11. Wilhelm Gentz
V.
Des deutschen Kronprinzen Einzug in Jerusalem.
Hildebrandtstraße 5.
W. Gentz als Mensch und Künstler
(Von 1874 bis 1890)
Sommer 1874 machte W. Gentz, wie wir in unserem vorigen Kapitel unter gleichzeitiger Mitteilung einer ganzen Anzahl an seine Frau gerichteter Briefe mitteilen durften, seine Stockholmer Reise, der ein kurzer Aufenthalt in Heringsdorf folgte. Zu Beginn des Herbstes war er in Berlin zurück und nahm hier die große Arbeit wieder auf, der er schon seit Jahr und Tag in erster Reihe seine Kräfte widmete: »Des deutschen Kronprinzen Einzug in Jerusalem.« Er beendete dies Bild 1876, in welchem Jahre es auf der Berliner Ausstellung erschien und die große goldene Medaille erhielt. Es ist jetzt eine Zierde der Nationalgalerie, und sowohl um seines Stoffes wie um seiner künstlerischen Vorzüge willen der Aufmerksamkeit jedes Besuchers sicher. Auch ich, wenn ich desselben ansichtig werde, werde von der poetischen Schönheit des zur Darstellung gebrachten Momentes: des Einziehens unter Palmen, jedesmal ergriffen, kann dies Bild aber, so sehr ich es schätze, doch nicht zu W. Gentz' vorzüglichsten oder vielleicht richtiger nicht zu den mir sympathischen Arbeiten zählen. Mir persönlich ist er als afrikanischer Landschafter am liebsten, und diejenigen seiner Bilder, die sich damit begnügen, in wunderbarem Gegensatze die Sterilität und zugleich die schöpferische Fülle der Tropengegend wiederzugeben, also Wüsten- und Wasserflächen, übervölkert von Flamingos und anderem weißgefiederten Volk, entzücken mich mehr, ja fast möchte ich sagen, heimeln mich mehr an. Seine Knabenwanderungen im Wustrauer Luch und am Molchowsee, die von früh an sein Auge schärften, haben ihn durch sein ganzes Leben hin das am tiefsten und eigenartigsten erfassen lassen, was ihn schon als Kind am tiefsten in seiner Künstlerseele berührte: melancholische Flächen und schwermutsvolle Stille.
Herbst 1876 also erschien das Einzugsbild. In der Zeit, die seitdem vergangen ist, schuf er unverändert weiter und kein Jahr verging, ohne daß sein Talent und seine Schaffenslust sich nicht neu betätigt hätten. Aus dieser Fülle, die hinter der Epoche von 1857 bis 1874 nicht zurückbleibt, sei hier nur einiger weniger Bilder erwähnt: Ein Harem auf Reisen, Supraporte für das Pringsheimsche Haus; eine Koranvorlesung; ein Sonnenstreifen (Straße in Algier); Mirjam am Quell als Illustration zu Ebers' Homo sum; Marabustorch und Flamingos; Abend am Nil; Mameluckengräber bei Kairo; Koptische Christen in den ersten Jahrhunderten, und eine große Zahl von Porträts, besonders Negerköpfe. Dazu gesellt sich eine lange Reihe von Illustrationen, unter denen die zu Georg Ebers' großem Werk: »Ägypten in Wort und Bild« in erster Reihe stehen. Es sind (fünfundvierzig an der Zahl) fertige Feder- und Tuschzeichnungen, die auf Holz photographiert und dann geschnitten wurden.
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Alle diese vorstehend aufgezählten Bilder, entstanden in dem der Künstlerwelt wohlbekannten Hildebrandtstraßen-Hause, das, wie schon hervorgehoben, im Jahre 1869 von W. Gentz erworben und, um sein eigenes Wort noch einmal zu zitieren, »orientalisiert« wurde.
