Schloß Friedersdorf
| Ich kenne die Türme, die Zinnen, Die steinerne Brücke, das Tor.
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In der Nähe von Gusow liegt Friedersdorf, seit Ende des siebzehnten Jahrhunderts im Besitze der Familie von der Marwitz.36)
Vom Städtchen Seelow aus erreicht man es in einer Viertelstunde. Die Landschaft ist reizlos, im wesentlichen auch das Dorf, und erst in der Mitte desselben, wo wir die Parkbäume, die bis dahin den Untergrund des Bildes bildeten, in einem flachen, weit gedehnten Teiche sich spiegeln und die weißgrauen Wände des Schlosses durch das ziemlich dichte Laubwerk hindurchschimmern sehen, wird es uns leichter ums Herz. Und jetzt noch eine Biegung und durch eine von zwei Obelisken gebildete Einfahrt hin, führt uns unser Weg bis vor die gastlich geöffnete Tür.
Das Friedersdorfer Herrenhaus ist so recht das, was unsere Phantasie sich auszumalen liebt, wenn wir von »alten Schlössern« hören. Die Frage nach dem Maß der Schönheit wird gar nicht laut; alles ist charaktervoll und pittoresk, und das genügt. Auch hier. Die Front- und Seitengiebel sind staffelförmig mit Türmchen besetzt, und die hohen und deshalb schmal erscheinenden Fenster mit ihren desto breiteren Pfeilern dazwischen, steigern nur den Eindruck des Eigentümlichen und geben ein Ansehen von Halt und Festigkeit. Rosenbäume wachsen über die Glastür hinaus, die von der Halle her in Park und Garten führt, vor der Front des Hauses aber, inmitten eines von Kieswegen umzirkten und von mächtigen alten Kastanien überschatteten Grasplatzes, stehen ein paar gußeiserne Böller und mahnen an den kriegerischen Geist, der hier durch viele Generationen hin lebendig war.
Wir betreten das Haus und verwundern uns über seine Raumfülle. Das macht, es stammt noch aus jener vornehmen Zeit her, wo man die vorhandene Gesamträumlichkeit in wenige imposante Gemächer teilte, statt sie wie jetzt in zahllose Stuben und Stübchen hotelartig zu verzetteln. Die Baumeister waren damals noch bei keinen Hauswirten in die Schule gegangen und hatten noch nicht gelernt, der trivialsten Ökonomie die Schönheit und Stattlichkeit der Verhältnisse zu opfern. Es war noch die Epoche der Treppen und Korridore, die Zeit der Renaissance.
Die Halle des Hauses nimmt uns auf, und zahlreiche Familienporträts blicken auf uns nieder, als stattlichstes unter ihnen ein Porträt über dem Kamin. Es ist das überlebensgroße Bildnis des alten Generalleutnants von Görtzke, des sogenannten »Paladins des Großen Kurfürsten«, der im Jahre 1652 Schloß Friedersdorf erstand, es renovieren ließ und in ihm verstarb. Wie derselbe lebenslang neben Derfflinger gestanden und den Ruhm des alten Feldmarschalls geteilt hatte, so fand er sich auch schließlich wieder auf nachbarlicher Scholle mit ihm zusammen.
Dieses Bild über dem Kamin interessiert uns aus mehr als einem Grunde. Ganz geharnischt, den Kommandostab in der Rechten, die leichte Feldbinde um den Hals, so steht der Alte da. Sein Helm ruht neben ihm auf einem Felsvorsprung und das lange Haar fällt dunkel und beinah lockig herab. Finsterer Ernst und kalte Bestimmtheit sprechen aus seinen Zügen. Es knüpft sich ein anekdotischer Hergang an dieses Bild, charakteristisch für den Mann und die Zeit, und vielleicht auch für die Stellung, die die schönen Künste damals in brandenburgischen Landen einnahmen. Görtzke war bei Lützen schwer verwundet worden und hinkte seitdem; sein linker Fuß war zu kurz geheilt und eine dicke, handhohe Holzsohle mußte wieder gutmachen, was das Unglück oder das Ungeschick des Arztes verschuldet hatte. Es scheint, daß er sich an diesen Holzfuß nicht gern erinnern ließ oder eine Vorstellung von der Pflicht des Idealisierens hatte, die dem romantischsten Vertreter der ehemaligen Düsseldorfer Schule Ehre gemacht haben würde. Als der Maler ihm das Bild brachte, fiel Görtzkes Auge zuerst auf die Holzsohle, die natürlich nicht fehlte, und im Unmut über den gewissenhaften Realisten warf er ihn die Treppe hinunter. Eine kaum minder empfindliche Strafe folgte: Görtzke behielt das Bild und verweigerte die Zahlung.
