1. Antisthenes


Antisthenes, um 440 zu Athen, jedoch von einer thrakischen Mutter geboren, hatte schon den Unterricht des Gorgias genossen und wie dieser Unterricht in der Redekunst erteilt, ehe er, in ziemlich vorgeschrittenem Alter, zu Sokrates kam. Selbst - wenigstens später - arm, fühlte er sich als Wortführer der niederen Klassen. Er lehrte im Gymnasium Kynosarges; wahrscheinlich deshalb, weniger ihrer »hündischen« Lebensweise wegen, haben seine Anhänger den Namen »Kyniker« bekommen. Er starb um 370.

Wie Gorgias zeigte er sich in der Erkenntnislehre als Skeptiker. Jedem Dinge soll nur sein eigener Name, kein fremdes Prädikat gegeben werden, beispielsweise: der Mensch ist Mensch, Gut ist gut, nicht aber: der Mensch ist gut. Das Einfache könne höchstens mit anderen Dingen verglichen, das Zusammengesetzte durch Aufzählung seiner Bestandteile erklärt werden. Er befehdete Platos Ideenlehre heftig - »ich sehe ein Pferd, keine Pferdheit« - und wird auch von diesem in seinen Schriften vielfach, wiewohl ohne Namensnennung, bekämpft. Alle Wissenschaft, die nicht auf das Praktische geht, gilt ihm als eitler Tand.

Denn als Philosophie gilt Antisthenes einzig und allein die Ethik. Den Inhalt zu dieser aber gab ihm nicht sowohl die Lehre als die Persönlichkeit des Sokrates. Zur wahren Glückseligkeit, zur »reuelosen Lust« führt den Menschen nicht das Wissen, sondern allein die Tugend; zu dieser aber bedarf es nichts weiter als der sokratischen Kraft, der Selbstbezwingung. Nicht aufs Reden, aufs Handeln kommt es an. Zwar nennt auch Antisthenes die Tugend lehrbar, aber Lehre fällt ihm mit Übung und Gewöhnung, Einsicht und Weisheit mit Willensfestigkeit zusammen. Dem einen Guten steht auch nur ein Übel, die Schlechtigkeit, gegenüber. Alle anderen Dinge: Vermögen, Ehre, Gesundheit, Freiheit, Familie, Staat, Vaterland (man erinnere sich an sein Halbgriechentum!) sind gleichgültig. Die Tugend ist nur eine, für Mann und Weib, Herrn und Knecht; Sklave ist bloß der, welcher sich von seinen Lüsten beherrschen läßt. So erscheint sein Tugendideal wesentlich negativ, als Enthaltsamkeit vom Schlechten wie von den vermeintlichen Gütern des Menschen. Tugend ist ihm Bedürfnislosigkeit. In schroffem Gegensatz zu Aristipp sagte Antisthenes: »Ich möchte lieber verrückt als vergnügt sein!« Eine Art antiker Rousseau, empfahl er Abhärtung des Körpers, Rückkehr von der überfeinerten Kultur zur einfachsten Natur und zur ehrlichen Arbeit. Herakles' mühevolles Leben galt ihm und den Seinen als Vorbild, der Klügler Prometheus dagegen habe mit den Anfängen der Kultur auch den Beginn der Verderbnis unter die Menschen gebracht. Die Volksreligion verwarf Antisthenes zugunsten eines reinen Monotheismus, in dessen Sinne er die Götter- und Heroensagen umdeutete. Er hat einen mächtigen Einfluß ausgeübt, außerhalb seiner eigentlichen Schule auch auf Xenophon. Grundsätzlich steht er trotz alledem mit seinem Gegenfüßler Aristipp auf demselben Boden; auch ihm ist das Ziel des Weisen - die Glückseligkeit.


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