VIII
Redensarten und Sprichwörter, Anekdoten und selbst historische Lebensläufe, Fabeln und Legenden, Volkslieder und Novellen, Religionen und Wissenschaften, unser gesamtes geistiges Eigentum ist nicht autochthon, ist nicht national, wandert durch die Jahrhunderte und die Jahrtausende von Volk zu Volk. Nur die Sprache eines Volkes, die doch nichts weiter ist als die Vorratskammer der wandernden Erbweisheit, soll national, soll autochthon sein. Ausnahmsweise, wenn Entlehnung oder Lehnübersetzung gar nicht zu übersehen ist, wird die Tatsache zugegeben; sonst aber redet die Wissenschaft, blind und taub, von einer Verwandtschaft, wo nur immer eine Ähnlichkeit vorliegt oder vorzuliegen scheint. Und doch würden in allen Wörtern einer Sprache, wenn man sie nur weit genug zurückverfolgen könnte, Niederschläge von Redensarten und Sprichwörtern, von Fabeln und Anekdoten nachzuweisen sein, und wo das nicht der Fall wäre, zum mindesten Rückstände von alten Kenntnissen und alten Religionen, von altem Glauben also. Und doch ist eine Sprache in der psychologischen Wirklichkeit des allein sprechenden Individuums nichts weiter als das bereite Gedächtnis für die zugewanderten Erfahrungen der Menschheit.
Wie wandernde Menschen entweder ihr heimatliches Kleid in der Fremde beibehalten oder das fremde Kleid anlegen, so geht es auch den wandernden Worten; sie kommen in großen Scharen bald als Entlehnungen bald als Lehnübersetzungen von einem Volke zum andern. Die Entlehnungen lassen sich in drei Klassen einteilen; die erste Klasse umfaßt die Wörter, die zu der Wirtsprache ganz und gar übergegangen sind, so daß nur gelehrte Forschung die Herkunft noch erraten kann, übrigens, wie gesagt, lieber von Verwandtschaft redet als Entlehnung zugibt; als Lehnwörter anerkannt sind bei uns aus dieser Klasse z. B.: Kirsche, Pech, Ziegel. Der zweiten Klasse gehören die Worte an, die ganz volkstümlich geworden sind, aber irgendwie die ausländische Herkunft erkennen lassen, wie z. B.: Form, Chaussee, Sauce. Der dritten Klasse gehört die stattliche Zahl der technischen Ausdrücke an, die aus den Sprachen der Wissenschaften und Künste noch nicht in die Gemeinsprache übergegangen sind; die meisten philosophischen Lehnwörter gehören hierher. Überall gibt es Übergänge zwischen diesen drei Klassen; auch die Begriffe Fremdwort und Lehnwort sind nicht scharf zu unterscheiden. Wäre es mir um klassifikatorische Arbeit zu tun, so könnte ich auch unter den Lehnübersetzungen viele Gruppen unterscheiden, je nachdem das Modellwort Silbe für Silbe übersetzt worden ist oder mit geringerer, mit größerer Freiheit; es wäre nicht schwer, die Lehnübersetzungen der Philosophie zu solchen Gruppen zu ordnen.
Mir aber handelt es sich darum, im bewußten Gegensatze zu der gegenwärtigen Sprachwissenschaft, die ungeheure Menge des Lehngutes vor Augen zu führen, und darum will ich jetzt daran gehen, eine kleine und beinahe flüchtige Sammlung von Lehnübersetzungen aus den beiden Kultursprachen vorzuführen, mit denen wir es in den Wortgeschichten der Philosophie zumeist zu tun haben werden: aus dem Lateinischen und aus dem Deutschen. Eine Aufzählung von Fremd- und Lehnwörtern beider Sprachen ist ja wohl nicht nötig; für die deutsche Sprache geben die Fremdwörterbücher eine genügende Vorstellung von der Masse des Lehngutes; und für die lateinische Sprache hat nach den Vorarbeiten von Curtius, Corssen und Saalfeld der fleißige Weise (in seiner Preisschrift »Die griechischen Wörter im Latein«) Fremd- und Lehnwörter gesammelt. Zu den Entlehnungen gehören aber auch die Lehnübersetzungen, und von diesen ist viel zu wenig die Rede; auch von ihnen jedoch gilt das Wort Hehns: »Viel entlehnt, viel gelernt.« Meine eigenen beiden kleinen Sammlungen sollen natürlich nur anregen, die Untersuchung weiter zu führen.
