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Dame in Weiß

Auf einer Redoute, des Nachts um halb eins,
da wogten der Masken gar viele.
Es tanzten die Farben, ein jeder trug seins
im eignen historischen Stile.
Die freundlichen Gruppen
der Rococopuppen
es tanzt der Pierrot
im fetten o-ho,
es tanzen die Pritzelgestalten
in weichen und seidigen Falten.
Nur eine, nur eine,
sie hat die schlankesten Beine …
Nur sie sah ich, immer nur sie,
denn sie trug sich so gänzlich uni.
Dame in Weiß, Dame in Weiß,
was kann das Leben denn kosten?
Dreh dich im Kreis, Dame in Weiß,
dreh dich im ruhigen Boston!
Gabst mir dein Haar, blond, wie es war,
immerdar sollst du mir tanzen,
dreh dich im Kreis, nimms nicht so heiß,
reizende Dame in Weiß!

Sie kam zu mir gerne. Kam zu mir nach Haus.
Sie mochte nur tanzen und küssen,
sie sprang aus den lästigen Hüllen heraus
und hat vor mir tanzen müssen.
Wie weiß lag das Zimmer
im milchigen Schimmer.
Die Sonne, sie sengt,
die Fenster verhängt,
hell stand sie da vor mir, die Traute,
und ich spielte für sie auf der Laute.
Es packte die Nackte
die Tanzmelodie nach dem Takte.
Nur sie sah ich, immer nur sie,
denn nun trug sie sich gänzlich uni.
Dame in Weiß, Dame in Weiß,
was kann das Leben denn kosten?
Dreh dich im Kreis, Dame in Weiß,
dreh dich im ruhigen Boston!
Gabst mir dein Haar, blond, wie es war,
immerdar sollst du mir tanzen,
dreh dich im Kreis, nimms nicht so heiß,
reizende Dame in Weiß!

Wie lang ist das her! Wie oft denk ich dran,
Es hat sich so vieles gewandelt.
Man bot mir so oft schon was Ähnliches an,
heut wird ja mit allem gehandelt.
Man tanzt, was verboten,
für teure Banknoten,
nach jeder Façon
in manchem Salon.
Und doch bei den letzten Finessen
kann eine ich niemals vergessen.
Die Glieder, das Mieder,
das war einst und kommt niemals wieder.
Du tanztest so arglos im Scherz,
denn es tanzte ja schließlich dein Herz.
Dame in Weiß, Dame in Weiß,
was kann das Leben denn kosten?
Dreh dich im Kreis, Dame in Weiß,
dreh dich im ruhigen Boston!
Gabst mir dein Haar, blond, wie es war,
immerdar sollst du mir tanzen,
dreh dich im Kreis, nimms nicht so heiß,
reizende Dame in Weiß!

Theobald Tiger
Schall und Rauch, 1920, Nr. 19.