Diesem Hause wenden wir uns jetzt zu. Es besteht aus einem Souterrain, einem Erdgeschoß und einem ersten Stock; im Souterrain befinden sich die Wirtschaftsräume, im ersten Stock die Ateliers von Vater und Sohn, im Erdgeschoß die Familien- und Repräsentationszimmer, vier oder fünf an der Zahl, die völlig eigenartig wirken und in ihrer Mischung von Berliner Nähtisch und ägyptischem Fetisch, von Ramses und Christian Friedrich Gentz, kairensischen Teppichen und Ahornpaneelen aus der Berliner Glanzzeit der Jenny Lind, nirgend ihresgleichen haben, auch in den maurischen Häusern nicht, deren wir vielleicht einige, jedenfalls aber eins in unserer Stadt besitzen: das Diebitschsche Haus am Hafenplatz. Denn all das bisher in wohlüberlegter Gegensätzlichkeit Aufgezählte gibt nur eine schwache Vorstellung von dem, was sich an aparten und untereinander in einer Art Fehde stehenden Dingen hier alles zusammenfindet, Dinge, die berufen scheinen, ein Fünfweltteile-Redenzvous und dabei zugleich das bunte reiche Leben zu veranschaulichen, das der Besitzer aller dieser Herrlichkeiten führen durfte. Was von dem Grund und Boden unserer Hauptstadt gesagt worden ist, »jeder Quadratmeter bedeute schon ein Vermögen«, das gilt fast auch von den Wänden dieser W. Gentzschen Wohnung, und »gekeilt in drangvoll fürchterliche Enge« haben wir hier die bei den verschiedensten Gelegenheiten, als Erinnerungsblätter, an W. Gentz überreichten Skizzen aller möglichen Malerberühmtheiten zusammen. Ich kenne, soweit Berlin in Frage kommt, keinen Privatmann, dessen Wohnung angetan wäre, mit der hier vorhandenen Bilderfülle zu wetteifern, und wenn beispielsweise das an den Wänden der Menzelschen Wohnung Aufgespeicherte, schon weil sich viele »Menzels« darunter befinden, unendlich wertvoller ist, so verschwinden doch, namentlich solange wir der Zahl ihr Recht gönnen, selbst diese Menzelschen Schätze neben der bunten Mannigfaltigkeit des hier bei W. Gentz Gebotenen. Daß übrigens das Gentzsche sich auch inhaltlich sehen lassen kann, das wird sich aus einer bloßen Aufzählung der Bilder und Skizzen genugsam ergeben, trotzdem ich gezwungen bin, an drei Vierteln des Vorhandenen vorüber zu gehen.
Es befinden sich hier:
Friedrich Geselschap: Mädchen von Capri.
Anselm von Feuerbach: Aretins Tod bei einem ihm von Tizian gegebenen Gastmahl.
Otto Knille: Dolce far niente. Ein Tiroler Bursch.
Rudolf Henneberg: 1. Szene vorm Forsthaus. 2. Reiter, ein Wasser durchschreitend.
Gustav Spangenberg: Studienkopf zu Spangenbergs Lutherbild in der Nationalgalerie.
Albert Hertel: Dorf in Abendbeleuchtung.
Georg Bleibtreu: Kaiser Wilhelm und Moltke am Abend des 18. August 1870 (Gravelotte).
von Meckel:32) Arabische Wegelagerer.
von Klever (Professor an der Petersburger Akademie): Russisches Dorf am Meer.
Hugo von Blomberg: Benvenuto Cellini im Keller.
Teutwart Schmitson: Bäuerliches Gespann.
Ernst Ewald: Märchenerzähler.
Dörr: Vier Interieurs einer Färberei in Fontainebleau (Dörr war ein Mecklenburger aus Ludwigslust, bildschöner Mensch und um seiner Schönheit willen früh gestorben.)
Ludwig Knaus: Kinderszene aus der Feilnerstraße.
Paul Meyerheim: Ziegen und ein im Grase liegender Junge. Geschenk Paul Meyerheims an sein Patenkind Ismael Gentz.
Fritz Werner: 1. Französische Gefangene im Tempelgarten zu Ruppin. 2. Porträt von W. Gentz, in ägyptischem Kostüm.
Anton von Werner: 1. Almosen-Verteilung auf einem Kirchhofe bei Kairon. 2. Gebet in der Wüste; Abd el Kader.
Ferdinand Heilbuth: Doppelte Nelken in einer japanischen Vase.
