II. Hauptmanns Festspiel
Puppen agieren Deutschlands Befreiung. Sie sprechen in Knittelversen. Die Bühne des Puppentheaters ist Europa; die Geschichte - nie gefälscht - ist oft zusammengestrichen. Der Krieg von 1806 ist eine Kriegsfurie, Napoleons Untergang nur das Verblassen eines Bildes. Philistiades tritt auf und unterbricht die Geschichte. Was bedeutet das? Ist es eine »geistvolle Idee«? Nein, es ist tiefe, offenbarende Bedeutung. Nicht die Fakten machen 1813 groß und auch nicht die Personen. Diese Puppen als Personen sind sicherlich nicht groß, sondern primitiv. Ihre Sprache hat keine Weihe, nichts Jambisch-Ewiges. Sondern sie stoßen ihre Worte heraus oder suchen sie oder lassen sie fallen, wie die vor 100 Jahren es taten. Also nicht Geschehnisse, nicht Personen, nicht Sprache tragen den Sinn in sich selbst. Aber die Fakten sind vom Geist geordnet, die Puppen aus dem Holze ihrer Idee geschnitzt, die Sprache voller Suchen nach der Idee. Nach welcher Idee? Fragen wir uns, ob wir nicht vor 100 Jahren zu jenen überlegen lächelnden Bürgern gezählt hätten, weil man uns nicht recht antworten konnte auf diese Frage. Denn der »neudeutsche Nationalstaat« war kein Programm, sondern er war nur der deutsche Gedanke. Dieser Gedanke, von keinem dieser Menschen ganz erfaßt, in keinem ihrer Worte klar gesprochen, glühend gemeint in jeder ihrer Taten: er ist der Geist auch dieses Spiels. Vor ihm sind die Menschen Puppen (ohne private Charaktere und Mucken), Puppen in der Macht des Gedankens. Nach dieser Idee dehnen sich die Knittelverse: als sprächen die Menschen so lange, bis der Sinn aus ihrer Sprache erstünde. Unter diesen Tätigen aber war auch die Jugend, die sehr unklar war und sehr begeistert, wie ihre Führer.
Aber schon damals lebten die überschauenden und Reifen. Da sagt zu Blücher der »erste Bürger«:
Ist der Welteroberer einmal perdu,
dann sing ich ganz gern Ihre Melodie.
Und haben Sie ihn zur Strecke gebracht
dann ändert sich alles über Nacht,
dann werde ich mich gewiß nicht sträuben
und etwa gar napoleonisch bleiben.
Wie die Dinge jetzt liegen, werd' ich zuletzt
immer wieder ins Recht gesetzt.
Und mit der Jugend spricht man heute nicht anders wie damals:
Großmäulige, unreife Gymnasiasten.
Nehmt eure Fibel und geht in die Klasse ...
Was, Fritz, Du hier? mein eigner Sohn? ...
überstiegenes Geschwätz! puerile Narrheiten.
Einer antwortet ihnen:
O ihr Knechtseelen! wie ich euch hasse.
Unbewegliche, fühllose, träge Masse.
Ein dicker, schlammiger Most, ohne Gärung,
ohne Feuer und ohne Klärung.
Kein Funke verfängt, kein Strahl durchdringt euch,
kein Geist, doch jeder Fußtritt bezwingt euch.
Beide, Bürger und Studenten, die heute so reden, - hätten sie vor 100 Jahren gelebt, sie hätten nicht anders gesprochen. Denn nicht Erkenntnisse, sondern Gesinnung bestimmen ihr geschichtliches Tun, und Gesinnungen sind durch alle Zeiten die gleichen.
An das Ende des Kampfes stellte Hauptmann das Fest, und erst dort erhält Form und Sprache, was die drängende Seele des täglichen Geschehens war. Die deutsche Mutter wird griechische Gestalt annehmen, denn das Fest bedeutet den Eintritt in das Reich der Kultur, zu dem der Kampf nur den Weg bahnte. Athene Deutschland:
Und darum laßt uns Eros feiern! Darum gilt
der fleischgewordnen Liebe dieses Fest, die sich
auswirkt im Geist! Und aus dem Geiste wiederum
in Wort und Ton, in Bildnerei aus Erz und Stein,
in Maß und Ordnung, kurz in Tat und Tätigkeit.
Im Kampfe wird nichts erkämpft als Freiheit. Sie ist die erste Notwendigkeit in der Welt der Gewalten. Im Feste darf der Tag und die besinnungslose Tätigkeit zum Bewußtsein des Geistes gelangen. Das Fest feiert den Frieden als den verborgenen Sinn des Kampfes. Der erkämpfte Friede wird die Kultur bringen.