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Instinkte

In der Astronomie ist der geozentrische Standpunkt längst verlassen, in der Naturgeschichte seit kurzem auch der anthropozentrische. Man glaubt nicht mehr, das Pferd sei um des Menschen willen geschaffen. Aber in allen Fragen der Psychologie und Logik denkt man immer noch anthropozentrisch, als ob das Menschengehirn das einzige Denkwerkzeug der Natur wäre, während es vielleicht nicht einmal ihr feinstes ist.

So blickt man auch verächtlich auf die Leistungen der Ameisen als auf eine Tätigkeit des "Instinkts" hinunter. Man ist so beschränkt in seinem Menschendünkel, dass man die erstaunlichen Leistungen des winzigen Tierchens als Mechanismus zu deuten sucht und vergißt, wie sehr das ein noch größeres Wunder wäre. Der Mensch, der die verhältnismäßig größere Arbeit des Ameisenhirns mit dem Worte Instinkt abtut, ist ebenso klug wie der Bauer, der das verrostete Schlagwerk seiner Kirchturmuhr anstaunt, aber über die Taschenuhr als ein Kinderspielzeug lächelt, oder wie der Australneger, der auf seine zentnerschwere Kriegskeule stolz ist, aber den Taschenrevolver des Feindes so lange nicht achtet, bis er eine Bleikugel im Leibe hat.

Alle diese Beispiele hätten freilich vor zweihundert Jahren besser gepaßt, als auch die Gelehrten einen Schöpfer des Menschengehirns wie den Verfertiger einer Turmuhr anstaunten und die kleinen Taschenührchen noch kaum bekannt waren. Seitdem man die Erklärung der Tierinstinkte durch göttliche Pfiffigkeit hat aufgeben müssen, steht man allen diesen Erscheinungen ganz ratlos gegenüber.

Das verlobte Mädchen bleibt auf der Straße vor jeder Auslage stehen und denkt an eine Hauseinrichtung, und schwatzt von ihr, wenn sie darf. Die Vögel tun mehr, sie bauen das Nest wie die Menschen, ähnlich, nur im Naturzustand. Unter uns wird höchstens noch die schwangere Frau so instinktmäßig, dass sie an der Ausstattung häkelt und stickt und näht, für das kommende Kind. Die Kleinigkeiten, die da die Frau wie im Traume leistet, nennt man Werke der Intelligenz. Die Meisterwerke des Nestbaues sind Instinkt. Und so nennt man die Organisationen des Bienenstaats und der Ameisenvölker Schöpfungen des Instinkts, würde aber einem Menschen, der ähnliches zu stande brächte, um seiner hohen Gaben willen Denkmäler setzen.

Dabei wollen sich die Menschen nicht klar darüber werden, dass sie solche Tierleistungen nicht wegen der mangelnden Intelligenz Instinkt nennen, sondern deshalb, weil diese Leistungen, namentlich im Verhältnis zu den angewandten Werkzeugen, übergroße Intelligenz verraten. Man könnte sich also damit begnügen festzustellen, dass der eitle Mensch die Tiere fressen, werfen und instinktmäßig handeln läßt, wo er sich selbst das Essen, das Gebären und den Verstand zuschreibt.

Damit wäre aber die erstaunliche Tatsache außer acht gelassen, dass die Tiere, wie gesagt, mit mangelhaften Werkzeugen arbeiten, das heißt, dass ihr Gehirn, anatomisch betrachtet, nicht die Komplikation des menschlichen besitzt und dass auch ihre körperlichen Werkzeuge nicht, wie beim Menschen, über den eigenen Leib hinaus projiziert sind. Die menschliche Maurerkaste hat Kelle und Senkblei, der Biber hat nur einen Schwanz. Da man aber das menschliche Denken, welches ja doch nur am Faden der Sprache aufgereihte Erinnerung ist, zu den Werkzeugen rechnen kann, so ließe sich das instinktmäßige Arbeiten der Tiere als die sprachlose Intelligenz erklären.