IX. Von der teleologischen Beurteilung
Ich verstand unter einer formalen Technik der Natur die Zweckmäßigkeit derselben in der Anschauung: unter der realen aber verstehe ich ihre Zweckmäßigkeit nach Begriffen. Die erste gibt für die Urteilskraft zweckmäßige Gestalten, d.i. die Form, an deren Vorstellung Einbildungskraft und Verstand wechselseitig miteinander zur Möglichkeit eines Begriffs von selbst zusammenstimmen. Die zweite bedeutet den Begriff der Dinge als Naturzwecke, d.i. als solche, deren innere Möglichkeit einen Zweck voraussetzt, mithin einen Begriff, der der Kausalität ihrer Erzeugung, als Bedingung zum Grunde liegt.
Zweckmäßige Formen der Anschauung kann die Urteilskraft a priori selbst angeben und konstruieren, wenn sie solche nämlich für die Auffassung so erfindet, als sie sich zur Darstellung eines Begriffs schickt. Aber Zwecke, d.i. Vorstellungen, die selbst als Bedingungen der Kausalität ihrer Gegenstände (als Wirkungen) angesehen werden, müssen überhaupt irgend woher gegeben werden, ehe die Urteilskraft sich mit den Bedingungen des Mannigfaltigen beschäftigt, dazu zusammen zu stimmen, und sollen es Naturzwecke sein, so müssen gewisse Naturdinge so betrachtet werden können, als ob sie Produkte einer Ursache sein, deren Kausalität nur durch eine Vorstellung des Objekts bestimmt werden könnte. Nun aber können wir, wie und auf wie mancherlei Art Dinge durch ihre Ursachen möglich sind, a priori nicht bestimmen, hierzu sind Erfahrungsgesetze notwendig.
Das Urteil über die Zweckmäßigkeit an Dingen der Natur, die als ein Grund der Möglichkeit derselben (als Naturzwecke) betrachtet wird, heißt ein teleologisches Urteil. Nun sind, wenn gleich die ästhetischen Urteile selbst a priori nicht möglich sind, dennoch Prinzipien a priori in der notwendigen Idee einer Erfahrung, als Systems, gegeben, welche den Begriff einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Urteilskraft enthalten, und woraus a priori die Möglichkeit ästhetischer Reflexionsurteile, als solcher, die auf Prinzipien a priori gegründet sind, erhellet. Die Natur stimmt notwendiger Weise nicht bloß in Ansehung ihrer transzendentalen Gesetze mit unserem Verstande, sondern auch in ihren empirischen Gesetzen mit der Urteilskraft und ihrem Vermögen der Darstellung derselben in einer empirischen Auffassung ihrer Formen durch die Einbildungskraft, zusammen und das zwar bloß zum Behuf der Erfahrung und da läßt sich die formale Zweckmäßigkeit derselben in Ansehung der letzteren Einstimmung (mit der Urteilskraft) als notwendig noch dartun. Allein nun soll sie, als Objekt einer teleologischen Beurteilung auch mit der Vernunft, nach dem Begriffe, den sie sich von einem Zwecke macht, als ihrer Kausalität nach übereinstimmend gedacht werden; das ist mehr, als der Urteilskraft allein zugemutet werden kann, welche zwar für die Form der Anschauung, aber nicht für die Begriffe der Erzeugung der Dinge eigene Prinzipien a priori enthalten kann. Der Begriff eines realen Naturzwecks liegt also gänzlich über dem Felde der Urteilskraft hinaus, wenn sie für sich allein genommen wird, und da sie als eine abgesonderte Erkenntniskraft nur zwei Vermögen, Einbildungskraft und Verstand, in einer Vorstellung vor allem Begriffe im Verhältnis betrachtet und dadurch subjektive Zweckmäßigkeit des Gegenstandes für die Erkenntnisvermögen in der Auffassung desselben (durch die Einbildungskraft) wahrnimmt, so wird sie in der teleologischen Zweckmäßigkeit der Dinge, als Naturzwecke, die nur durch Begriffe vorgestellt werden kann, den Verstand mit der Vernunft (die zur Erfahrung überhaupt nicht notwendig ist) in Verhältnis setzen müssen, um Dinge als Naturzwecke vorstellig zu machen. Die ästhetische Beurteilung der Naturformen konnte, ohne einen Begriff vom Gegenstande zum Grunde zu legen, in der bloßen empirischen Auffassung der Anschauung gewisse vorkommende Gegenstände der Natur zweckmäßig finden, nämlich bloß in Beziehung auf die subjektiven Bedingung der Urteilskraft. Die ästhetische Beurteilung erforderte also keinen Begriff vom Objekte und brachte auch keinen hervor: daher sie diese auch nicht für Naturzwecke, in einem objektiven Urteile, sondern nur als zweckmäßig für die Vorstellungskraft, in subjektiver Beziehung, erklärte, welche Zweckmäßigkeit der Formen man die figürliche und die Technik der Natur in Ansehung ihrer auch eben so (technica speciosa) benennen kann.