Das lebhafte Interesse, das wir zeigen, führt zu der Mitteilung, daß noch ein zweites Bild des alten Paladin, ein Grabsteinbild vorhanden sei und diesem zweiten Bildnisse durch die Kiesgänge des Parkes hin nachgehend, blicken wir alsbald in eine Dorfkirche hinein, die sehr wahrscheinlich in märkischen Landen nicht ihresgleichen hat. Ein Zusammenwirken von Umständen war nötig, um eine Ausschmückung wie diese zu schaffen: lang andauernden Besitz und ein Herz für Kunst und Kirche. Saubere Pfeiler von braunem Eichenholz tragen die weit vorspringenden Emporen, und allerhand Bilder und Inschriften umziehen die Brüstung derselben. Überall treten aus dem alten Mauerwerke Grabmonumente hervor, und Porträts, Sarkophage, Büsten und symbolische Figuren leihen diesem Kircheninneren etwas von dem Schönheitlichen und beinah heiter Anregenden eines Museums. Was den Eindruck dieser künstlerischen Heiterkeit noch steigert, ist das Vorherrschen der Farbe oder doch ihr glückliches sich Vermählen mit dem Weiß des Marmors. Steinerne Grabmonumente wecken oft mehr Schauer als Erhebung, hier aber werden die weißen Marmorgruppen zu bloßen Umrahmungen für die Bilder, die nun den Sieg über den kalten Marmor und die noch kältere Symbolik davontragen. Der Saturn wird zum gemütlichen Alten, wenn er ein Medaillonbild in Händen hält, das in allen Farben des Lebens lacht.
Unter solchen Betrachtungen sind wir das Mittelschiff hinaufgeschritten und werden nunmehr, unmittelbar zur Linken des Altars, jenes Görtzkeschen Steinbildes gewahr, das zunächst Veranlassung zu unserem Kirchenbesuche gab. Neben ihm, in gleicher Höhe und Größe, ist das Reliefbild seiner Gemahlin, einer geborenen von Schlieben, in den Wandpfeiler eingelassen. Beide Grabsteine lagen früher an anderer Stelle, unmittelbar über der Gruft, und erst bei Renovierung der Kirche hat man sie aufgerichtet und ihnen den Ehrenplatz neben dem Altar gegeben. Vergleicht man dieses Steinbild des alten Görtzke mit seinem Ölporträt in der Halle, so bemerkt man allerdings Verschiedenheiten. Der Klumpfuß und die Krücke zeigen sich auch hier; ebenso tritt einem etwas typisch Märkisches im Ausdruck des Kopfes entgegen. Aber hiermit sind auch die Ähnlichkeiten erschöpft, und Wohlwollen, Heiterkeit und Bonhomie präsentieren sich anstelle des Herb-Martialischen, das unverkennbar aus dem Ölbilde spricht.
Ein kurzer Lebensabriß des »Paladin« möge zunächst hier seine Stelle finden.
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36) Wie diese Familie zu den ältesten der Mark gehört, so ist es ihr auch vorbehalten gewesen, durch drei Generationen hin, ihren Namen mit unserer Landesgeschichte zu verweben und zum Ruhme derselben beizusteuern. In hundertfünfzig Jahren gingen mehrere hundert Offiziere aus ihr hervor, darunter acht Generale. Nur wenigen Familien (fünf) war es vergönnt, die Marwitze nach dieser Seite hin zu überflügeln; die Kleist weisen vierzehn auf, die Schwerin elf, die von der Goltz zehn, die Bork und die Bredow neun.