Jean Lous Hamon: Im Ringelreihen tanzende Mädchen. (L. Hamon, gest. 1874.)
Diese zweiundzwanzig Bilder und Skizzen, unter denen mir F. Heilbuths »Doppelte Nelken« und J. L. Hamons »Ringelreihen« als die bedeutendsten erschienen sind, geben aber, wie schon angedeutet, nur eine geringe Vorstellung von dem, was sich hier alles auf engstem Raume zusammenfindet. Vieles von dem Verbleibenden (dreißig Bilder und Skizzen) rührt von niemand Geringerem her, als von W. Gentz selbst, und wenn ich in vorstehendem speziell auf Aufzählung dieser Gentzschen Arbeiten, zu denen auch zahlreiche Kopien nach Veronese, Tizian, Velasquez, Rubens, Jordaens, Giorgone, Correggio, Poussin usw. gehören, verzichtet habe, so geschah es, um diesem Aufsatze nicht über Gebühr einen katalogartigen Charakter zu geben. Abschließend aber möchte ich an eben dieser Stelle noch hervorheben dürfen, daß der reiche Bilderschmuck nur einen Teil der Gesamtausschmückung dieser Räume bietet, die mit ihren aus Afrika mitgebrachten Erinnerungsstücken in erster Reihe den Eindruck eines ethnographischen Museums machen. Da finden sich wunderbar geformte Laternen, Leuchter und Kannen aus arabischen Moscheen, Rauchgefäße, Teller und Tassen, altägyptische Götterfiguren, perlmutterbelegte Sessel, Kaffeemörser und Musikinstrumente: Darabucken und Tamburine.
So das Gentzsche Haus. Und eigenartig wie das Haus, so das Leben in ihm, auch das gesellschaftliche, das, in vielen Punkten mit dem Leben anderer Künstlerhäuser übereinstimmend, sich doch auch wieder durch einen eigentümlich internationalen Zug von ihnen unterscheidet. W. Gentz' zwölfjähriges Leben in Paris, seine bis auf diesen Tag alljährlich fortgesetzten Reisen in immer noch wenig befahrene Gegenden, sein ausgebildeter Sinn für Geographisches, Anthropologisches und Kulturhistorisches überhaupt, sein Wissen, das es ihm ermöglicht, auch eigentlichsten Gelehrten auf ihren Wegen zu folgen – all das hat sich vereinigt, um seinem gastlichen Hause nicht bloß einen künstlerischen, sondern auch einen wissenschaftlichen, halb diplomatischen, alle Gesellschafts- und Völkerklassen umfassenden Stempel zu leihen. Ich würde mich nicht wundern, Tippo Tipp oder Mirambo, oder Bana Heri, oder, wenn er noch lebte, den König Mtesa von Uganda bei Gentz zum Frühstück anzutreffen, Stanleys oder Wißmanns, oder Emin Paschas, als einfacher Selbstverständlichkeiten, ganz zu geschweigen. Ich darf mich nicht rühmen, oft an den Reunions in der Hildebrandtstraße teilgenommen zu haben, aber niemals war ich zugegen, ohne sachlich und persönlich Interessantes erlebt zu haben. W. Gentz liebt es zum Beispiel, seinen Gästen, auf gut Afrikanisch, Bananen vorzusetzen, und er tut wohl daran; denn diese Bananen, ob sie einem nun schmecken oder nicht, sind einfach ein Ausdruck davon, daß man sich, wenn man ihn besucht, nicht auf einer Alltagsheide, sondern auf einem besonderen Boden befindet. Die letzten zwei Male, daß ich dort verkehrte, sind mir unvergeßlich durch die Personen, deren Bekanntschaft ich damals machte resp. erneuerte. Der eine war Wereschtschagin, just auf der Höhe seines Ruhms, schweigsam, und nur erheitert, wenn die pikante Mirjam (damals noch unverheiratet) ihm, ohne Rücksicht auf seine feierliche Miene, kleine Geschichten und Berliner Anekdoten erzählte. Man merkte daran das unter Namen und Autoritäten groß gewordene Kind, das nicht gelernt hatte, Berühmtheiten ängstlich zu nehmen. Der andere, den ich traf, war Hermann Maron, den ich seit länger als fünfundvierzig Jahren (wo wir gemeinschaftlich einen Dichterklub gegründet) nicht wiedergesehen hatte. Wir fanden uns – sehr verändert; sein Leben war wunderbar gegangen, und vier Wochen später schoß er erst seiner Frau, dann sich selber eine Kugel durchs Herz.
