Die Bedeutung der Sprache in Trauerspiel und Tragödie
Das Tragische beruht in einer Gesetzlichkeit der gesprochenen Rede zwischen Menschen. Es gibt keine tragische Pantomime. Es gibt auch kein tragisches Gedicht, keinen tragischen Roman, kein tragisches Ereignis. Das Tragische besteht nicht nur aUST schließlich im Bereich der dramatischen menschlichen Rede; es ist sogar die einzige Form, die der menschlichen Wechselrede ursprünglich eignet. Das heißt es gibt keine Tragik außer in der Wechselrede zwischen Menschen und es gibt keine Form einer solchen Wechselrede als die tragische. überall wo ein untragisches Drama erscheint, ist es nicht das Eigengesetz der Menschenrede, das sich ursprünglich entfaltet, sondern es erscheint nur ein Gefühl oder eine Beziehung in einem sprachlichen Zusammenhang, einem sprachlichen Stadium.
Die Wechselrede in ihren reinen Erscheinungen ist nicht traurig und auch nicht komisch, sondern tragisch. Insofern ist die Tragödie die klassische und reine dramatische Form. Das Traurige hat sein Schwergewicht und seine tiefste und einzige Ausprägung weder im dramatischen Worte, noch im Wort überhaupt. Es gibt nicht nur Trauerspiele, und noch mehr: das Trauerspiel ist auch nicht das traurigste auf der Welt Sein, trauriger kann ein Gedicht sein, eine Erzählung, ein Leben. Denn es ist Trauer nicht gleich der Tragik eine waltende Macht, das unauflösliche und unentrinnbare Gesetz von Ordnungen, die sich in der Tragödie beschließen, sondern sie ist ein Gefühl. Welche metaphysische Beziehung hat dies Gefühl zum Worte, zur gesprochenen Rede? Das ist das Rätsel des Trauerspiels. Welche innere Beziehung im Wesen der Trauer läßt sie aus dem Dasein der reinen Gefühle und in die Ordnung der Kunst treten?
In der Tragödie entspringen Wort und Tragik zugleich, simultan, jeweils am selben Ort. Jede Rede in der Tragödie ist tragisch entscheidend. Es ist das reine Wort das unmittelbar tragisch ist. Wie Sprache überhaupt mit Trauer sich erfüllen mag und Ausdruck von Trauer sein kann, das ist die Grundfrage des Trauerspiels neben der ersten: wie Trauer als Gefühl in die Sprachordnung der Kunst den Eintritt findet? Das Wort nach seiner reinen tragenden Bedeutung wirkend wird tragisch. Das Wort als reiner Träger seiner Bedeutung ist das reine Wort. Neben ihm aber besteht ein anderes, das sich verwandelt, von dem Orte seines Ursprungs nach einem andern, seiner Mündung gewandt. Das Wort in der Verwandlung ist das sprachliche Prinzip des Trauerspiels. Es gibt ein reines Gefühlsleben des Wortes, in dem es sich vom Laute der Natur zum reinen Laute des Gefühls läutert. Diesem Wort ist die Sprache nur ein Durchgangsstadium im Zyklus seiner Verwandlung und in diesem Worte spricht das Trauerspiel. Es beschreibt den Weg vom Naturlaut über die Klage zur Musik. Es legt sich der Laut im Trauerspiel symphonisch auseinander, und dies ist zugleich das musikalische Prinzip seiner Sprache und das dramatische seiner Entzweiung und seiner Spaltung in Personen. Es ist Natur, die nur um der Reinheit ihrer Gefühle willen ins Fegefeuer der Sprache steigt, und das Wesen des Trauerspiels ist schon in der alten Weisheit beschlossen, daß alle Natur zu klagen begönne, wenn Sprache ihr verliehen würde. Denn es ist das Trauerspiel nicht der sphärische Durchgang des Gefühls durch die reine Weh der Worte mündend in Musik zurück zur befreiten Trauer des seligen Gefühls, sondern mitten auf diesem Wege sieht sich die Natur von Sprache verraten und jene ungeheure Hemmung des Gefühls wird Trauer. So ist mit dem Doppelsinn des Wortes, mit seiner Bedeutung, die Natur ins Stocken gekommen, und während die Schöpfung sich in Reinheit ergießen wollte, trug der Mensch ihre Krone. Dies ist die Bedeutung des Königs im Trauerspiel und dieses ist der Sinn der Haupt- und Staatsaktionen. Sie stellen die Hemmung der Natur dar, gleichsam eine ungeheure Stauung des Gefühls, dem im Worte plötzlich eine neue Welt aufgeht, die Welt der Bedeutung, der gefühllosen historischen Zeit, und wiederum ist der König Mensch zugleich - ein Ende der Natur - und zugleich König - Träger und Symbol der Bedeutung. Geschichte wird zugleich mit Bedeutung in der Menschensprache, diese Sprache erstarrt in der Bedeutung, die Tragik droht und der Mensch, die Krone der Schöpfung, wird dem Gefühl allein erhalten, indem er König wird: Symbol als Träger dieser Krone. Und die Natur des Trauerspieles bleibt Torso in diesem erhabenen Symbol, Trauer erfüllt die sinnliche Welt, in der Natur und Sprache sich begegnen.
Es durchdringen sich die beiden metaphysischen Prinzipien der Wiederholung im Trauerspiel und stellen seine metaphysische Ordnung dar: Cyklik und Wiederholung, Kreis und zwei. Denn es ist der Kreis des Gefühls, der in der Musik sich schließt, und es ist die Zwei des Wortes und seiner Bedeutung, welche die Ruhe der tiefen Sehnsucht zerstört und Trauer über die Natur verbreitet. Das Widerspiel zwischen Laut und Bedeutung bleibt dem Trauerspiel ein Geisterhaftes, Fürchterliches, seine Natur wird von Sprache besessen die Beute eines endlosen Gefühls wie Polonius, den in den Reflexionen Wahnsinn faßt. Das Spiel muß aber die Erlösung finden, und für das Trauerspiel ist das erlösende Mysterium die Musik; die Wiedergeburt der Gefühle in einer übersinnlichen Natur.
Die Notwendigkeit der Erlösung macht das Spielhafte dieser Kunstform aus. Denn verglichen mit der Unwiderruflichkeit der Tragik, die eine letzte Wirklichkeit der Sprache und ihrer Ordnung ausmacht, muß jedes Gebilde, dessen belebende Seele Gefühl (der Trauer) ist, ein Spiel genaimt werden. Das Trauerspiel ruht nicht auf dem Grunde der wirklichen Sprache, es beruht auf dem Bewußtsein von der Einheit der Sprache durch Gefühl, die sich im Wort entfaltet. Mitten in dieser Entfaltung erhebt das verirrte Gefühl die Klage der Trauer. Sie muß sich aber auflösen; auf dem Grunde eben jener vorausgesetzten Einheit geht sie in die Sprache des reinen Gefühles über, in Musik. Trauer beschwört sich selbst im Trauerspiel, erlöst sich aber auch selber. Diese Spannung und Lösung des Gefühls in seinem eigenen Bereiche ist Spiel. In ihm ist die Trauer nur ein Ton in der Skala der Gefühle, und so gibt es sozusagen kein reines Trauerspiel, da die mannigfachen Gefühle des Komischen, Fürchterlichen, Schauervollen und viele andere im Reigen stehen. Der Stil im Sinne der Einheit über Gefühlen bleibt der Tragödie vorbehalten. Die Welt des Trauerspiels ist eine besondere, die ihre große und ebenbürtige Geltung auch gegenüber der Tragödie behauptet. Sie ist die Stätte der eigentlichen Empfängnis des Wortes und der Rede in der Kunst, noch wiegen in gleichen Schalen Vermögen der Sprache und des Gehörs, ja endlich kommt alles auf das Ohr der Klage an, denn erst die tiefst vernommene und gehörte Klage wird Musik. Wo in der Tragödie die ewige Starre des gesprochenen Wortes sich erhebt, sammelt das Trauerspiel die endlose Resonanz seines Klanges.