Für das Latein soll auch hier der Satz des Horatius nicht fehlen, der immer zitiert wird, wenn von Entlehnungen die Rede ist: Graecia capta ferum victorem cepit et artes intulit agresti Latio. Weise hat, trotzdem auch er natürlich sehr viele Ähnlichkeiten aus Urverwandtschaft erklärt, gegen 4000 griechische Fremd- und Lehnwörter im Latein gefunden. Von der erstaunlichen Menge der Lehnübersetzungen wird man sich nun eine Vorstellung machen können, wenn ich mich nur auf den Buchstaben A beschränke, um von der Menge der Lehnübersetzungen aus dem Griechischen eine Probe zu geben; die methodische Arbeit eines Fachmannes würde kaum weniger als 4000 Lehnübersetzungen aus dem Griechischen nachweisen können. Bei einigen Beispielen habe ich gleich angedeutet, daß das entsprechende deutsche Wort wieder eine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen ist. Hier meine Probe:
abactio = ἐξελασις ἀπελασις (abactor, der Viehdieb, auch abigeus = ἀπελατης); abigere, partum = deutsch: abtreiben;
abjunctum = (λεξις) διαλελυμενη, die knappe Redeweise;
abludere = ἀπᾳδειν, nicht stimmen;
abnormitas = ἀῤῥυϑμια, das Unverhältnismäßige;
abnuere = ἀπονευειν, abwinken;
abscondere = ἀποϰρυπτειν, in der Schiffersprache: aus dem Gesichte verlieren;
abstractio = ἀφαι ρ εσις; (Cicero macht, ad. Att. 6.1, den Scherz: Cato ἐξ ἀφαιρεσεως provinciam curavit, C. behandelte die Provinz mit abstrakter Nahrung);
abundantia = πλησμονη (Überfüllung des Magens);
abusio = ϰαταχρησις = Mißbrauch, term. techn. der Rhetorik;
accentus = προσῳδια (= Betonung) von accinere; auch das Zeichen der Betonung;
acceptio = ὑποληψις, term. t. der Rhetorik: Annahme eines Satzes;
accidens, frei nach συμβαινειν (aber beeinflußt von προσπιπτειν) = το συμβεβηϰος; Zufall; sodann genau = συμπτωμα, franz. accident, der Unfall, im 18. Jahrh. der Zufall;
acclamatio, als term. techn. der Rhetorik, dann wohl auch gemeinsprachlich = ἐπιφωνημα;
accubitum = ἀναϰλιντηριον, Ruhebank, Lehnstuhl;
accusativus, casus = ἡ αἰτ ι ατ ι ϰη, scil. πτωσις, falsch oder volksetym. übersetzt;
acer, metaphorisch oft als Übersetzung von ὀξυς;
acervalis (von acervus) genau = σωρειτης (von σωρος), der Häufelschluß in der Logik, ein Trugschluß;
acetabulum, frei nach ὀξυβαφον, die Sauciere (ein Essignäpfchen, zum Eintauchen der Bissen); sodann Lehnübersetzung 1. für ein Hohlmaß, 2. für ein Musikinstrument;
acredula (von acer-cris) = ὀλολυγων, ein Tier mit einer scharfen Stimme; Käuzchen oder Grille?
acroterium, Lehnwort aus ἀϰρωτηριν, in der Bedeutung Vorgebirge des Hafens, Landspitze, durch promunturium übersetzt (eig. von prominere, wovon engl. prominent), das wieder an mons angelehnt zu promontorium wurde (franz. promontoire), deutsche Lehnübersetzung Vorgebirge;
acupedius, = ὀξυπους, schnellfüßig; acutiangulum = ὀξυγωνίον, spitzer Winkel; überhaupt acutus oft für ὀξυς;
acyrologia, Fremdwort (ἀϰυρολογια); aber puristisch durch improprium (dictio impropria) wiedergegeben; die Genauigkeit der Übersetzung ergibt sich aus ϰυριως = proprie, ὀνομα ϰυρίον = nomen proprium = Eigenname;
addubitatio frei = διαπορησις;
adductor = προσαγωγευς, Kuppler, Zuführer;
adiuventio = παρευρεσις, die Erfindung einer Notlüge, einer Ausflucht;
adunatio = ἑνωσις;
adurere, besonders von Frostschaden = ἀποϰαιειν;
aequabilis (von aequare), im Sinne von gerecht, leutselig = griech. ϰοινος (deutsch mundartl. gemein), aequiclinatum = ὁμοιο π τωτον, in der Rhetor. Anwendung d. gleichen casus; aequidici (versus) = ἰσο λεϰ τοι; aequilibritas = ἰσονομ ια = Gleichgewicht; aequinoctium frei nach ἰσ η μ ερια; ὁ ἰσ η μ ερι νος = aequator; aequipollens = ἰσοδυν αμο ς;
