12. »Civibus aevi futuri«


Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor.

Faust

 

Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,

Gesteine siehst du aus dem Schnitte ragen,

Es ist, als habe hier, am Torfmoor hin,

Natur die Trödelbude aufgeschlagen.

Annette von Droste-Hülshoff


Unter den wenigstens durch Ausdehnung hervorragenden Gebäuden der Stadt nimmt das Gymnasium den ersten Rang ein. Es wurde nach dem Brande von 1787 auf dem Platzviereck errichtet, auf dem wenigstens drei Kölner Dome hätten stehen können, und empfing die Inschrift, die ich diesem Kapitel vorgesetzt habe: Civibus aevi futuri.

Die Ruppiner lateinische Schule zählt zu den ältesten der Mark und 1865 konnte bereits das fünfhundertjährige Bestehen dieser alma mater gefeiert werden. Festgedichte von erheblicher Strophenanzahl erschienen, die das Wachsen der Schule von Jahrhundert zu Jahrhundert begleiteten und dem Ruppiner Bürger, insonderheit dem des Reformationszeitalters, das ehrende Zeugnis ausstellten, »daß er durch Beifall, Lob und reiche Spenden die herzudrängenden Jünger des Wissens tatenstark gemacht« und das Ansehen der Schule durch ganz Brandenburg hin begründet habe:

 

»Der Schule Ruf hallt durch die ganze Mark.«

 

So war es im sechzehnten Jahrhundert und so war es auch im neunzehnten noch. Nur die Beschaffenheit des Rufs, »der immer noch durch die Marken hallte«, war inzwischen ein anderer geworden. Wohl war das Gymnasium eine Wissensquelle geblieben, aber was wenigstens in den Tagen meiner eigenen Jugend ihren besonderen Ruf begründete, war doch vorwiegend der Umstand, daß diese Ruppiner Wissensquelle zugleich eine besondere Trostesquelle geworden war. Hier hatte der »Wilde« sein Refugium, hier fühlte der an der bekannten Klippe Gescheiterte wieder Hoffnung und sah das Rettungsboot vom Lande stoßen. Mancher schon dem Untergehen Nahe, hier ist er durch liebevoll zugeworfene Schwimmgürtel sich selbst und dem Staat erhalten geblieben. Und »Gott sei Dank!« so füge ich in meiner Vorliebe für alle diese Anstalten »von der milderen Observanz« hinzu. Sie sind meines Erachtens ein notwendiger Ausgleich für den andern Orts geübten Rigorismus. Denn ich bekämpfe den Satz und werde ihn bis zum letzten Lebenshauche bekämpfen, daß der Normalabiturient oder der durch sieben Examina gegangene Patentpreuße die Blüte der Menschheit repräsentiere. Das Beste, was wir haben, ist ohne diese vorgängigen Proben geleistet worden. Und so seid mir denn gepriesen ihr Schlupflöcher, wo der Nicht-Mustermensch noch Chancen hat, sich glücklich durchwinden zu können!

Die bei Gelegenheit der Jubelfeier von 1865 erschienenen »Annalen« ermöglichen uns einen historischen Überblick über die Schule, den wir aber nicht allzuweit rückwärts ausdehnen. Vor etwa hundert Jahren erlangte sie während des Doppelrektorates von Lieberkühn und Stuve eine Art europäische Berühmtheit. Beide, die zu den Anhängern Basedows zählten, leisteten Bedeutendes in Erweckung eines frischen Geistes in der Jugend und »die mit Vorliebe gepflegte Anthropologie erzeugte eine praktische Diätetik, die viele Schüler selbst in den Häusern ihrer anders denkenden Eltern dazu bestimmte, freiwillig allem Luxus und aller Verwöhnung, so beispielsweise dem Kaffee, dem Bier und Wein zu entsagen. Sie tranken Wasser, schliefen und badeten kalt und gefielen sich in jeglicher Abhärtung des Körpers.«

Aber dies alles war nur Episode. Die Lieberkühn- Stuvesche Herrschaft währte nur wenige Jahre, von 1777–1786; ein Jahr darauf brannten Stadt und Schule nieder und als 1791 unser jetziges »Civibus aevi futuri« aus der Asche erstand, rückten neue Prinzipes und neue Prinzipien in das Gymnasium ein.

Während des ersten Drittels dieses Jahrhunderts regierte Thormeyer, der Schulmonarch, wie er im Buche steht. Ich habe selbst noch bei meinem Eintritt ins Gymnasium ein Cornelius-Nepos-Kapitel unter seinen Augen oder richtiger unter seinen Nüstern übersetzt, und was Thackeray in seinem Vanity fair erzählt, »daß ihm von Zeit zu Zeit immer noch Mr. Birch in seinen Träumen erscheine«, das kann ich auch von meinen Beziehungen zum alten Thormeyer sagen. Er war eine Kolossalfigur mit Löwenkopf und Löwenstimme, lauter Schreckensattribute, die dadurch nicht an Macht verloren, daß man sich schaudernd erzählte, »er sei überhaupt nur von Stendal nach Ruppin versetzt worden, weil er sich an ersterem Ort an seinem Ephorus hart vergriffen habe«. Das Wort »vergriffen« hatte für meine zwölfjährige Knabeneinbildungskraft etwas ganz besonders Schauerliches.

Ich muß bei diesem Manne noch einen Augenblick verweilen, weil sich mir einige »kunsthistorische Bemerkungen« dabei aufdrängen und weil an einer Erscheinung, wie die seinige, der außerordentliche Unterschied zwischen jetzt und damals zutage tritt. Wird alles Gewicht auf das Autoritative gelegt, so haben wir seitdem offenbare Rückschritte gemacht, soll aber andrerseits von gesundem Sinn, von Schönheit und Freiheit die Rede sein, von jener hohen Freiheit, die doch bei allem Lernen und Wissen immer die Hauptsache bleibt und ohne die die ganze Bekanntschaft mit Plato keine Viertelmetze Kirschen wert ist, so haben wir nicht nur Fortschritte gemacht, sondern existiert überhaupt gar keine Verbindung mehr zwischen damals und heute. Thormeyer galt als ein geistreicher Mann. Möglich, daß er es auf seine Weise war, aber diese Weise war derart, daß uns alles, was er sprach oder schrieb, nur wie Bombast oder ein hochgestelzter Gallimathias berührt. Ein paar Beispiele. »Was für positive und negative Beschlüsse ein Schuldirektor zu fassen hat« schreibt er »hängt nicht von ihm und a priori ab – da weder das Dasein Friedrichs des Großen noch dessen Siebenjähriger Krieg sich a priori beweisen läßt – sondern es hängt von dem Besondersten der Zeit und des Ortes ab.« Dieser Satz, der sich durch einen mindestens kühn gewählten Vergleich auszeichnet – denn zwischen der Vorwegbeurteilung eines zwar erst kommenden, aber doch unter allen Umständen einem bereits existierenden Gesetz unterworfenen Falles und dem Vorwegbeweis eines noch erst in der Zukunft ruhenden Menschendaseins, ist ein gewaltiger Unterschied – bietet all seiner Kühnheit unerachtet nur einen Vorgeschmack dessen, was Thormeyer zu leisten imstande war. Voller, gründlicher haben wir ihn in seinen Büchern, beispielsweis in seinem »Erbauungsbuch für studierende Jünglinge«. Darin befindet sich folgende Betrachtung über die Hände. »Die Hände sind an demjenigen Ort befestigt, wo sie alle ihre Geschäfte auf das geschickteste, beste und leichteste verrichten können. Denn hätten sie ihre Stellung hinten erhalten, so könnten ihnen, bei der übrigen jetzigen Beschaffenheit des Leibes, die Augen nicht zustatten kommen, befände sich aber die eine Hand hinten und die andere vorn, so könnten sie einander nicht Hilfe leisten.«

So Thormeyer. Welche »Erbauung« muß dem dürstenden Jüngling aus diesem Erbauungsbuche geflossen sein! Zu dem Behufe versenkte man sich in Anthropologie und Psychologie, das waren die Früchte, die am Baume höherer Erkenntnis wuchsen. Entsprechend dem allen war der Grad sittlicher Freiheit und stolzer Unabhängigkeit im Leben des Mannes selbst. Ein Donnerer in den Klassen, erwies er sich als »devotest, ersterbend« jeder vorgesetzten Behörde gegenüber, diese mochte sein was und wie sie wollte.

Thormeyer schied 1834 aus. Mit diesem Ausscheiden begannen andere bessere Zustände. Was am Ideal noch fehlen mochte, war zum Teil die Nachwirkung voraufgegangener Zeiten. Starke kam, von dem am Jubelfeste 1865 einer seiner Schüler, Geheimer Rat von Quast, sagen durfte: »Nie hat ein anderer Lehrer, auch der berühmtesten keiner, ähnlich ergreifend und bestimmend auf mich eingewirkt.« Dann folgte W. Schwartz, ein Mann von seltener organisatorischer Kraft, eine Autorität auf dem Gebiete märkischer Sage und Geschichte, dessen segensreichem Wirken die Anstalt unter anderm die Aufstellung und Zugänglichmachung eines ihrer größten Schätze verdankt.

Dieser Schatz ist: Das Zietenmuseum.

 

Das Zietenmuseum entstand aus einer reichhaltigen Sammlung naturhistorischer, ethnographischer, namentlich aber vaterländischer Altertümer, die, vom verstorbenen Grafen Zieten auf Wustrau begonnen, schon Anfang der fünfziger Jahre, nach testamentlicher Verfügung, an das Ruppiner Gymnasium übergegangen war. Die Verhältnisse gestatteten nicht gleich eine paßliche Aufstellung. Erst bei Gelegenheit der fünfhundertjährigen Jubelfeier ermöglichte sich dies, und zwar in der Aula des Gymnasiums. Dem Stifter zu Ehren erhielt das Ganze den mehr erwähnten Namen: Zietenmuseum. Eben dieses, inzwischen durch mannigfache Schenkungen bereichert, gliedert sich jetzt in drei Abteilungen, in: 1. eine Bildergalerie, 2. ein ethnographisches und Naturalienkabinett und 3. eine Kollektion vaterländischer Altertümer. Über die zweite Abteilung geh' ich hinweg. Nur über 1 und 3 einige Worte.

Die Porträtgalerie umfaßt die Bildnisse berühmter Männer aus Stadt und Land Ruppin, und zwar: des alten Zieten (Geschenk des Grafen von Zieten-Schwerin auf Wustrau), des Feldmarschalls von dem Knesebeck (Geschenk seines Sohnes, des Majors von dem Knesebeck auf Karwe), des Generalleutnants von Günther (Geschenk der Familie Ebel), des Generals von Wahlen-Jürgaß (Geschenk seines Großneffen, des Herrn Adalbert von Rohr), und endlich des berühmtesten Sohnes der Stadt, Karl Friedrich Schinkels.

Die drei ersten, Zieten, Knesebeck, Günther, sind Brustbilder in Öl, lebensgroß; Wahlen-Jürgaß eine höchst vorzüglich in Blei und schwarzer Tusche ausgeführte Zeichnung; Schinkel ist Büste. Bei jeder Versammlung in der Aula sieht sich der Schüler von den Bildnissen derer umgeben, denen er nacheifern soll in Treue und Mut, in Wahrheit und Schönheit. Daß diese Vorbilder nicht bloß Vorbilder überhaupt, sondern zugleich auch speziellste Heimatsgenossen sind, steigert den Sporn, den sie geben und dadurch ihren Wert und ihre Bedeutung.34)

Die Sammlung vaterländischer Altertümer, in Schränken und Glaskästen aufbewahrt, umfaßt etwa zweihundert Nummern, wovon hundert auf das Stein- und hundert andere auf das Bronzezeitalter kommen.

Was die erstere Hälfte, also die dem Steinzeitalter zugehörigen Gegenstände angeht, so scheint mir die Bedeutung derselben nur eine durchschnittliche zu sein. Eine Ausnahme machen wohl nur diejenigen Nummern – sechs an der Zahl – die unfertig gebliebene Waffen und Geräte, sämtlich aus Feuerstein, aufweisen. Irgendeine Störung hinderte den Werkmeister an der Vollendung dieser Dinge, die nun insoweit zu den allerinteressantesten Funden zählen, als sie uns in die Technik einweihen, die vor anderthalb Jahrtausenden oder länger geübt wurde.

 

Die hundert Nummern aus dem Bronzezeitalter enthalten außer Dutzenden von Framen und Paalstäben, von Harpunen und Lanzenspitzen, einige Unika oder fast Unika, von denen zwei ein besonderes Interesse der Forscher in Anspruch genommen haben: 1. der sogenannte »Kommandostab« und 2. der dreirädrige Thors- oder Odinswagen.

Der »Kommandostab« – den ich übrigens immer noch nicht absolut abgeneigt bin für die Streitaxt eines Häuptlings zu halten, wennschon er sich zu der gleichnamigen Waffe des Mittelalters wie ein Galanteriedegen zu einem Ritterschwerte verhält – ward 1848 auf der Feldmark von Trieplatz gefunden.35) Er hat etwa die Länge eines Armes, besteht aus purer Bronze und setzt sich aus Stiel, Beil und sechs kurzen Stacheln zusammen, von denen je drei zu Seiten der Beilwandung stehen. Es ist eine Waffe von solcher Schönheit, dabei zugleich von solcher Intaktheit und Frische der Erscheinung, daß man sie für eine drei oder höchstens fünf Jahrzehnte alte, eben erst vom feinsten Rost überflogene Arbeit eines modernen Meisters halten könnte.

Die Bedeutung dieses Stückes, das in verwandten Exemplaren vorkommen soll, liegt zumeist in seiner Schönheit. Anders aber verhält es sich mit dem zweiten Prachtstück der Sammlung, mit dem Odinswagen. Er galt jahrzehntelang für ein Unikum und unter gewissen Einschränkungen, die ich in Nachstehendem hervorheben werde, ist er es auch geblieben.

Dieser bronzene Wagen wurde 1848 beim Frankfurt-Drossener Chausseebau ausgegraben und kam durch Kauf an den damals noch lebenden Grafen Zieten in Wustrau. Der Wagen 9 Zoll lang und 4 1/2 Zoll hoch, besteht aus drei auf einer und derselben Achse gehenden Rädern und einer gabelförmigen Deichsel. Die Räder haben vier Speichen; die Deichselgabel, nach innen gekehrt, ruht auf der Achse des Wagens, der, wie ein moderner Perambulator, ein Stoßwagen ist. Man könnte ihn auch, nur um die Gattung zu charakterisieren, mit einem dreirädrigen Schubkarren oder mit einem Pfluge vergleichen, der statt von Pferden gezogen, lediglich durch die Kraft eines starken Pflügers geschoben wird. Form etwa so:

 

 

