register der Verfeinerungen führt. Die Logik ist darum keine Wissenschaft, denn ihr Gegenstand, die Begriffe, ist nur ein Ideal. Sie ist aber auch keine Kunstlehre, denn sie kann den Denkkünstler nichts lehren. Man wollte sie denn auf eine Stufe stellen mit der Schreiberei über andere Künste, die auch nur ordnet, klassifiziert und betitelt, was etwa die Augen der Maler gesehen und ihre Hände geschaffen haben.

Der Mensch versucht mit Hilfe der Sprache Gedanken zu jagen, wie er mit Hilfe der Hunde Hasen jagt. Nur daß bei der Gedankenjagd ein Kinderspiel getrieben wird. An einer Stelle sind ja auch beim Kinderspielzeug Hase und Hund hintereinander befestigt. So auch haftet fest aneinander Wort und Begriff. Und so oft man auch die Kurbel drehen mag, immer jagt hinter dem Hasen der Hund, hinter dem Begriff das Wort, immer gleich nahe, immer gleich weit. Und ein vorlauter und loser Kopf müßte erkennen, daß man auch sagen könnte: Der Hase ist hinter dem Hunde her, der Gedanke hinter der Sprache.