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Harun-al-Raschid

Ein berliner Polizeipräsident hatte die Angewohnheit, sich gleich jenem glorreichen Kalifen Harun-al-Raschid in minderer Kleidung unter das Volk seiner Stadt zu mischen, um daselbst die Meinungen und Klagen des gemeinen Mannes höchst persönlich zu vernehmen. Eines Tages begegnete es ihm, dass er an einer Pferdetränke stand und dort mit anhörte, wie der Kutscher – wie es nun einmal die Art dieser Leute ist – sich in unziemlichen Worten über die Gesetze und Bestimmungen, die Pferdelenkkunst betreffend, ergingen und dieselben heftig schmähten. Harun-al-Jagow trat herzu und gab seiner Meinung dahin Ausdruck, dass die Klagen der Supplikanten wohl auf Übertreibungen beruhten. Darauf trat einer aus dem Haufen heraus und sprach also: »Nu will ick Ihnen mal wat sa'n. Nu setzen Sie sich ma uff'n Bock un kutschieren, und ick wer drinsitzen, un denn passen Se mal uff, wat passiert.« Der glorreiche Harun-al-Raschid tat also, und siehe, es begab sich, dass er nach einer halbstündigen Fahrt 71 mal wegen Übertretung der Droschkenfahrpolizeiordnung aufgeschrieben wurde. Er wandte sich darauf ein wenig erstaunt (aber trotzdem seinen Adel nicht vergessend) zu dem im Fond des Wagens lehnenden Rosselenker und sprach: »Nun wohl! Ich sehe es. Aber sage mir doch, wer versteht denn eigentlich bei euch die Bestimmungen dieser Verordnung?« –

»Die Pferde«, sagte der Mann des Volkes.

tu.
Vorwärts, 11.07.1912, Nr. 159.