aerarius , lapis = (λι ϑος) χαλϰι τις; aeripes = χαλϰιπ ους; aesculator, frei nach χαλϰ ολ ογος, der Geldeinnehmer;
aetiologia (αἰτιολογια), von Puristen mit causarum inquisitio übersetzt;
affaber = ἐντεχνος, kunstreich;
affabulatio = ἐπιμυϑιον, die Nutzanwendung oder Moral einer Fabel;
agere, in der Redensart ferre et agere = dem uralten φερειν ϰαι ἀγειν, fortschaffen, bes. ausplündern;
agglutinatio = προ σϰολλησις, die Anhänglichkeit;
agnasci = ἐπιγιγνεσϑαι, geboren werden, nachdem schon ein Erbe da ist; davon agnatus = ἐπιγονος, sowohl Nachgeborener als Agnat; Epigone (despektierlich) nur deutsch seit Immermann;
agnominatio = παρονομασια, jetzt ein Wortspiel, bei den Alten eine geachtete rhetor. Figur;
aleatorium = ϰυβευτηριον, Spielhaus;
algificus, genau = ψυχροποιος (vom Schrecken);
alimenta = τροφεια oder ϑρεπτηρια, der Lohn der Amme für Nahrung und Auferziehung; der Bedeutungswandel ist lehrreich, nach dem jetzt die Amme den Vater des eigenen Kindes auf Alimente verklagt; alitudo = τροφη;
aliquis, wie griech. τις für einen ungefähren und dann wieder für einen sehr hohen Wert (auch franz. il est quelqu'un);
allocutio = παραμυϑια, Zuspruch;
almities (von almus) frei = εὐπρεπεια, Holdseligkeit;
alternatio = ἐπαλληλοτης, term. techn. der Rhetorik, Häufung gleicher Buchstaben; dann = παραλληλοτης, Häufung gleicher Ausdrücke;
altitudo (animi) frei = βαϑυτης, etwa doch unser Hochmut;
amarus = πιϰρος, von der reizbaren Gemütsart, bitter; amaritudo = πιϰρια, von widrigen Tönen;
ambidexter = ἀμφιδεξιος, der beide Hände wie die Rechte geschickt brauchen kann (wobei ambi Lehnwort); ambifarius = διφασιος, doppelsinnig; ambiguitas = ἀμφιβολια;
ambitus = περιοδος, in der Rhetorik;
amicire = περιβαλλεσϑαι, Umwerfen des Obergewandes; amictorium = περιβολαιον, Umhang;
amittere = ἀποβαλλειν, wegwerfen, verschleudern;
amnenses = περιποταμιοι, die an Flüssen liegenden Städte;
amare, φιλειν, lieben, in vielen Nuancen parallel; auch Ἐρως wurde mit Amor übersetzt;
amplexatio, amplexio, mehrfach für ἐπιπλοϰη;
amplitudo, frei nach πλατυτης;
anastrophe = ἀναστροφη, die Umkehrung, wofür Puristen reversio sagten;
Anguifer oder Anguitenens = Ὁφιουχος, der Schlangenträger der Astronomie;
angulus, in vielen Doppelworten der Geometrie Übersetzung von γωνια;
anhelatio, frei nach ἀσϑμα; davon anhelator = ἀσϑματιϰος, der Asthmatiker;
animitus = ψυχοϑεν; animula – ψυχαριον, mein liebes Herz, Herzchen;
annihilatio usw. = ἐξουϑενισμος;
anomalia, Fremdwort (ἀνωμαλια), übersetzt mit inaequalitas;
ante-canem, Versuch den Namen, Προϰυων, des Vorläufers des großen Hundes, zu übersetzen;
ante häufig Übersetzung auch vor Adjektiven gebrauchten griech. πριν; anticipatio, antecepta (informatio) = προληψις; antelogium = προλογος; anteloquium, Vorwort, Vorrede; ante-passio = προπαϑεια, das Vorleiden, die Voranzeige einer Krankheit; ante-occupatio = προϰαταληψις, rhet. term. techn.;
antidotum, Lehnwort; von dem gleichbedeutenden Lehnwort antipharmacon (αντιφαρμαϰον) wurde die Lehnübersetzung remedium gebildet; deutsch Gegengift scheint mir uralte Lehnübersetzung von antidotum;
antonomasia (ἀντονομασαι), puristisch pronominatio;
aparctias (ἀπαρϰτιας), der Nordwind, übersetzt mit septentrio; apeliotes (ἀπηλιωτης), Ostwind, puristisch subsolanus;
apophasis (ἀποφασις), cataphasis (ϰαταφασις), Fremdworte, rein lateinisch negatio und affirmatio;
aposiopesis (ἀποσιωπησις) rhet. term. techn., puristisch: reticentia;
apparatorium, ἐξαρτιστηριον, Zurüstungsanstalt für Leichenmahle;
