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Altern der Worte

Wie die Reichen und die Armen einander nicht verstehen, Altern der so auch nicht die Herren reicher und armer Worte. Und diese Ähnlichkeit haben die Volkssprachen und ihre Worte wieder mit den Menschen, daß sie (Worte und Menschen) zugleich reich und alt werden, durchs Altern verarmen, in der Benützung des Reichtums verarmen. Auf das Altern der Worte und Sprachen ist oft hingewiesen worden. Auffällig ist es, daß gerade die großen Worte, um derentwillen Tausende von Hirnschalen im Frieden zerbrochen und im Kriege eingeschlagen worden sind, ihre deutlichen drei Altersperiodeu gehabt haben. Diese großen Abstracta: Gott, Ewigkeit, Schöpfung, Kraft u. s. w. sind von dichterischen Köpfen zuerst symbolisch aufgestellt worden. Als Metaphern bedeuten sie etwas, oft etwas relativ Gescheites gegenüber dem absterbenden Wortgeschlecht. So Gott gegenüber dem salzlos gewordenen Göttergesindel. In der zweiten Periode wird das große Wort zum Philister. Es wird etwas Hergebrachtes. Niemand zweifelt daran, weil eigentlich niemand daran glaubt. In der dritten Periode ist das Wort vom Philisterium so ausgelaugt, es ist so strohern geworden, daß es jetzt Philosophie heißt. Das einstige Symbol war zum Spiele gut, jetzt wird das Wort wörtlich genommen. Man hat seinen Sinn verloren und nimmt es darum sinnlos ernst. Als ob die Frau eines Mathematikers die Ziffern einer von ihm notierten Formel für eine Marktrechnung hielte. Oder als ob heutige Pfaffen über die Dreieinigkeit stritten. Ein klassisches Beispiel für das Altern der Worte und Vorstellungen scheint mir der erste Satz der Bibel zu sein. "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde".