2. Origenes
Ein zusammenhängendes theologisches System, das erste und neben Augustin bedeutendste der gesamten Patristik, schuf erst Clemens' größerer Schüler Origenes (Werke ed. Migne in 7 Bänden und Koetschau im Auftrage der Berl. Ak. unvollendet, 2 Bde., Leipzig 1899, vgl. die ausführliche Monographie von Denis, Paris 1884).
Origenes, 185 wahrscheinlich zu Alexandrien geboren, der erste unter den hervorragenden Kirchenvätern, der schon von Geburt ein Christ war, bei dem also die christliche Bildung der philosophischen voranging, wurde bereits mit 18 Jahren Lehrer an der Katechetenschule. 232 wegen seiner Abweichung von der orthodoxen Lehre aus dem Priesterstande ausgeschlossen, mußte er Alexandria verlassen, lehrte aber weiter in Cäsarea und starb in Tyrus 254. Durch seinen ehernen Fleiß, nach anderen durch seine Unbezwinglichkeit im Wortkampf, hatte er sich den Beinamen »der Stählerne« erworben. Seine asketischen Anschauungen sollen ihn zur Selbstentmannung getrieben haben. Seine zahlreichen theologischen Schriften gehen uns hier nichts an. Von den philosophischen sind erhalten: 1. die nicht besonders gelungene Verteidigung des Christentums gegen die scharfsinnigen Angriffe des Celsus (§ 47), 2. sein systematisches Hauptwerk Von den Grundlehren (Peri archôn) in vier Büchern, dessen Hauptmasse bloß in einer abschwächenden lateinischen Bearbeitung (De principiis) erhalten ist.
Für Origenes bleiben zwar die biblischen Lehren der Inhalt des Glaubens, aber nur in ihrer spekulativen Erfassung stellen sie das wahre Christentum dar. Er erstrebte eine so völlige Einheit von Christentum und Philosophie, dass der Neuplatoniker Porphyrius (§ 49) sein System, bis auf die eingestreuten »fremden Fabeln«, billigen zu können erklärte. Bei diesem spekulativen Aufbau kam er freilich, wie schon Clemens, zu der Unterscheidung einer mythischen Form der Religion für die Masse, die dem Kinde gleich die Wahrheit nur in Hüllen und Bildern zu schauen vermag, und einer vergeistigten für die Wissenden. Den Inhalt seines Systems entnimmt er, wenn auch vielfach in eigenartiger Durchbildung, der neuplatonisch-gnostischen Metaphysik seiner Zeit; er ist auch bei ihm in erster Linie ein kosmologischer.
a) An der Spitze steht die Lehre von Gott als dem ewigen Urgrund aller Dinge; auf ihn, den Einen, weist alles Geschaffene in seiner Ordnung, seiner Unselbständigkeit und seiner Sehnsucht zurück. Er ist ewig, unveränderlich, allmächtig, allwissend, allgütig und allgerecht. Kraft seiner Fülle erzeugt er beständig den Sohn (Logos), wie das Licht seinen eigenen Glanz. Dieser, der in Christus sich verkörperte, aber von Ewigkeit her bei dem Vater war, ist seinerseits das Urbild der geschaffenen Geister vom höchsten bis zum niedersten (die Idee der Ideen); der höchste geschaffene ist die dritte Person der Gottheit, der Heilige Geist.
b) Indem die geschaffenen Geister von ihrer Freiheit Gebrauch machen, stellt sich Trägheit, Verfehlung usw., kurzum Abfall von Gott ein. So entsteht die Welt, die so ewig wie Gott selbst ist, da dieser zu keiner Zeit ohne Schaffen sein kann, aber von seinem Willen abhängt, und schließlich der Mensch, der an die Materie, das »Nicht-Seiende« (vgl. Plato) gefesselt ist. Durch seine freie Wahl - Origenes bemüht sich ausführlich, die Willensfreiheit zu beweisen - entstand das Böse, d.h. die Abwendung von der Fülle des wahren Seins in Gott.
c) Aber über der gesamten Welt der Geister, Menschen wie Engel, waltet ein göttlicher Erziehungsplan (vgl. Irenäus), der schließlich alle - sogar den Teufel - erlöst, d. i. zu ihrer ursprünglichen Wesenseinheit mit Gott zurückbringt (apokatastasis = Wiederherstellung). Sie wird vollbracht durch den in Christus fleischgewordenen Logos, der jedem von uns so viel Anteil an seinem Wesen gibt, als wir (ein zarter Gedanke) Liebe zu ihm empfinden. Das ethisch-religiöse Ziel für den Einzelnen wie die Gesamtheit ist die gegen alle irdischen Übel unempfindliche Ruhe in Gott.
d) Wie verhält sich nun Origenes' spekulative Auffassung zu den biblischen Schriften ? Sie gelten ihm - das merke man bei ihrer Lektüre - als vom Heiligen Geiste inspiriert. Doch ist das Alte Testament nur Vorbereitung zu dem Neuen, wie dieses seinerseits die Vorstufe zu der vollkommenen Wahrheit sophia, die uns bei der Wiederkunft Christi zuteil werden wird. Origenes unterscheidet, ähnlich den Gnostikern, ein somatisches, psychisches und pneumatisches Christentum; dem ersten entspricht die buchstäbliche, dem zweiten die moralische, dem dritten die höchste, geistige oder allegorische Auslegung der Schrift (vgl. Philo). Alle Wunder sind in höherem Sinne natürlich; eine andere Annahme wäre eine Beleidigung der göttlichen Vernunft (des Logos). Der Tod Jesu ist in erster Linie vorbildlich, nicht genugtuend. Die sinnliche Ausmalung der chiliastischen Erwartungen, wie sie bei einem Irenäus und Tertullian herrscht, wird von Origenes entschieden bekämpft, die Auferstehung der Leiber in eine solche der Geister verwandelt u.a.m.