XI. Enzyklopädische Introduktion der Kritik der Urteilskraft in das System der Kritik der reinen Vernunft
Alle Einleitung eines Vortrages ist entweder die in eine vorhabende Lehre oder der Lehre selbst in ein System, wohin sie als ein Teil gehört. Die erstere geht vor der Lehre vorher, die letztere sollte billig nur den Schluß derselben ausmachen, um ihr ihre Stelle in dem Inbegriffe der Lehren, mit welchen sie durch gemeinschaftliche Prinzipien zusammenhängt, nach Grundsätzen anzuweisen. Jene ist eine propädeutische, diese kann eine enzyklopädische Introduktion heißen.
Die propädeutischen Einleitungen sind die gewöhnlichen, als welche zu einer vorzutragenden Lehre vorbereiten, indem sie die dazu nötige Vorerkenntnis aus andern schon vorhandenen Lehren oder Wissenschaften anführen, um den Übergang möglich zu machen. Wenn man sie darauf richtet, um die der neu auftretenden Lehre eigene Prinzipien (domestica), von denen, welche einer andern angehören (peregrinis), sorgfältig zu unterscheiden, so dienen sie zur Grenzbestimmung der Wissenschaften, einer Vorsicht, die nie zu viel empfohlen werden kann, weil ohne sie keine Gründlichkeit, vornehmlich im philosophischen Erkenntnisse zu hoffen ist.
Eine enzyklopädische Einleitung aber setzt nicht etwa eine verwandte und zu der sich neu ankündigenden vorbereitende Lehre, sondern die Idee eines Systems voraus, welches durch jene allererst vollständig wird. Da nun ein solches nicht durch Aufraffen und Zusammenlesen des Mannigfaltigen, welches man auf dem Wege der Nachforschung gefunden hat, sondern nur alsdann, wenn man die subjektiven oder objektiven Quellen einer gewissen Art von Erkenntnissen vollständig anzugeben im Stande ist, durch den formalen Begriff eines Ganzen, der zugleich das Prinzip einer vollständigen Einteilung a priori in sich enthält, möglich ist, so kann man leicht begreifen, woher enzyklopädische Einleitungen, so nützlich sie auch wären, doch so wenig gewöhnlich sind.
Da dasjenige Vermögen, wovon hier das eigentümliche Prinzip aufgesucht und erörtert werden soll (die Urteilskraft), von so besonderer Art ist, daß es für sich gar kein Erkenntnis (weder theoretisches noch praktisches) hervorbringt und, unerachtet ihres Prinzips a priori dennoch keinen Teil zur Transzendentalphilosophie, als objektiver Lehre, liefert, sondern nur den Verband zweier anderer obern Erkenntnisvermögen (des Verstandes und der Vernunft ausmacht): so kann es mir erlaubt sein, in der Bestimmung der Prinzipien eines solchen Vermögens, das keiner Doktrin, sondern bloß einer Kritik fähig ist, von der sonst überall notwendigen Ordnung abzugehen und eine kurze enzyklopädische Introduktion derselben und zwar nicht in das System der Wissenschaften der reinen Vernunft, sondern bloß in die Kritik aller a priori bestimmbaren Vermögen des Gemüts, so fern sie unter sich ein System im Gemüte ausmachen, voranzuschicken und auf solche Art die propädeutische Einleitung mit der enzyklopädischen zu vereinigen.
Die Introduktion der Urteilskraft in das System der reinen Erkenntnisvermögen durch Begriffe beruhet gänzlich auf ihrem transzendentalen ihr eigentümlichen Prinzip: daß die Natur der Spezifikation der transzendentalen Verstandesgesetze (Prinzipien ihrer Möglichkeit als Natur überhaupt), d.i. in der Mannigfaltigkeit ihrer empirischen Gesetze der Idee eines Systems der Einteilung derselben zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung als empirischen Systems verfahre. - Dieses gibt zuerst den Begriff einer objektiv zufälligen, subjektiv aber (für unser Erkenntnisvermögen) notwendigen Gesetzmäßigkeit, d.i. einer Zweckmäßigkeit der Natur, und zwar a priori, an die Hand. Ob nun zwar dieses Prinzip nichts in Ansehung der besondern Naturformen bestimmt, sondern die Zweckmäßigkeit der letztern jederzeit empirisch gegeben werden muß, so gewinnt doch das Urteil über diese Formen einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, als bloß reflektierendes Urteil, durch die Beziehung der subjektiven Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung für die Urteilskraft auf jenes Prinzip der Urteilskraft a priori, von der Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer empirischen Gesetzmäßigkeit überhaupt, und so wird ein ästhetisches reflektierendes Urteil auf einem Prinzip a priori beruhend angesehen werden können (ob es gleich nicht bestimmend ist) und die Urteilskraft in demselben sich zu einer Stelle in der Kritik der oberen reinen Erkenntnisvermögen berechtigt finden.