apparitio, ἐπιφανεια, die Erscheinung Christi;
appetitio, appetitus, quae est ὁρμη graece (Cic.); noch Galilei quält sich vergebens nach einem wissenschaftlich brauchbaren Ausdruck für den Begriff Antrieb; und wir haben immer noch keinen;
appositum = ἐπι ϑε τον;
apprehensio, übersetzt ϰαταληψις, im Sinne von Krankheitsanfall, bes. Bewußtlosigkeit;
aquam terramque petere = γην ϰαι ὑδωρ αἰτειν; die Redensart kam mit der Sitte, Unterwerfung zu fordern, aus Persien nach Griechenland; Aquarius, Ὑδροχοος, der Wassermann; aquiducus, ὑδραγωγος, wasserziehend; aquifuga, ὑδροφοβος wasserscheu; aquilex, frei nach ὑδρογνωμων, der Wasserfinder; schon im Altertum ein Rutengänger, Rhabdomant;
armatura (die Waffengattung), armicustos (Waffenträger), armidoctor (Fechtmeister), armifactor (Waffenschmied), militärische Ausdrücke nach ὁπλισις, ὁπλοφυλαξ, διδασϰαλος, -ποιος;
arsis (ἀρσις) in der Metrik; Übersetzungsversuche: sublatio, elatio, elevatio; wir haben uns auf Hebung geeinigt;
articulus, Lehnwort aus ἀρϑρον, Knoten, Glied, sodann Lehn-Doublette für den grammat. Begriff;
arti-, ars häufig = τεχνη, Geschicklichkeit, z. B. artificialis = ἐντεχνος;
asinus, die Eselschelte in sprichwörtlichen Redensarten schon von den Römern aus griech. Fabeln entlehnt;
assimilis, προσομοιο ς; assimile = π αρομοιον;
assumentum, frei nach ἐπιῤῥαμμα;
asteïsmus, das Fremdwort ἀστε ϊσμος, von ἀστυ, die Stadt, besonders Athen, davon ἀστειος, fein, höflich; genau entsprechend urbanitas, urbanus;
atramentarium, μελανδο χειον, Sache und Name wohl aus dem Orient herübergekommen; Tintenfaß ist frei übersetzt; ital. calamajo (slaw. kalamar) von dem Schreibwerkzeug;
atriensis, διαιταριος, διαιταρχης, Haushofmeister;
attonitus, βλητος, vom Schlage gerührt; aber sohon attonare, ἐμβρονταν, betäuben;
auctio, ursprünglich = αὐξησις;
audientia = ἀϰροασις, das Anhören; auditorium = ἀϰροατηριον; vielfach in der Schulsprache;
augurium, auspicium (von avi-) = οἰωνιστηριον, οἰωνοσϰοπειον;
aurifodina = χρυσωρυχια, Goldgrube; aurilegulus* = χρυσεϰλεϰτης.
Zu den ungefähr 8000 Lehnwörtern und Lehnübersetzungen rechne man noch die Wörter, deren Entlehnung in altrömische Zeit zurückreicht und deren Herkunft darum nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann; dann wird man ein Bild haben von dem ziffermäßigen Verhältnisse des Lehngutes in der lateinischen Sprache; wird sich ein Bild machen können von der Entlehnung der Dinge und der Gedankendinge, die den Römern aus Griechenland gekommen waren; kein Gebiet der Kultur und der Sprache ist ohne diese Entlehnungen: Familienleben, Staatswesen, Religion und Kriegskunst, Kenntnis des Tier-, Pflanzen- und Mineralreichs, Wohnung, Kleidung und Nahrung, Handel und Verkehr, Wissenschaften und Künste, Spiele und Schulbetrieb, – die Bedeutung der Entlehnungen an Sachen und Worten ist immer unterschätzt worden, ist nicht zu überschätzen. Nicht ganz so eindeutig ist die innere Beziehung der lateinisch redenden Menschen zu der griechischen Sprache zu bestimmen. Eine kümmerliche Sprachwissenschaft und eine lächerliche Etymologie verhinderten auch nur eine klare Fragestellung; doch gab es schon im alten Rom zwei Parteien, von denen die eine die lateinische Sprache beinahe für eine griechische Mundart erklärte, von denen die andere wie mit modernem Nationalstolz alte Entlehnungen leugnete, neue Entlehnungen bekämpfte. Aus dieser zweiten Partei gingen die lateinischen Puristen hervor, deren bewußter Arbeit wir die meisten Lehnübersetzungen aus dem Griechischen verdanken.
