4. Die alte verkehrte Meinung über Sokrates:
Sokrates der Menschenerzieher
Aber es ist eben weder hieran etwas, noch auch, wenn ihr etwa von einem gehört habt, ich gäbe mich dafür aus, Menschen zu erziehen, und verdiente Geld damit; auch das ist nicht wahr. [19e] Denn auch das scheint mir meinesteils wohl etwas Schönes zu sein, wenn jemand imstande wäre, Menschen zu erziehen, wie Gorgias aus Leontinoi und Prodikos aus Keos und auch Hippias von Elis. Denn diese alle, ihr Männer, verstehen das: in allen Städten umherziehend, überreden sie die Jünglinge - die dort unter ihren Mitbürgern, zu wem sie wollten, sich unentgeltlich halten könnten - [20a] mit Hintansetzung jenes Umganges sich Geld bezahlend zu ihnen zu halten und ihnen noch Dank dazu zu wissen. Ja, es gibt auch hier noch einen andern Mann, einen Parier, von dessen Aufenthalt ich erfuhr. Ich traf nämlich auf einen Mann, der den Sophisten mehr Geld gezahlt hat als alle übrigen zusammen, Kallias, den Sohn des Hipponikos. Diesen fragte ich also, denn er hat zwei Söhne: »Wenn deine Söhne, Kallias,« sprach ich, »Füllen oder Kälber wären, wüßten wir wohl einen Aufseher für sie zu finden oder zu dingen, [b] der sie gut und tüchtig machen würde in der ihnen angemessenen Tugend: es würde nämlich ein Bereiter sein oder ein Landmann; nun sie aber Menschen sind, was für einen Aufseher bist du gesonnen ihnen zu geben? Wer ist wohl in dieser menschlichen und bürgerlichen Tugend ein Sachverständiger? Denn ich glaube doch, du hast darüber nachgedacht, da du Söhne hast. Gibt es einen,« sprach ich, »oder nicht?« - »O freilich,« sagte er. - »Wer doch,« sprach ich, »und woher ist er und um welchen Preis lehrt er?« - »Euenos der Parier,« antwortete er, »für fünf Minen«. Da pries ich den Euenos glücklich, [c] wenn er wirklich diese Kunst besäße und so vortrefflich lehrte. Ich also würde gewiß mich recht damit rühmen und großtun, wenn ich dies verstände; aber ich verstehe es eben nicht, ihr Athener.