Was nun diesem ohnehin interessanten Gegenstande noch eine besondere Bedeutung leiht, das sind die sechs Vögel, die auf Deichsel und Deichselgabe sitzen, und zwar auf den von mir mit a bezeichneten Stellen. Verschiedene gelehrte Kenner auf dem Gebiete germanischer Altertumskunde: Jakob Grimm, Lisch, W. Schwartz, Kirchner, Rosenberg, haben festzustellen gesucht, erst welcher Art diese Vögel seien, dann welche Bedeutung sie haben möchten – sind aber weder vor sich selbst zu einer Gewißheit, noch unter einander zu einer Einigung gelangt. Jakob Grimm, in seiner Zuschrift an die Mecklenburgischen Jahrbücher, bezeichnet sie in erster Reihe als Gänse, in zweiter als Schwäne; Lisch hebt hervor, daß es möglicherweise Raben oder aber Nachbildungen jener kleinen in Dänemark und Island vorkommenden Wasservögel seien, die dort den Namen Odens fugl, Odinsvögel, führen. Ich meine, es können nur Gänse sein. Noch größer freilich ist die Ähnlichkeit mit jenen wilden Enten, die so oft in Scharen die nordischen Gewässer bedecken.

Der Wagen selbst, darin ist den betreffenden Auslassungen zuzustimmen, kann unmöglich einem technischen Zwecke gedient haben. Kirchner vermutet in ihm einen Wagen Thors, der, bei dem Kultus dieses Gottes, in Priesterhand seine Verwendung fand; Lisch bezeichnet ihn als ein Symbol, beziehungsweise als ein Attribut Wodans oder Odins. Er hebt dabei hervor: »Wir lesen nicht nur von den Wanderungen Odins, sondern auch von seinem Wagen, seinem Weg und Geleit.«

Diese Mitteilungen mögen hier genügen. Was indessen auch die Meinung dieses Attributes gewesen sein möge, der Wagen selbst, der wenigstens in dieser Ausrüstung einzig dasteht,36 ist nicht nur ein Schatz der Ruppiner Sammlung, sondern macht auch diese selbst wieder zu einem von der Wissenschaft zu beachtenden Gegenstande.

Das Hauptgewicht freilich ist auf die Bedeutung zu legen, die die Schule selbst, als geistiger Mittelpunkt einer ganz bestimmten Lokalität, aus dieser Sammlung gewinnt. Ebenso wie bei der oben geschilderten Porträtgalerie, liegt auch hier, in dieser Kollektion von Altertümern, etwas Anregendes darin, daß alles Beste, was die Sammlung bietet, entweder in dem immerhin engen Kreise der heimatlichen Provinz oder sogar in dem allerengsten der Grafschaft selbst gefunden ist. Eine Streitaxt, wie die vorstehend geschilderte, ist allerorten interessant, aber sie ist es doppelt und dreifach, wenn sie auf dem Acker meines Gutsnachbarn ausgegraben wurde. Genau dies ist es, was die sonst tote Landschaft, den Elsengrund und das Torfmoor belebt, und auch in den ödesten Heidestrich eine Welt voll Leben zaubert.

 

Es braucht kaum versichert zu werden, daß sich Torf und Sand nicht darauf kapriziert haben, eine Aufbewahrungsstätte für Raritäten aus den Zeiten Odins zu sein. Auch Späteres ist in diesen Torfboden versenkt worden und auch von diesem Späteren birgt die Ruppiner Sammlung einiges von Interesse. Nur zweier dieser Gegenstände sei hier erwähnt: eines Hakens (zum Ziehen der Ackerfurche) von Eichenholz, und einer eisernen sogenannten Götz-Hand.

Der Haken von Eichenholz, 4 Fuß 5 Zoll lang, wurde bei Entwässerung eines drei Morgen großen Pfuhls in der Nähe des Dorfes Dabergotz gefunden. Der Boden bestand oben aus einer 3 bis 5 Fuß tiefen Torflage, dann Ton, dann Humus, dann Kalk, dann Kiesgrund. Zwischen der Kalk- und Kieslage, im ganzen etwa 10 Fuß tief unter der Oberfläche, ward im November 1822 der Haken gefunden, einige Wochen später auch das noch fehlende Stück, das seinerzeit augenscheinlich die Stelle des Hakeneisens vertreten hatte, da es sich schaufelförmig und aus härterem Holze gearbeitet erwies. Welcher Zeit dieses primitive Ackergerät angehört, dürfte schwer festzustellen sein.37)

