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VI. Haussmann oder die Barrikaden

»J’ai le culte du Beau, du Bien, des grandes choses,
De la belle nature inspirant le grand art,
Qu’il enchante l’oreille ou charme le regard;
J’ai l’amour du printemps en fleurs: femmes et roses!«

(Baron Haussmann:) Confession d’un lion devenu vieux

»Das Blüthenreich der Dekorationen,
Der Reiz der Landschaft, der Architektur
Und aller Szenerie-Effekt beruhen
Auf dem Gesetz der Perspektive nur.«

Franz Böhle: Theater-Katechismus. München. p. 74.

Haussmanns urbanistisches Ideal waren die perspektivischen Durchblicke durch lange Straßenfluchten. Es entspricht der im XIX. Jahrhundert immer wieder bemerkbaren Neigung, technische Notwendigkeiten durch künstlerische Zielsetzungen zu veredeln. Die Institute der weltlichen und geistlichen Herrschaft des Bürgertums sollten, in den Rahmen der Straßenzüge gefaßt, ihre Apotheose finden, Straßenzüge wurden vor ihrer Fertigstellung mit einem Zelttuch verhangen und wie Denkmäler enthüllt. – Die Wirksamkeit Haussmanns fügt sich dem napoleonischen Imperialismus ein. Dieser begünstigt das Finanzkapital. Paris erlebt eine Hochblüte der Spekulation. Das Börsenspiel drängt die aus der feudalen Gesellschaft überkommenen Formen des Hasardspiels zurück. Den Phantasmagorien des Raumes, denen der Flaneur sich ergibt, entsprechen die Phantasmagorien der Zeit, denen der Spieler nachhängt. Das Spiel verwandelt die Zeit in ein Rauschgift. Lafargue erklärt das Spiel als eine Nachbildung der Mysterien der Konjunktur im kleinen. Die Expropriationen durch Haussmann rufen eine betrügerische Spekulation ins Leben. Die Rechtsprechung des Kassationshofs, die von der bürgerlichen und orleanistischen Opposition inspiriert wird, erhöht das finanzielle Risiko der Haussmannisierung.

Haussmann versucht seine Diktatur zu stützen und Paris unter ein Ausnahmeregime zu stellen. 1864 bringt er in einer Kammerrede seinen Haß gegen die wurzellose Großstadtbevölkerung zum Ausdruck. Diese vermehrt sich durch seine Unternehmungen ständig. Die Steigerung der Mietpreise treibt das Proletariat in die faubourgs. Die quartiers von Paris verlieren dadurch ihre Eigenphysiognomie. Die rote ceinture entsteht. Haussmann hat sich selber den Namen »artiste démolisseur« gegeben. Er fühlte sich zu seinem Werk berufen und betont das in seinen Memoiren. Indessen entfremdet er den Parisern ihre Stadt. Sie fühlen sich in ihr nicht mehr heimisch. Der unmenschliche Charakter der Großstadt beginnt, ihnen bewußt zu werden. Maxime Du Camps Monumentalwerk »Paris« verdankt diesem Bewußtsein die Entstehung. Die »Jérémiades d’un Haussmannisé« geben ihm die Form einer biblischen Klage.

Der wahre Zweck der Haussmannschen Arbeiten war die Sicherung der Stadt gegen den Bürgerkrieg. Er wollte die Errichtung von Barrikaden in Paris für alle Zukunft unmöglich machen. In solcher Absicht hatte schon Louis-Philippe Holzpflasterung eingeführt. Dennoch spielten die Barrikaden in der Februarrevolution eine Rolle. Engels beschäftigt sich mit der Taktik der Barrikadenkämpfe. Haussmann will sie auf doppelte Art unterbinden. Die Breite der Straßen soll ihre Errichtung unmöglich machen und neue Straßen sollen den kürzesten Weg zwischen den Kasernen und Arbeitervierteln herstellen. Die Zeitgenossen taufen das Unternehmen »L’embellissement stratégique«.

»Fais voir, en déjouant la ruse,
O république à ces pervers
Ta grande face de Méduse
Au milieu de rouges éclairs.«

Chanson d’ouvriers vers 1850. (Adolf Stahr: Zwei Monate
in Paris. Oldenburg 1851. II, p. 199.)

