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Wortstreit

Mit ihren alten und jungen Worten stehen die Menschen einander gegenüber. Wie törichte Greise und törichte Jünglinge. Kein Mensch kennt den anderen. Geschwister, Eltern und Kinder kennen einander nicht. Ein Hauptmittel des Nichtverstehens ist die Sprache. Wir wissen voneinander bei den einfachsten Begriffen nicht, ob wir bei einem gleichen Worte die gleiche Vorstellung haben. Wenn ich grün sage, meint der Hörer vielleicht blaugrün oder gelbgrün oder gar rot. Leise Unterschiede sind zwischen dem C des einen Musikers und dem C des anderen. Moschusgeruch erzeugt gewiß grundverschiedene Empfindungen bei dem gleichen Worte. Wenn ich Baum sage, so stelle ich mir — ich persönlich — so ungefähr etwas wie eine zwanzigjährige Linde vor, der Hörer vielleicht eine Tanne oder eine mehrhundertjährige Eiche. Und das sind die einfachsten Begriffe. Worte für innere Seelenvorgänge sind natürlich von den vielen Werten oder Begriffen ihres Inhalts abhängig und darum bei zwei Menschen niemals gleich, sobald auch nur ein einziger der Inhaltswerte ungleich vorgestellt wird. Je vergeistigter das Wort, desto sicherer erweckt es bei verschiedenen Menschen verschiedene Vorstellungen. Daher auch so vielfach Streit unter sonst vernünftigen und ruhigen Menschen. Leute mit verschiedenen Sprachen müssen eben streiten, wenn sie so dumm sind, miteinander sprechen zu wollen. Das abstrakteste Wort ist das vieldeutigste. Wollte man — nicht etwa alle Menschen — sondern nur alle von einer Konfession zwingen, von sich zu geben, was sie sich z. B. unter ihrem Gott vorstellen, es würden die wahnsinnigsten Phantastereien aller Völker und Zeiten zu Tage treten. Und doch ist das ein Wort, worüber sie alle einig zu sein glauben. Mut, Liebe, Wissen, Freiheit sind ebenso zerfahrene Worte. Durch die Sprache haben es sich die Menschen für immer unmöglich gemacht, einander kennen zu lernen.

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