Das teleologische Urteil dagegen setzt einen Begriff vom Objekte voraus und urteilt über die Möglichkeit desselben nach einem Gesetze der Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen. Diese Technik der Natur könnte man daher plastisch nennen, wenn man dieses Wort nicht schon in allgemeinerer Bedeutung, nämlich für Naturschönheit so wohl als Naturabsichten, in Schwang gebracht hätte, daher sie, wenn man will, die organische Technik derselben heißen mag, welcher Ausdruck denn auch den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht bloß für die Vorstellungsart, sondern für die Möglichkeit der Dinge selbst bezeichnet.
Das Wesentlichste und Wichtigste für diese Nummer ist aber wohl der Beweis: daß der Begriff der Endursachen in der Natur, welcher die teleologische Beurteilung derselben von der nach allgemeinen, mechanischen, Gesetzen absondert, ein bloß der Urteilskraft, und nicht dem Verstande oder der Vernunft, angehöriger Begriff sei, d.i. daß, da man den Begriff der Naturzwecke auch in objektiver Bedeutung, als Naturabsicht brauchen könnte, ein solcher Gebrauch, als schon vernünftelnd, schlechterdings nicht in der Erfahrung gegründet sei, die zwar Zwecke darlegen, aber, daß diese zugleich Absichten sind, durch nichts beweisen kann, mithin, was in dieser zur Teleologie Gehöriges angetroffen wird, lediglich die Beziehung ihrer Gegenstände auf die Urteilskraft und zwar einen Grundsatz derselben, dadurch sie für ihr selbst (nicht für die Natur) gesetzgebend ist, nämlich als reflektierende Urteilskraft enthalte.
Der Begriff der Zwecke und der Zweckmäßigkeit ist zwar ein Begriff der Vernunft, in so fern man ihr den Grund der Möglichkeit eines Objekts beilegt. Allein Zweckmäßigkeit der Natur, oder auch der Begriff von Dingen als Naturzwecken, setzt die Vernunft als Ursache mit solchen Dingen in Verhältnis darin wir sie durch keine Erfahrung als Grund ihrer Möglichkeit kennen. Denn nur an Produkten der Kunst können wir uns der Kausalität der Vernunft von Objekten, die darum zweckmäßig oder Zwecke heißen, bewußt werden und in Ansehung ihrer die Vernunft technisch zu nennen, ist der Erfahrung von der Kausalität unseres eigenen Vermögens angemessen. Allein die Natur, gleich einer Vernunft steh als technisch vorzustellen (und so der Natur Zweckmäßigkeit, und so gar Zwecke beizulegen), ist ein besonderer Begriff, den wir in der Erfahrung nicht antreffen können und den nur die Urteilskraft in ihre Reflexion über Gegenstände legt, um nach seiner Anweisung Erfahrung nach besondren Gesetzen, nämlich denen der Möglichkeit eines Systems, anzustellen.
Man kann nämlich alle Zweckmäßigkeit der Natur entweder als natürlich (forma finalis naturae spontanea), oder als absichtlich (intentionalis) betrachten. Die bloße Erfahrung berechtigt nur zu der erstern Vorstellungsart; die zweite ist eine hypothetische Erklärungsart, die über jenen Begriff der Dinge als Naturzwecke hinzukömmt. Der erstere Begriff von Dingen, als Naturzwecken, gehört ursprünglich der reflektierenden (obgleich nicht ästhetisch, sondern logisch reflektierenden), der zweite der bestimmenden Urteilskraft zu. Zu dem erstern wird zwar auch Vernunft, aber nur zum Behuf einer nach Prinzipien anzustellenden Erfahrung (also in ihrem immanenten Gebrauche), zu dem zweiten aber sich ins Überschwengliche versteigende Vernunft (im transzendenten Gebrauche) erfordert.