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So viel über W. Gentz und sein Haus. Eine Biographie darf aber auch an dem Menschen, und wenn dieser ein Künstler, an seiner Kunst nicht vorübergehen.
Ich kann ihm hier wieder selber das Wort geben; denn er hat sich mit jener Aufrichtigkeit und Ruhe, die sein ganzes Wesen ausmacht, über sich selbst als Mensch und Künstler ausgesprochen.
»... Ich bin Darwinist«, so schreibt er. »Was ich von Vater und Mutter geerbt, weiß ich nicht sicher herauszubringen. Mein Vater erzählte mir einmal, daß er sich in der Jugend vorgenommen habe, 100000 Taler erwerben zu wollen. Das war damals, von seinem Standpunkt aus, sehr viel. Mein Bestreben war immer darauf gerichtet, ›etwas zu werden‹. Kaufmännischen Sinn aber, Erwerbssinn, der äußerlich vorwärts kommen und bescheidene Zustände verbessern will, hatte ich gar nicht, vielmehr einen konservativen Sinn, wie meine Mutter, die sehr sparsam war. Meine Mutter war auch eine sehr versöhnliche Natur und verzieh allen, sogar den größten Feinden, wohin auch die Konkurrenten gehörten. Etwas davon glaube ich geerbt zu haben. Fleißig waren beide Eltern und auch ich ging davon aus, daß ich durch Arbeit ersetzen müsse, was mir an Naturanlage fehlte. In der Jugend war ich exzentrisch und schroff, wovon meine Lehrer damals erzählen konnten; beim »Trommeln« immer der Führer im Streit. Ich zähle mich nicht zu den Herdenmenschen. In meiner Eltern Hause wurde nie gespielt, auch nicht Karten. Ich bin keine eigentlich gesellige Natur und machte meine Reisen meist allein, um von dem mir vorgesteckten Ziel, um anderer willen, nicht abweichen zu müssen. Ich halte es für selbstverständlich, daß jeder, der unter bestimmten Einflüssen seines Landes groß geworden ist, dies Land und seine Nation mehr liebt als andere Nationen. Ich hasse aber die Kirchturmspolitik. Da andere Völker die leuchtendsten Vorbilder hervorgebracht haben: Homer, Äschylus und Phidias, Christus, Shakespeare, Michelangelo und Tizian, so kann ich nicht einsehen, warum man das Fremde geringer achten soll.
In religiöser Beziehung stehe ich auf dem Schillerschen Standpunkt:
Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
Die du mir nennst. – Und warum keine? Aus Religion.
Die Religionsphilosophie hat mich immer sehr interessiert. Ich habe die Vedas, Confucius, die Bibel, den Koran, den heiligen Augustinus, Luther, Spinoza, Lamennais usw. gelesen.
