Michel de Montaigne
(1533-1592)
Montaigne, Michel de, geb. 1533 im Perigord, erhielt eine gute Erziehung, war eine Zeitlang Maire und Parlamentsrat in Bordeaux, später lebte er als Schloßherr seinen literarischen Neigungen und unternahm wiederholt größere Reisen, die er in einem Tagebuch (»Journal de Voyage«, 1906) schilderte, Er starb 1592, als ein Mann, der das Leben von seinen besten Seiten zu nehmen. wußte, über große Menschenkenntnis verfügte und in hohem Maße geistreich war.
Montaignes »Essays« gehören zu den besten Produkten der Weltliteratur. Sie enthalten eine Menge geistvoller und treffender Bemerkungen in psychologischer Hinsicht und in bezug auf »Lebensphilosophie«, ohne aber ein geschlossenes philosophisches Lehrgebäude darzustellen. Ein gewisser Eklektizismus zeigt sich hier (vgl. besonders das 12. Kapitel des 2. Buches: »Rettung des Raymond von Sabunde«), eine Mischung von metaphysischem Skeptizismus, für den die immer wiederkehrende Formel »Que sais-je« charakteristisch ist, und (epikureisch anmutendem) Eudämonismus verbunden mit einem Verweisen auf die gegebene Welt des Menschen, auf das Leben. Selbsterkenntnis tut not. »Ich studiere mich selbst mehr als irgend einen anderen Gegenstand; das ist meine Metaphysik, das ist meine Physik.« Auch auf die Natur, das Naturgemäße weist Montaigne hin. Natürlich und vernünftig leben ist die Hauptsache. Das Ziel alles Strebens ist die Glückseligkeit. Das natürliche und glückliche ist zugleich das sittliche Leben, welches Maß und Harmonie zeigen muß. Alle sittlichen Gesetze sind aus Gewohnheiten hervorgegangen, sind relativ, wechseln mit den Zeiten und Völkern. Relativ sind auch die Schönheitsbegriffe der verschiedenen Völker. Montaigne betont schon den Einfluß des Naturmilieu auf die Gewohnheiten. und Eigenschaften der Menschen. Energisch wendet sich Montaigne gegen den Dünkel des Menschen, als ob er durch sein Wissen die Tiere so außerordentlich übertreffe. Unsere Urteile über die Dinge sind alle relativ; weder durch die Sinne noch durch den Verstand können wir Sicheres über das Wesen der Dinge entscheiden. Gottes Wesen können wir nicht erfassen. Die Dinge stellen sich uns nicht in ihrem eigenen Wesen dar. Unsere Urteile wechseln so oft, sie hängen von physischen und leiblichen Zuständen und verschiedenen Umständen ab, sie sind unzuverlässig. Die Philosophen sind untereinander uneinig und auch sonst macht eine Theorie der anderen Platz. »Nur Gott allein kann sich selbst denken und seine Werke erklären.« Nur die Offenbarung führt uns auch wo ihre Sätze widervernünftig sind, auf den rechten Weg des Glaubens. Nur Gott hat wahres Sein, die endlichen Dinge sind in beständigem Werden begriffen.
Schriften: Übersetzung der »Theologia natu ralis« des Raymund von Sabunde, 1569, 1589. - Essais, 1580, 1593 u. ö., 1872 (ed. Courbet et Royer); deutsch 1797-1801 (7 Bde.), 1908 f. (hrsg. von Flake und Weigand, 8 Bde.), 1908 f. (von Vollgraff). - Ausgewählte Essays, von E. Kühn (5 Bde.), 1900. - Vgl. P. STAPFER, Montaigne, 1895 (französisch). - G. GUIZOT, Montaigne, 1899. - E. KÜHN, Die Bedeutung Montaignes für unsere Zeit, 1904. - R. RICHTER, Der Skeptizismus in der Philosophie II, 1908. - Worte Montaignes, hrsg. von H. RÖCK, o. J.
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(Aus: Rudolf Eisler (1876-1927): Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker, 1912)