Mitgefühl
Mitgefühl ist die Nachempfindung fremder Gefühle, welche aus der lebhaften Vorstellung derselben entspringt. Indem wir uns an Stelle des anderen setzen, empfinden wir dessen Gefühle nach. Die Phantasie ist also der eine, die Gleichheit der Verhältnisse der andere Faktor dabei. Das allseitigste und innigste Mitgefühl empfindet z.B. eine Mutter für ihr hilfloses junges Kind in den ersten Lebensjahren desselben; später, wenn die Vorstellungskreise des Kindes und der Mutter sich sondern, empfindet diese weniger lebhaft mit ihm. Der Kummer weckt leichter unser Mitgefühl als die lebhaft geäußerte Freude. Kinder, Kranke, Mütter sympathisieren lebhaft miteinander. Greise, die sich bei reicher Lebenserfahrung rege Empfänglichkeit bewahrt haben, besitzen viel Mitgefühl. Das monogamische Familienleben entwickelt das Mitgefühl mehr als die Polygamie. Gehen die Vorstellungskreise weit auseinander, so hört das Mitgefühl auf. Der tragische Held muß uns verständlich sein, wenn anders wir mit ihm fühlen sollen. Asketen, Verdüsterte und solche, die durch sehr gute oder sehr schlechte Fügungen isoliert von der übrigen Welt sind, haben selten Mitgefühl. Die kühle Höflichkeit, die nicht auf fremde Vorstellungskreise eingehn will, untergräbt das Mitgefühl. Im ganzen ist das Mitgefühl durch die moderne Kultur gesteigert und zu einer Bedingung wirklicher Bildung geworden. Vgl. Gegengefühle, Sympathie, Mitleid, Mitfreude.