Diese puristischen Neigungen sind nicht zu allen Zeiten der Römer gleich stark gewesen. Wir werden gut daran tun, wenn wir die innere Beziehung des Römers zu der griechischen Gastsprache deuten wollen, uns nicht an eine einzige Parallele aus der neueren Zeit zu halten. Das Verhältnis des Latein zum Griechischen erinnert bald an die feindliche Invasion französischer Wörter in die deutsche und holländische Sprache, besonders im 17. Jahrhundert, bald doch wieder an die friedlichere, organischere Art, in der die englische Sprache (ihrem Wortschatze nach) halb französiert wurde. Ja sogar an das Verhältnis der altfranzösischen Sprache zum Vulgärlatein und dann wieder an das Verhältnis der neufranzösischen Sprache zum Gelehrten-Latein müßte erinnert werden.
Diese psychologischen Beziehungen der Menschen, welche eine bestimmte Muttersprache reden, zu der Sprache eines anderen Volkes, aus der sie Sachen und Wörter entlehnen, sind den gegenwärtigen Sprachforschern ebenso bekannt wie mir, vielfach besser als mir, wo es sich gar z. B. um Entlehnungen des Neupersischen und Spanischen aus dem Arabischen, des Russischen aus dem Türkischen handelt. Aber niemand hat bisher aus diesen Beziehungen die Lehre gezogen, die grundstürzend wirken müßte auf unsere Auffassung vom Leben und von der Geschichte der Sprache. Man hat die Sprache einen Organismus genannt, und bildlich wenigstens hält man an dem Vergleiche mit einem Organismus fest; überall da, wo man immer noch von einer Verwandtschaft der Sprachen fabelt. Es gibt keine Verwandtschaft von Sprachen. Die Sprache ist kein Organismus. Wenn man vom Leben der Sprache spricht, soll man das Bewußtsein von der Kühnheit dieser Metapher nicht verlieren. Sprache ist eine Bewegung, die zum Zwecke der Mitteilung Zeichen hervorbringt. Die Teile der Sprache, die Wörter, gehören nur der psychologischen Wirklichkeit an, nicht der körperlichen. Nur bildlich darf man sagen, daß Wörter sich verbinden, daß ein Wort das andere erzeuge. Alle Wörter sind Bewegungen; man ahmt nur die Bewegungen der Volksgenossen lieber und leichter nach, als die Bewegungen der Fremden. Wörter sind keine Körper; weil aber die Wörter Zeichen für Sachen oder Sinneseindrücke sein sollen, darum sind die Menschen trotz ihres Widerwillens gegen die fremden Bewegungen, der sich Purismus nennt, immer wieder gezwungen gewesen, ihre Sprache durch Entlehnungen zu bereichern. Wie die Sprache nur zwischen den Menschen entstanden ist und besteht, so sind die Sprachen zwischen den Völkern entstanden. Es gibt keine autochthonen Sprachen.
Die schöne Freude an dem blühenden Leben der eigenen Muttersprache, die nationale Selbsttäuschung hat seit alter Zeit zu den puristischen Bestrebungen geführt, die die eigene Sprache liebevoll wie ein Kind oder wie eine Blume vor schädlichen Einflüssen schützen wollen. In Rom gab es Puristen (Cäsar, Cicero) wie in dem Deutschland des dreißigjährigen Krieges. Die Puristen kämpften mitunter, wenn sie Politiker waren, auch gegen die Entlehnung fremder Sachen und fremder Sitten; zumeist aber wandte sich ihr Zorn gegen die fremden Wörter, und sie mühten sich ab, die fremden Sachen und Sitten und Gedanken wenigstens mit den Zeichen der Muttersprache auszudrücken. So entstanden zu allen Zeiten die Lehnübersetzungen, deren Bedeutung für die Wortgeschichte uns hier beschäftigt. Wer die Sprache ernstlich und wörtlich für einen Organismus hält, der mag bei den Lehnübersetzungen (alle Übersetzungen sind am letzten Ende Lehnübersetzungen) vielleicht gar an die Erscheinung des mimicry denken oder an den älteren Aberglauben, daß schwangere Frauen sich an fremden Männern versehen können.