Da aber der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur (als einer technischen Zweckmäßigkeit, die von der praktischen wesentlich unterschieden ist), wenn er nicht bloße Erschleichung dessen, was wir aus ihr machen, für das was sie ist, sein soll, ein vor aller dogmatischen Philosophie (der theoretischen so wohl als praktischen) abgesonderter Begriff ist, der sich lediglich auf jenem Prinzip der Urteilskraft gründet, das vor den empirischen Gesetzen vorhergeht und ihre Zusammenstimmung zur Einheit eines Systems derselben allererst möglich macht, so ist daraus zu ersehen, daß von den zwei Arten des Gebrauchs der reflektierenden Urteilskraft (der ästhetischen und teleologischen) dasjenige Urteil, welches vor allem Begriffe vom Objekte vorhergeht, mithin das ästhetische reflektierende Urteil, ganz allein seinen Bestimmungsgrund der Urteilskraft, unvermengt mit einem andern Erkenntnisvermögen, habe, dagegen das teleologische Urteil den Begriff eines Naturzwecks, ob er gleich in dem Urteile selbst nur als Prinzip der reflektierenden, nicht der bestimmenden Urteilskraft gebraucht wird, doch nicht anders als durch Verbindung der Vernunft mit empirischen Begriffen gefället werden kann. Die Möglichkeit eines teleologischen Urteils über die Natur läßt sich daher leicht zeigen, ohne ihm ein besonderes Prinzip der Urteilskraft zum Grunde legen zu dürfen, denn diese folgt bloß dem Prinzip der Vernunft. Dagegen die Möglichkeit eines ästhetischen und doch auf einem Prinzip a priori gegründeten Urteils der bloßen Reflexion, d.i. eines Geschmacksurteils, wenn bewiesen werden kann, daß dieses wirklich zum Anspruche auf Allgemeingültigkeit berechtigt sei, einer Kritik der Urteilskraft als eines Vermögens eigentümlicher transzendentaler Prinzipien (gleich dem Verstande und der Vernunft) durchaus bedarf, und sich dadurch allein qualifiziert, in das System der reinen Erkenntnisvermögen aufgenommen zu werden; wovon der Grund ist, daß das ästhetische Urteil, ohne einen Begriff von seinem Gegenstande vorauszusetzen, dennoch ihm Zweckmäßigkeit und zwar allgemeingültig beilegt, wozu also das Prinzip in der Urteilskraft selbst liegen muß, da hingegen das teleologische Urteil einen Begriff vom Objekte, den die Vernunft unter das Prinzip der Zweckverbindung bringt, voraussetzt, nur daß dieser Begriff eines Naturzwecks von der Urteilskraft bloß im reflektierenden, nicht bestimmenden Urteile gebraucht werde.
Es ist also eigentlich nur der Geschmack und zwar in Ansehung der Gegenstände der Natur, in welchem allein sich die Urteilskraft als ein Vermögen offenbart, welches sein eigentümliches Prinzip hat und dadurch auf eine Stelle in der allgemeinen Kritik der obern Erkenntnisvermögen gegründeten Anspruch macht, den man ihr vielleicht nicht zugetrauet hätte. Ist aber das Vermögen der Urteilskraft, sich a priori Prinzipien zu setzen, einmal gegeben, so ist es auch notwendig, den Umfang desselben zu bestimmen, und zu dieser Vollständigkeit der Kritik wird erfordert, daß ihr ästhetisches Vermögen, mit dem teleologischen zusammen, als in einem Vermögen enthalten und auf demselben Prinzip beruhend, erkannt werde, denn auch das teleologische Urteil über Dinge der Natur gehört, eben so wohl als das ästhetische, der reflektierenden (nicht der bestimmenden) Urteilskraft zu.