In der Natur und dem Menschenleben scheint mir, und zwar durch den unerbittlichen Kampf ums Dasein, der Pessimismus gerechtfertigt. Die persönliche Freiheit ist mir in der Politik das Ideal. Daher bekenne ich mich nicht zur Sozialdemokratie, die ein Untergraben derselben bedeutet. In Paris früher habe ich mich mit sozialistischen Schriften von Fourier, Considérant, Proudhon usw. bekanntgemacht, möchte dieselben aber nicht noch einmal lesen. Nach Luther ist der Mensch ein übermütig und verzagtes Ding, und ich darf sagen, ich habe beide Seelenstimmungen sattsam erlebt, jedoch mehr die letztere, überhaupt viel an moralischem und künstlerischem Katzenjammer gelitten. Für das Schaffen anderer habe ich mich immer interessiert, daher auch immer gesucht, mit denen verkehren zu können, die sich auf diesem oder jenem Gebiete schöpferisch auszeichneten. Eine Folge davon war, daß ich stets in einem nicht kleinen Kreise gelebt, am liebsten jedoch, außer mit Afrikareisenden wie Barth, Schweinfurth, Nachtigall usw. mit Künstlern verkehrt habe. Nur der Sinn für Musik ist immer ein sehr geringer bei mir gewesen; am liebsten hörte ich Volkslieder und Kirchengesang, dem ich in katholischen Ländern immer gern beigewohnt habe. Mit fast allen Künstlern der letzten Dezennien habe ich verkehrt, darunter von Diebitsch, Henneberg, Gustav Richter, die Meyerheims, Menzel, Knaus, Karl Becker, Bleibtreu, Spangenberg, Geselschap, so verschieden und entgegengesetzt die hier Genannten auch sein mochten. Vielleicht ein Charakterfehler. Ich tröste mich aber mit dem Spinozaschen Satze, daß die schlechten Seiten des Menschen auch zugleich seine Tugenden seien. Viel Eindruck hat auf mich der indische Spruch gemacht: »Tu' was du willst, und du wirst es bereuen.«
So weit Gentz über sich selber. Ich möchte nach eigenen Wahrnehmungen und Erlebnissen ein paar Worte hinzufügen dürfen.
W. Gentz ist in allem das Gegenteil von einem modernen Radaumenschen, und in gänzlicher Abwesenheit von lärmend anspruchsvoller Inszenierung seiner selbst, liegt sein Wesen und sein Wert. Schon im Gespräche mit ihm zeigt sich dies; er kennt weder die »großen Worte«, noch das nervös Prickelnde der Konversation. Wer das verlangt, wird nicht weit mit ihm kommen; wer indessen weiß, daß ein lange gelagerter und ruhig gewordener Rauenthaler, der's aber in sich hat, besser ist als ein moussierender Mosel, der wird Geschmack und Genuß an Gentzscher Reserviertheit und an seiner das langsam Mecklenburgische streifenden Vortragsweise finden. Ich kann nicht einmal behaupten, überaus häufig mit ihm verkehrt zu haben, und bin ihm doch das Anerkenntnis schuldig, unter den etwa »hundert besten Geschichten«, die mich als eiserner Bestand durchs Leben begleitet haben und noch begleiten, ein halbes Dutzend ihm dankbar anrechnen zu müssen. Und das ist sehr viel. Gleich das erste derart, was ich schon vor beinahe zwanzig Jahren aus seinem Munde hörte, kann als ein Musterstück seiner Vortragsweise gelten, einer Weise, die mir darin zu gipfeln scheint, daß er den anderen oft eine halbe Stunde lang sprechen läßt, bis er plötzlich, an einer ihm passend erscheinenden Stelle, nun seinerseits das Wort nimmt, nicht um eine gleichgültige Bemerkung oder kurze philosophische Betrachtung (darin er übrigens Meister ist), sondern um ein figurenreiches Bild einzuschieben. Er ist dann holländischer Maler mit dem Wort und malt heitere Genreszenen, die mich, in ihrer farbenfrischen Anschaulichkeit, immer an humoristische Schilderungen aus Achim von Arnim erinnert haben.
Aber ich wollte von unserem Erzähler erzählen.
Wir schlenderten am Tiergartenrande hin und ich klagte – wie das jedesmal geschieht, wenn man von einer Sommerreise heimkehrt – über die jämmerlichen Essereien in den qualvoll langweiligen Hotels, und wie mir immer noch das Leben in England als ein Ideal vorschwebe, wo man Ruhe habe vor Lachsmayonnaisen und Aal in Aspik, und sich seinem Genuß an Hammelrippen und Seezungen immer wieder freudig hingeben könne; – nur die natürlichen Gerichte hätten einen Wert.
