Wilhelm Hensel.
Grabstätte
Am 26. November 1861 war W. Hensel gestorben und am 30. trugen ihn seine Freunde hinaus. Auf dem alten Dreifaltigkeitskirchhof, unmittelbar links vom Halleschen Tore, bereitete man ihm an der Seite Fanny Mendelssohns, deren Andenken er fast einen Kultus gewidmet hatte, die letzte Ruhestätte.
Sein Grab zu besuchen, zugleich auch über die Daten seiner Geburt und seines Todes volle Gewißheit zu erlangen, bog ich, in diesen letzten Maitagen, in den dunklen, kastanienüberschatteten Gang ein, der bis an das Tor des alten Kirchhofes führt.
»Ist hier der Mendelssohnsche Begräbnisplatz?« fragte ich.
Ein zwölfjähriges, klug aussehendes Kind, an das ich die Frage gerichtet, nickte mir freundlich zu, setzte dann, als ob sich's von selbst verstünde, das ihrer Hut anvertraute Schwesterchen ins Gras nieder und sagte: »Kommen Sie nur. Es ist schwer zu finden.« Dabei lief sie vor mir her, ein Gewirr von Gängen und Steigen passierend, und nur von Zeit zu Zeit sich umsehend, ob ich auch folge. Wirklich es war schwer zu finden, schwerer noch als ich gedacht hatte, denn drei, vier Kirchhöfe schoben sich hier mit ihren auslaufenden Spitzen so dicht und eng ineinander ein, wie die Finger zweier gefalteten Hände.
Schließlich hielten wir vor einer umgitterten Stelle von mäßiger Größe.
»Hier das Mittelgrab ist das Grab von Felix Mendelssohn-Bartholdy.« Sie gab ihm seinen vollen Namen. Daß ich Wilhelm Hensels wegen gekommen sein könne, dieser Gedanke lag ihr fern. Und danach knicksend und meinem Danke sich entziehend, lief sie wieder im Zickzack bis zu der Stelle zurück, wo ich sie gefunden hatte.
Die Mendelssohnsche Begräbnisstätte bildet einen Staat im Staat, einen Kirchhof auf dem Kirchhof. Es sind fünf Gräber, alle gleichmäßig von Efeu überwachsen. Darunter ruhen, neben andern Mitgliedern der Familie, Felix Mendelssohn, Fanny Mendelssohn (die Gattin Wilhelm Hensels) und endlich Wilhelm Hensel selbst. Dem Hause, dem er im Leben anhing, ist er auch im Tode treu geblieben.
Alle Arten von Immergrün fassen das Gitter ein: Efeu, Buchsbaum, Taxus, Lebensbaum und eine hohe Zypresse überragt das Ganze. Die Gräber haben Marmorkreuze; nur zu Häupten Fanny Hensels steht ein zugeschrägter, schön polierter Granit, der außer Namen und Daten, die Worte trägt:
Gedanken gehn und Lieder
Fort bis ins Himmelreich
Fort bis ins Himmelreich.
Auch die Noten der Liedeskomposition sind in Goldschrift beigefügt, was einen sehr eigentümlichen Eindruck macht. Worin übrigens kein Tadel liegen soll. Im Gegenteil. Ich sehe nicht ein, warum nur Fahnen und Kanonen das Vorrecht genießen sollen, als Denkmal- oder Grabsteinberechtigt zu gelten. Je häufiger und konsequenter diese langweilige Tradition durchbrochen wird, desto besser.
W. H.'s Grabschrift lautet: Wilhelm Hensel, Professor und Hofmaler; geb. zu Linum den 6. Juli 1794, gest. zu Berlin den 26. November 1861.
Geboren zu Linum. Also doch! Und so bat ich denn meinem Trebbiner Schützenmajor ab, über den großen Sohn seiner Stadt, der sich nun schließlich als ein Linumer Kind herausstellte, so schlecht unterrichtet gewesen zu sein.
Aber auch diese reumütige Stimmung hatte keine Dauer und konnte sie nicht haben. Er war eben doch ein Trebbiner. Eine sich entspinnende Zeitungskontroverse ließ mir, nach Austausch einiger Pros und Kontras, endlich keine Zweifel darüber, daß sich auch dieser Grabstein, in Geltendmachung traditioneller Vorrechte, geirrt habe.
Noch einmal also: W. Hensel geb. zu Trebbin.!