Die Götz-Hand ist wohl mindestens ein halbes Jahrtausend jünger. Sie ward im Februar 1836 bei der Schiffbarmachung des Rhins, innerhalb der Stadt Alt- Ruppin, dicht neben der langen Brücke gefunden. Diese eiserne Hand ist zum Festschnallen am linken Arm eingerichtet und hat, der Maschinerie nach, wahrscheinlich zur Führung des Zügels mit der Linken gedient. Der Rost hat an einzelnen Stellen das Innere offen gelegt und man sieht mit Hilfe dieser Öffnungen die kleinen Räder des Mechanismus, der sich in seiner Gesamtheit gut genug erhalten hat, um auch jetzt noch die gekrümmten und beweglichen Finger in jede beliebige Stellung bringen und in dieser fixieren zu können. Dies wird durch Schieben an einer Daumplatte und mittelst zweier Knöpfe an der Handwurzel bewirkt.

 

Der letzte Gegenstand, über den ich berichten möchte, hängt verstaubt und verspinnwebt an einer Fensterwand und hat ebenso wenig gemein mit dem Bronzewagen Odins, wie mit der eisernen Hand irgendeines märkischen Götz. Es ist dies eine Rokokoschöpfung und zwar ein etwa 8 zu 4 Zoll großer Kupferstich, der folgende langatmige Unterschrift führt: »Berlins Menschenliebe kommt Ruppin in der Asche liegend zu Hilfe; – die Hoffnung zeigt ihr Den, der es wieder erheben wird, Engel des Himmels freuen sich dieser Wohlthaten. Den abgebrannten Ruppinern gewidmet von D. Chodowiecki.«

Eigentümlich wie diese Unterschrift ist das ganze Blatt. Die abgebrannte Ruppina liegt am Boden, der extravaganten Fülle ihrer Formen nach so unterstützungsbedürftig wie nur möglich. Nichtsdestoweniger erscheint Berolina, angetan mit Lorbeer und Mauerkrone, um der wohlkonservierten aber nackten Schwester ihr Gabenfüllhorn entgegenzutragen. Es scheint jedoch, daß jene (Berolina) beim Anblick der Schwester wieder schwankt und erst auf das Erscheinen der Menschenliebe wartet, die denn auch schließlich, halb zuredend, halb tatsächlich drängend, die Zögernde weiter vorwärtsschiebt. Diese drei Figuren bilden die eine Gruppe, neben welche sich, gut miteinander verbunden, eine zweite Gruppe stellt. Die zwischen Wolken ruhende Hoffnung (in Wahrheit eine Pompadour, die sich auf Polstern streckt) zeigt auf die Porträtbüste Friedrich Wilhelms II., Palmen wachsen rätselhaft dazwischen und zu Häupten schweben Engel, die, jeder Askese los und ledig, in nächster verwandtschaftlicher Beziehung zu Amor und Amoretten stehen.

Ein wunderliches Blatt: sinnreich, amüsant und von guter Technik, vor allem auch (was ich nicht gering anschlage) kühn und naiv zugleich. Im ganzen aber, trotz dieser und anderer Vorzüge, wenig erquicklich, mehr Karikatur als Kunst, und interessant allein in seiner Verschmelzung von Genie und Philistrosität, von künstlerischer Freiheit und politischer Befangenheit.

Chodowiecki gilt als ein Meister ersten Ranges, und das Rokoko, das er vertritt, tritt eben jetzt wieder in die Mode. Gut; ich unterwerfe mich den Tatsachen, den Konsequenzen einer natürlichen Entwicklung. Und doch wäre es hart, wenn es hundert Jahre nach Schinkel wieder dahin käme, daß die Berolina (die »Menschenliebe« wie eine Stoßlokomotive hinter sich) der nackt in Asche daliegenden Ruppina das Füllhorn ihrer Gnaden in Gestalt einer Pfefferkuchentüte darbringen und dabei der künstlerischen Zustimmung des Zeitalters sicher sein dürfte.