»Ja«, nahm jetzt Gentz das Wort, »das meine ich auch und habe das nie lebhafter empfunden als einmal in Bayern, in Tagen, wo mir das Hotelessen auch so recht zuwider war. Es traf sich, daß ich zu selber Zeit von einem reichen Patrizier, einem Enthusiasten für Bilder und Archäologisches, zum Frühstück geladen wurde, nahm denn auch an und fand bei meinem Erscheinen schon ein paar andere Gäste vor, mit denen ich mich auch bald danach in ein mit Birkenreisern dekoriertes Eßzimmer geführt sah. Die Fenster standen auf, und alles um uns her war Appetitlichkeit und Frische. Und nun denken Sie sich, was gab es da? Auf einem langen eichenen Tisch lag ein am Spieß gebratenes junges Schwein, aufgebrochen und mit kleinen Thymiansträußen ausgesteckt, was ganz reizend aussah. Wichtiger aber waren lange schmale Spitztüten, die daneben steckten und in denen sich Pfeffer und Salz befand. Nun wurde jedem von uns ein Messer gereicht, das eine ganz eigentümliche Form hatte, beinahe sichelförmig, und so bewaffnet gingen wir in einem Gänsereihen um den Tisch herum, um, wie Jäger, das Revier abzusuchen. Sie werden sich erinnern, daß, wenn man ein Gänsegerüst abknaupelt, es kleine Höhlen und Winkel gibt, wo die eigentlichen Delikatessen liegen, und diese sich halb verbergenden Stellen auch an dem jungen Schweine ausfindig zu machen und dabei dem andern zuvorzukommen, das war nun die Aufgabe. Natürlich wäre ich, als ein Neuling und Uneingeweihter, jämmerlich damit gescheitert, wenn nicht die Liebenswürdigkeit des Wirts sich meiner erbarmt hätte. Da ist mir denn erst klar geworden, was Schweinebraten heißt. Und dazu die Tüten und die Thymiansträuße, und das Kulmbacher Bier (denn es war in der Kulmbacher Gegend), das immer frisch gereicht wurde, – ja, hören Sie, da kann der Halbe Mond in Eisenach oder das Zehnpfundhotel in Thale nicht gegen an, und Sie haben schon ganz recht, wenn Sie sagen, ›nicht bloß das Gesunde, sondern recht eigentlich auch das Feine, das hat man bloß bei den Naturgerichten.‹ Und wirklich, die was davon verstehen, die haben auch immer so gedacht, obenan Friedrich Wilhelm I., der durchaus für Weißkohl und Hammelfleisch war. Kaiser Wilhelm soll auch den Tag gesegnet haben, wo er Brühkartoffeln kennenlernte, vom seligen Goethe gar nicht erst zu reden. Sie wissen, daß ich die Teltower Rüben meine.«
Das war so ein in Worten gemaltes Gentzsches Bild, und wenn ich auch für den Wortlaut der Geschichte nicht mehr einstehen kann, so weiß ich doch die Hauptsache richtig wiedergegeben zu haben.
Und so verliefen Gentzsche Geschichten überhaupt, nur daß die allerechtesten doch noch einen Beisatz von feinem Spott und sozusagen liebevoller Ausmalung menschlicher Schwächen zu haben pflegten. Eine derartig eulenspiegelisch gefärbte Geschichte möchte ich, als zweite Gentziade, hier noch erzählen, und zwar, wie ich zur Beruhigung der Leser gleich hinzusetzen will, auch als letzte.
»...Nun denn, der sogenannte Marine-Krause (reizender Lebemann und tüchtiger Künstler) war auch Lehrer an der Akademie. Kunsthändler Rudolf Lepke kaufte viel von ihm. Eines Tages hielt Krause wieder seine Klasse und ging eben von Platz zu Platz, als ein allen älteren Malern und natürlich auch allen Akademieschülern wohlbekannter Diener Lepkes eintrat, ein Bild unterm Arm. Krause sah sofort, daß es ein Bild von ihm selber war.
»Nun, Zühlke, was gibt es?«
»Ja, Herr Professor...« Und Zühlke sah verlegen auf die jungen Akademiker.