Wir können und sollen die Natur, so viel in unserem Vermögen ist, in ihrer Kausalverbindung nach bloß mechanischen Gesetzen derselben in der Erfahrung zu erforschen bemühet sein: denn in diesen liegen die wahren physischen Erklärungsgründe, deren Zusammenhang die wissenschaftliche Naturkenntnis durch die Vernunft ausmacht. Nun finden wir aber unter den Produkten der Natur besondere und sehr ausgebreitete Gattungen, die eine solche Verbindung der wirkenden Ursachen in sich selbst enthalten, der wir den Begriff eines Zwecks zum Grunde legen müssen, wenn wir auch nur Erfahrung, d.i. Beobachtung nach einem ihrer inneren Möglichkeit angemessenen Prinzip, anstellen wollen. Wollten wir ihre Form und die Möglichkeit derselben bloß nach mechanischen Gesetzen, bei welchen die Idee der Wirkung nicht zum Grunde der Möglichkeit ihrer Ursache, sondern umgekehrt genommen werden muß, beurteilen, so wäre es unmöglich, von der spezifischen Form dieser Naturdinge auch nur einen Erfahrungsbegriff zu bekommen, der uns in den Stand setzte, aus der innern Anlage derselben als Ursache auf die Wirkung zu kommen, weil die Teile dieser Maschinen, nicht so fern ein jeder für sich einen abgesonderten, sondern nur alle zusammen einen gemeinschaftlichen Grund Ihrer Möglichkeit haben, Ursache von der an ihnen sichtbaren Wirkung sein. Da es nun ganz wider die Natur physischmechanischer Ursachen ist, daß das Ganze die Ursache der Möglichkeit der Kausalität der Teile sei, vielmehr diese vorher gegeben werden müssen, um die Möglichkeit eines Ganzen daraus zu begreifen; da ferner die besondere Vorstellung eines Ganzen, welche vor der Möglichkeit der Teile vorhergeht, eine bloße Idee ist und diese, wenn sie als der Grund der Kausalität angesehen wird, Zweck heißt: so ist klar, daß, wenn es dergleichen Produkte der Natur gibt, es unmöglich sei, ihrer Beschaffenheit und deren Ursache auch nur in der Erfahrung nachzuforschen (geschweige sie durch die Vernunft zu erklären), ohne sie sich ihre Form und Kausalität nach einem Prinzip der Zwecke bestimmt sich vorzustellen.
Nun ist klar: daß, in solchen Fällen, der Begriff einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur bloß zum Behuf der Reflexion über das Objekt, nicht zur Bestimmung des Objekts durch den Begriff eines Zwecks, diene und das teleologische Urteil über die innere Möglichkeit eines Naturprodukts ein bloß reflektierendes, nicht ein bestimmendes Urteil sei. So wird z.B. dadurch, daß man sagt, die Kristalllinse Auge habe den Zweck, durch eine zweite Brechung der Lichtstrahlen die Vereinigung der aus einem Punkte auslaufenden wiederum in einen Punkt auf der Netzhaut des Auges zu bewirken, nur gesagt, daß die Vorstellung eines Zwecks in der Kausalität der Natur bei Hervorbringung des Auges darum gedacht werde, weil eine solche Idee zum Prinzip dient, die Nachforschung des Auges, was das genannte Stück desselben betrifft, dadurch zu leiten, imgleichen auch der Mittel wegen, die man ersinnen könnte, um jene Wirkung zu befördern. Dadurch wird nun der Natur noch nicht eine nach der Vorstellung von Zwecken, d.i. absichtlich wirkende Ursache beigelegt, welches ein bestimmendes teleologisches Urteil, und, als ein solches, transzendent sein würde, indem es eine Kausalität in Anregung bringt, die über die Naturgrenzen hinaus liegt.
Der Begriff der Naturzwecke ist also lediglich ein Begriff der reflektierenden Urteilskraft zu ihrem eigenen Behuf, um der Kausalverbindung an Gegenständen der Erfahrung nachzugehen. Durch ein teleologisches Prinzip der Erklärung der Innern Möglichkeit gewisser Naturformen wird unbestimmt gelassen, ob die Zweckmäßigkeit derselben absichtlich, oder unabsichtlich sei. Dasjenige Urteil, welches eines von beiden behauptete, würde nicht mehr bloß reflektierend, sondern bestimmend sein, und der Begriff eines Naturzwecks würde auch nicht mehr ein bloßer Begriff der Urteilskraft, zum immanenten (Erfahrungs-) Gebrauche, sondern mit einem Begriffe der Vernunft, von einer über die Natur gesetzten absichtlich wirkenden Ursache, verbunden sein, dessen Gebrauch transzendent ist, man mag in diesem Falle bejahend, oder auch verneinend urteilen wollen.