2. Die jüngeren Zyniker: Diogenes, Krates u. a.


Die soeben geschilderten Züge bildeten sich in der zynischen Schule immer stärker aus. Der Bruch mit allen bestehenden Anschauungen, zu dem Antisthenes' Lehre hinleitete, wurde von seinen Jüngern ins Praktische übersetzt. Die Überspannung des Prinzips der Bedürfnislosigkeit führte die Zyniker bald zu einer Oppositionsstellung gegenüber aller Zivilisation, einer Verherrlichung des die Tiere und den Urmenschen zum Muster nehmenden Naturzustandes, wie sie in der kulturgeschichtlich so bekannten Gestalt des Diogenes von Sinope (• 323 zu Korinth) sich darstellt: jenes Sonderlings mit seinem Bettlerleben, ohne feste Wohnung, mit dürftigster Kleidung und Gerät und diese Bedürfnislosigkeit gern zur Schau tragend, dabei derbwitzig, schlagfertig und willensstark. Übrigens werden nicht bloß von Antisthenes, sondern auch von Diogenes Schriften, von letzterem sogar Dramen erwähnt. Der bedeutendste und gebildetste von Diogenes' Schülern war der freiwillig seines Reichtums sich entäußernde Thebaner Krates, dem zuliebe die ebenso vornehme und geistreiche Hipparchia sein Bettlerleben teilte. Charakteristisch ist, dass Krates das Wahrzeichen dieser griechischen Bettlerphilosophen oder »Philosophen des griechischen Proletariats«, wie man sie neuerdings genannt hat, den Ranzen, ebenso dichterisch besingt als die »nimmer vom Joche der Lust gebeugte und nimmer geknechtete unsterbliche Königin Freiheit«. Vom Schwarzen Meere stammten auch die späteren Zyniker Bion und Menippos, der ursprünglich Sklave war.

Mit der berechtigten Auflehnung gegen die Übel der Kultur verbindet sich bei den meisten dieser jüngeren Zyniker eine törichte Verwerfung aller ihrer Segnungen, mit dem Dringen auf das Natürliche eine ins Rohe gehende Übertreibung ihres Grundsatzes »Nichts Natürliches bringt Schande«, namentlich in Beziehung aufs Geschlechtliche, die es verschuldet hat, dass noch heute die Worte »zynisch« und »Zynismus« zur Bezeichnung des Schamlosen in Worten und Handlungen dienen. Lobenswert dagegen ist ihre Willensstärke, Einfachheit, Selbständigkeit, ihr ganz unhellenisches Eintreten für die Aufhebung aller menschentrennenden Schranken der Stände, des Geschlechts und der Nationalität, endlich ihr geläuterter Gottesglaube, der sie nicht in Kulthandlungen, sondern allein in der Ausübung der Tugend den wahren Gottesdienst finden hieß. Wissenschaftlich dagegen haben die Zyniker so gut wie nichts geleistet. Eine Art Nachblüte erlebte ihre Lehre im ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert (s. unten § 46). Ihre besseren Seiten pflanzten sich in der Stoa (§ 36-38) fort.


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