»Na, man 'raus.«
»Ja, Herr Professor, Herr Lepke schickt Ihnen das Bild wieder... Sie hätten alle wieder rote Jacken an... Und rote Jacken, die wollte keiner mehr, die hätten die Leute jetzt über... Er sagte, Sie müßten ihnen andere Jacken anziehen, Herr Professor; anders ging es nicht.«
Krause verfärbte sich und rang anscheinend nach Luft. Endlich hatte er sich seine Rolle zurecht gelegt und fuhr nun los, indem er den Berserker ganz kunstgerecht spielte. »Zühlke, 'raus. Was soll das heißen? Lepke ist verrückt geworden. Raus sag' ich.« Und während Zühlke ging, tobte Krause vor seinen Schülern immer noch weiter und stürzte schließlich dem armen Zühlke nach, vor sich hinbrummend, daß er dem Kerl noch ein paar ordentliche Redensarten an den Kopf schmeißen müsse. Dabei warf er die Klassentür forsch zu und sah nun auch wirklich den Korridor hinunter. Da ging Zühlke noch, das Bild unterm Arm.
»Zühlke!«
»Herr Professor...«
»Zühlke kommen Sie noch mal her. Wissen Sie was, stellen Sie das Bild da hinter die Tür, aber so, daß die Jungens es nicht sehen, wenn sie 'rausstürzen, und sagen Sie Lepken, ich würde den Kerls andere Jacken anziehen. Und grüßen Sie Lepken. Er ist doch wohl?«
»Ganz wohl, Herr Professor.«
»Na, denn is es gut.«
Und sofort die Wutmiene wieder aufsetzend, trat er in den Klassensaal zurück, um noch einiges über den unverschämten Kerl zu sagen.«
So Gentz in seiner zweiten echtesten Geschichte, die mir, neben anderem, auch dadurch unvergeßlich geblieben ist, daß er (wir sprachen gerade von einem durch »Schneidigkeit« sich auszeichnenden Künstler) schmunzelnd hinzusetzte: »Und sehen Sie, so ist der nu gerade auch.« Und wer wollte es bezweifeln, daß er zu solchem Ausspruch ein Recht hatte! Gibt es doch nur ganz wenig Menschen, die frei von solcher Komödianterei sind; andere, die sich wohl frei davon machen möchten, können's nicht, weil sie's von Geschäfts wegen nicht dürfen.
Verbleibt uns, zum Schluß, noch ein Wort über W. Gentz, den Maler. Auch hier wieder können wir seinen eigenen Aufzeichnungen folgen.
»... Ich bin der Ansicht«, so schreibt er, »daß die Kunst modern, d.h. zeitgemäß sein müsse. Ich verehre die alten Künstler im höchsten Grade, ja, finde, daß sie in ihrem Kreise so Vollendetes geleistet, daß es nicht übertroffen werden kann. Ich nenne nur die Sixtinische Madonna und die Gestalten des Phidias. Die moderne Kunst muß also andere Wege einschlagen oder andere Gebiete kultivieren, um damit konkurrieren zu können. Naturalismus – Realismus. Zum Beispiel ein Pferd wie das des ersten Napoleon auf dem winterlichen Rückzuge (von Meissonier) hat nie ein alter Maler so gut gemalt; gemütvolle und humoristische Genreszenen wie Knaus ebensowenig. Das Studium alter Kunst halte ich aber für gut, vielleicht für notwendig. Es gehört schon große Kraft dazu, die Alten so nachzuahmen, daß diese Nachahmungen daneben bestehen können. (Lenbach.) Meiner Neigung nach bin ich Idealist, und doch hat mich meine Naturbegabung nicht dazu befähigt, ideale, phantastische Gestalten und Seelenschilderungen hervorzubringen. Ich habe mich deshalb auf die pittoreske Seite der Natur beschränken müssen. Ich bin mehr Kolorist. Der Farbenzauber übt den größten Reiz auf mich aus, besonders der Tizians, der wohl auf diesem Gebiet das Vollendetste schuf. Den Stil halte ich in der Kunst für notwendig, Stil dahin aufgefaßt, daß er das Triviale, Gemeine, Alltägliche von der Kunst fernzuhalten, aus dem Darzustellenden auszuschließen habe. Stil besitzen demnach auch Rembrandt und Menzel.33) Die Kunst soll nach Vollendung streben, soll ehrliche, gründliche Arbeit verrichten und, soweit dies die modernen »Impressionisten« tun, schließe ich auch diese Richtung innerhalb der Kunst (Fr. von Uhde, Max Klinger) von der Kunst selbst nicht aus. Leider aber wenden sich auch viele junge Künstler dieser Richtung zu, die, bei unleugbarem Talent, doch nicht Energie genug haben, gründlich zu arbeiten und zunächst nur auffallen wollen, was durch den Impressionismus und Intentionismus, dieser äußersten Linken, allerdings möglich ist.
