b) Kommentar- und Kompendienschreiber


Während die Genannten den in der griechischen Kirche von jeher heimischen Mystizismus vertreten, gehört der letzte hier zu Nennende, der bereits im 8. Jahrhundert lebende Mönch Johannes von Damaskus einer Richtung an, die jetzt, wo die Dogmenbildung im wesentlichen abgeschlossen war und eine Art allgemeiner geistiger Erschlaffung durch die christliche Welt ging, zur alleinherrschenden wird: den auf das Zusammenstellen und Ordnen des vorhandenen kirchlichen Wissensstoffes sich beschränkenden Kommentatoren und Kompendien-Verfassern.

Johannes Damascenus' Quelle der Erkenntnis, ein noch heute im christlichen Orient in Ansehen stehendes Buch, will nach seiner eigenen ausdrücklichen Erklärung nichts Eigenes vorbringen, sondern nur zusammenfassen, »was die Philosophen definiert, die Peripatetiker eingeteilt, die Kirchenväter angewandt haben, welche Ketzereien aufgekommen sind, welche Lehren als orthodox geltenü: was er mit oft recht geistlosem Sammelfleiß ausgeführt hat. Apologetik und Polemik (die sich bei J. D. schon gegen den Islam richtet) ist das einzige, was die griechische Kirche seitdem hervorbringt.

Aber auch um die abendländische Kirche war es in jenen traurigsten Jahrhunderten der Geschichte Europas nicht besser bestellt. Es ist die Zeit des untergehenden Römerreichs, der Merowinger, des Siegeszuges der Araber. Jedes selbständige geistige Leben scheint erloschen. Abgesehen von den noch eine Zeitlang fortgehenden Streitigkeiten zwischen Pelagianern, Semipelagianern und Anhängern Augustins über den freien Willen und des gallischen Presbyters Claudianus Mamertus (um 450) Beweis für die Unkörperlichkeit der menschlichen Seele, dem sich auch der gleich zu nennende Cassiodor anschließt, ist uns keine einzige selbständige Produktion bekannt. Man ergab sich auch hier fast durchaus dem Kompendienschreiben. So gab um 430 Marcianus Capella sein in den Schulen des Mittelalters viel gebrauchtes, aus Quintilian, Plinius und Varro zusammengeschriebenes Lehrbuch der Septem artes liberales heraus (M. C. selbst soll noch nicht Christ gewesen sein). Den Römer Boethius haben wir schon Kap. XV (§ 50, Schluß) erwähnt. Auf ihm fußend, schrieb auch Cassiodor, der sich um 540 aus dem ostgotischen Staatsdienst in die Muße des Klosters zurückzog, ein Kompendium über die sieben »freien Künste und Wissenschaften«, das sogenannte trivium: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, und das quadrivium: Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie. Was Cassiodor für Italien, tat später Isidor von Sevilla (• 636) für Spanien durch sein viel ausgeschriebenes großes Realwörterbuch (Etymologiarum l. XX), in dem er eine staunenswerte Belesenheit entfaltet. Außerdem stellte er in seinen 3 Büchern Sentenzen die orthodoxe Kirchenlehre in Aussprüchen der Kirchenväter dar. Isidors Werk ist dann wieder von dem Angelsachsen Beda (• 735), beide von Alkuin (• 804), dem bekannten Lehrer und Freunde Karls des Großen, benutzt worden, dem sich endlich der Begründer des deutschen Schulwesens, Abt Hrabanus Maurus von Fulda (• 866 als Erzbischof von Mainz), anschließt.

Das Verdienst aller dieser Männer besteht in der Übermittlung der Reste antiker Bildung an die noch ungelehrten Germanenstämme. Philosophisch sind sie ohne jede Bedeutung. Die »Philosophie« ist nunmehr endgültig als Schulsache in den Dienst der Kirche getreten. Das Reich der Scholastik beginnt.


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