Die Barrikade ersteht in der Kommune von neuem auf. Sie ist stärker und besser gesichert denn je. Sie zieht sich über die großen Boulevards, reicht oft bis in die Höhe des ersten Stocks und deckt hinter ihr befindliche Schützengräben. Wie das kommunistische Manifest die Epoche der Berufsverschwörer beendet, so macht die Kommune mit der Phantasmagorie ein Ende, die die Frühzeit des Proletariats beherrscht. Durch sie wird der Schein zerstreut, daß es Aufgabe der proletarischen Revolution sei, Hand in Hand mit der Bourgeoisie das Werk von 1789 zu vollenden. Diese Illusion beherrscht die Zeit von 1831 bis 1871, vom Lyoner Aufstand bis zur Kommune. Die Bourgeoisie hat nie diesen Irrtum geteilt. Ihr Kampf gegen die gesellschaftlichen Rechte des Proletariats beginnt schon in der großen Revolution und fällt mit der philanthropischen Bewegung zusammen, die ihn verdeckt und die unter Napoleon III. ihre bedeutendste Entfaltung erfährt. Unter ihm entsteht das Monumentalwerk der Richtung: Le Play’s »Ouvriers européens«. Neben der gedeckten Stellung der Philanthropie hat die Bourgeoisie jederzeit die offene des Klassenkampfes bezogen. Schon 1831 erkennt sie im »Journal des Débats«: »Jeder Fabrikant lebt in seiner Fabrik wie die Plantagenbesitzer unter ihren Sklaven.« Ist es das Unheil der alten Arbeiteraufstände, daß keine Theorie der Revolution ihnen den Weg weist, so ist es auf der andern Seite auch die Bedingung der unmittelbaren Kraft und des Enthusiasmus, mit dem sie die Herstellung einer neuen Gesellschaft in Angriff nehmen. Dieser Enthusiasmus, der seinen Höhepunkt in der Kommune erreicht, gewinnt der Arbeiterschaft zeitweise die besten Elemente der Bourgeoisie, führt sie aber dazu, am Ende ihren schlechtesten zu unterliegen. Rimbaud und Courbet bekennen sich zur Kommune. Der Brand von Paris ist der würdige Abschluß von Haussmanns Zerstörungswerk.

»Mein guter Vater war in Paris gewesen.«

Karl Gutzkow: Briefe aus Paris. Leipzig 1842. I, p 58.

Balzac hat als erster von den Ruinen der Bourgeoisie gesprochen. Aber erst der Surrealismus hat den Blick auf sie freigegeben. Die Entwicklung der Produktivkräfte legte die Wunschsymbole des vorigen Jahrhunderts in Trümmer noch ehe die sie darstellenden Monumente zerfallen waren. Diese Entwicklung hat im XIX. Jahrhundert die Gestaltungsformen von der Kunst emanzipiert wie im XVI. Jahrhundert sich die Wissenschaften von der Philosophie befreit haben. Den Anfang macht die Architektur als Ingenieurkonstruktion. Es folgt die Naturwiedergabe als Photographie. Die Phantasieschöpfung bereitet sich vor, als Werbegraphik praktisch zu werden. Die Dichtung unterwirft sich im Feuilleton der Montage. Alle diese Produkte sind im Begriff, sich als Ware auf den Markt zu begeben. Aber sie zögern noch auf der Schwelle. Dieser Epoche entstammen die Passagen und Interieurs, die Ausstellungshallen und Panoramen. Sie sind Rückstände einer Traumwelt. Die Verwertung der Traumelemente beim Erwachen ist der Schulfall des dialektischen Denkens. Daher ist das dialektische Denken das Organ des geschichtlichen Aufwachens. Jede Epoche träumt ja nicht nur die nächste sondern träumend drängt sie auf das Erwachen hin. Sie trägt ihr Ende in sich und entfaltet es – wie schon Hegel erkannt hat – mit List. Mit der Erschütterung der Warenwirtschaft beginnen wir, die Monumente der Bourgeoisie als Ruinen zu erkennen noch ehe sie zerfallen sind.