Es ist natürlich, daß ein Künstler das Naheliegende, das Heimatliche, das Vaterländische vollendeter als das Fremde zu schildern vermag. Sollte aber nicht, wie die Wissenschaft, so auch die Kunst dazu berechtigt sein, den ganzen Erdball in ihr Gebiet zu ziehen? Würde jede Nation für sich nur ihr Nationales in Betracht ziehen, so würde zwar dadurch auch der Erdball zur Darstellung gelangen, es müßte dann aber, wenn man sich vor Erstarrung und Enge bewahren wollte, doch immer wieder ein großartiger Kunstaustausch stattfinden, der in der tatsächlichen Anerkennung einer Gleich- oder Mitberechtigung, dem Wesen des Nationalismus doch wieder widersprechen würde.«
So W. Gentz über seine Kunstrichtung, Bemerkungen, denen ich, abschließend, ein paar Worte hinzufügen möchte. So gewiß Paris, seit Horace Vernets Tagen, und vielleicht früher schon, reich an Orientmalern ist, so gewiß ist W. Gentz unter uns ein Unikum geblieben, derart, daß wir vielleicht keinen Künstler haben, selbst große Meister wie Menzel und Knaus nicht ausgeschlossen, mit denen wir eine so bestimmte Vorstellung verknüpfen, wie mit W. Gentz. Er ist Kairo, Jerusalem, Konstantinopel, er ist Sklavenkarawane, Harem, Judenkirchhof und dazwischen Wüste mit Tempeltrümmern und Pyramiden und Fluß und See mit Pelikanen und Flamingos. Die Bilder, die davon abweichen, liegen weit zurück. Der Orient ist seine Welt und der Turban nicht bloß das Kleid, das ihn kleidet, sondern auch das Zeichen, darin er siegt. Ernst, solide, gewissenhaft wie der ganze Mann, ist auch das, was er schafft; ein feiner Humor, der sein Leben durchdringt, adelt auch seine Kunst und heimelt uns daraus an. Er gehört zu den Nicht-Vielen, an denen man sich ermutigen darf, und wenn ich im Streit mit den Verurteilern unserer Zeit aufgefordert werde, Namen zu nennen und den Beweis zu führen für meine günstigere Meinung, so nenne ich auch Wilhelm Gentz und freue mich der Landsmannschaft und daß ich Wand an Wand mit ihm geboren wurde.
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Diese biographische Skizze wurde 1889 auf 1890 geschrieben. W. Gentz war damals siebenundsechzig Jahre und seine feste und erprobte Gesundheit schien ihm noch eine Reihe von Jahren zu versprechen. Es war aber anders beschlossen. Genau um die vorgenannte Zeit (Winter 1889 und 1890) begab er sich mit Frau und Sohn nach Tunis und Tripolis, wo er sich, mit jugendlichem Feuereifer, rastloser und angestrengtester Tätigkeit hingab. Diese rastlose Tätigkeit und mehr noch der plötzliche Wechsel von Sonnenglut und Kälte, legten den Keim zu einem quälenden Leiden. Mit rührender Geduld ertrug er die Beschwerden der Heimfahrt, ohne mit einem Wort zu klagen. Als Sterbender traf er wieder in Berlin ein und entschlief am 23. August 1890.
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32) Sohn des berühmten Hallenser Anatomen, ein Schüler Hans Gudes, lebt in Karlsruhe.
33) W. Gentz scheint hiernach davon auszugehen, daß beiden berühmten Malern (Rembrandt und Menzel) der Stil abgesprochen worden sei, was möglich, mir aber ganz neu ist.