Das Kind, das nicht geboren ist
Der Gürtler Robert Soundso nimmt ein Kind an, das man in einem berliner Hause gefunden hat – die Mutter hatte es ausgesetzt.
Am Tage der Auffindung hat man das Kind ins Waisenhaus gebracht – der Arzt gibt an, es sei an diesem Tage »etwa sechs Wochen« alt gewesen; als Geburtstag würde danach der … sagen wir, 14. Februar 1928 anzunehmen sein.
Der Gürtler will sein angenommenes Kind nun polizeilich melden – das kann er aber nicht ohne Schwierigkeiten. Denn:
Wann ist dieses Kind in Wahrheit geboren? Am 14. Februar 1928? Das ist nur das vom Arzt angenommene Datum – sicher ist es nicht. Der Mann will, da es ja gänzlich gleichgültig ist, wenigstens dieses Datum eintragen – aber das darf er nicht. Er besteht auf seinem Standpunkt, der nicht etwa Pedanterie, sondern anständigste Fürsorge für das Kind ist. Schreibt er nämlich, wozu ihn die Polizei zwingen will, in die Rubrik des Geburtsdatums: »Gefunden«, so haftet dem Kind der »Makel« dieser Herkunft zeit seines Lebens an, es erfährt auf diesem Wege etwas, was ihm die Eltern sicherlich verbergen wollen; nämlich, dass es nicht das eheliche Kind dieser Eltern ist … Beschwerde.
Ganz besonders höfliche Antwort der Polizei – aber nichts zu machen. »Mit dem Ausdruck des aufrichtigsten Bedauerns, Ihnen nicht helfen zu können, verbinde ich die Hoffnung, dass sich in den spätem Lebensschicksalen Ihres Adoptivkindes Schwierigkeiten, die auf das Fehlen eines festen Geburtsdatums zurückzuführen wären, niemals ergeben mögen.« Soweit der Leiter eines Polizeiamts, dem man dafür die Hand drücken möchte. Darauf Eingabe an das preußische Ministerium des Innern.
Da sitzt ein sozialdemokratischer Ministerialdirigent – und nun siehts schon anders aus.
» … dem § 24 des Personen-Stand-Gesetzes widersprechen würde, wenn bei der standesamtlichen Eintragung der Geburt eines Findlings etwas andres als dessen vermutliches Alter, das gegebenenfalls nach Anhörung von Sachverständigen zu ermitteln ist, eingetragen würde. Es ist somit nicht angängig –«
den Wunsch eines vernünftigen und aufopferungsbereiten Vaters zu erfüllen und dem Kind eine Peinlichkeit zu ersparen, die ihm vermutlich sehr bittre Stunden bereiten wird; man denke nur an die Abtragung des Alters durch den ersten Schullehrer – Kinder sind grausam, und es ist sehr leicht möglich, dass das Kind durch ein unbedachtes Scherzwort jahrelang gequält werden wird.
Man könnte einwenden: Der sozialdemokratische Ministerialdirigent ist an das Gesetz gebunden. Sicherlich ist er das. Er ist aber auch noch an seine kleine Seele gebunden – Gott segne diese Partei!
»Im übrigen geben mir die vorgebrachten Unzuträglichkeiten keinen Anlaß, eine Abänderung der vorerwähnten Gesetzesvorschriften in Anregung zu bringen.«
Da schwätzen sie nun so viel davon, wie wichtig es sei, dass sie in der Regierung sitzen. Eine Partei, die noch einen Funken Ehrgefühl und keinen Noske hätte, müßte diesen da sofort entfernen. Was! Man erzählt einem beamteten »Vertreter der arbeitenden Klassen«, dass ein in kleinbürgerlichen Kreisen noch immer bestehendes Vorurteil möglichst wenig Nahrung bekommen soll; dass es sich darum handelt, eine Kinderjugend nicht zu vergiften; ein Menschenleben nicht unnütz und sinnlos zu belasten – und er sieht keinen Anlaß, ein solches Schundgesetz zu korrigieren! Auch nur den Versuch dazu zu machen! Auch nur den Finger zu krümmen – für seine Wähler. Soll solch ein Zentrums-Gesetz bleiben –?
Die mir vorgebrachten Beschwerden über die Fülle blutiger Witze gegen eine Partei, die alle Tage ihre Wähler und sich selbst verrät, geben mir keinen Anlaß, eine Abänderung der vorerwähnten Haltung in Anregung zu bringen. Die Führerschaft dieser Partei ist keinen Groschen wert.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 15.01.1929, Nr. 3, S. 114.