 

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34) Gegenüber den Bildnissen der Generale befinden sich die Porträts der drei letzten Direktoren: Thormeyer, Starke, Schwartz.

35) Herr von Rohr auf Trieplatz, der herrschenden Ansicht sich anschließend, daß dieser »Kommandostab« keine Waffe gewesen sei, schreibt mir darüber, wie zugleich auch über die Art der Auffindung, das Folgende: Die Talränder der Dosse treten an mehreren Stellen bedeutend zurück, wodurch Niederungen, Brüche gebildet werden. Diese, früher mit Espen, Elsen und Gestrüpp dicht bewachsen, dienten in Kriegszeiten als Schlupfwinkel. In den vierziger Jahren, nachdem ich zehn Jahre vorher das Gut übernommen hatte, begann ich damit, in dieser Niederung nach Torf graben zu lassen. Bei dieser Gelegenheit fanden meine Arbeiter, 6 bis 8 Fuß tief, im schönsten Torf, zwei bronzene Streitäxte, zwei Armspangen von demselben Metall, 10 bis 20 Ellen Kupferdraht, vermoderte Baumstämme und Geweihe. Nach der Tiefe der Lage in dem vollkommen reinen Torf zu schließen, müssen diese Gegenstände viele Jahrhunderte lang an dieser Stelle gelegen haben. Es scheint mir klar, daß die Streitäxte oder »Kommandostäbe«, wie man sie jetzt nennt, keine Waffen waren; ihre relative Gebrechlichkeit spricht dagegen. Sie wurden vielleicht von den Liktoren mit den Rutenbündeln den Kohorten vorgetragen, oder wie jetzt von den Führern als Feldmarschallsstab gebraucht. Den römischen Ursprung halte ich für unzweifelhaft und die Auffindung hier spricht nicht dagegen. Die Römer selbst haben sie hier freilich nicht hergebracht, aber die Deutschen, entweder als Beute oder (zurückkehrend aus römischem Kriegsdienst) als Auszeichnung für das von ihnen Geleistete. Im Berliner Museum befinden sich noch einige solcher Kommandostäbe.

36) Es existiert noch (siehe den 16. Band der Mecklenburgischen Jahrbücher) ein ähnlicher, im Jahre 1843 zu Peckatel bei Schwerin und zwar in einem Kegelgrabe gefundener, ebenfalls aus Bronze gegossener Wagen. Dieser Wagen hat indessen zweimal zwei Räder und einen derartig geformten Langbaum zwischen den zwei Achsen der Vorder- und Hinterräder, daß man sieht, die Bestimmung des Wagens ging dahin, irgend etwas, vielleicht eine Bronzevase, zu tragen. Man darf also den im Zietenmuseum befindlichen Wagen insoweit als ein Unikum ansehen, als er sich von dem in Peckatel gefundenen, nach Form und vielleicht auch nach seiner Bestimmung unterscheidet. – Ein dritter, bei Waren in Mecklenburg ausgegrabener Bronzewagen, ist wieder verlorengegangen

37) Ein Aufsatz in den »Märkischen Forschungen« bezeichnet diesen Haken als uralt. Die Tiefe, darin er gefunden wurde, sowie drei steinere Streitäxte, die neben ihm lagen, scheinen ihn allerdings bis in eine früheste Zeit zurückzudatieren, dennoch unterhalte ich Zweifel dagegen und möchte ihn nicht früher setzen als die späte Wendenzeit. Ein neuerdings erschienenes Buch: Andree, Wendische Wanderstudien, Stuttgart 1874, bestärkt mich in dieser Annahme. Es heißt darin S. 147: »Der Deutsche arbeitete mit einem schweren Pfluge, der Slawe mit einem leichten Haken.«




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 © textlog.de 2004 • 06.11.2024 01:11:34 •
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