Kapitel VIII
„Also Sie sind bei Natalja Dmitrijewna recht vergnügt gewesen, Fürst?“ fragte Marja Alexandrowna, die mit dem Blicke eines Raubtieres die Stätte des bevorstehenden Kampfes überschaute und das Gespräch auf eine recht unschuldige Art zu beginnen wünschte. Das Herz schlug ihr stark vor Aufregung und Erwartung.
Nach dem Mittagessen war der Fürst sogleich in den Salon geführt worden, in dem er auch am Vormittag empfangen worden war. Alle feierlichen Handlungen und Empfange gingen bei Marja Alexandrowna in diesem Salon vor. Sie war auf dieses Zimmer stolz. Der alte Herr war von den getrunkenen sechs Gläsern Champagner ganz benommen und hielt sich nicht fest auf den Beinen. Dafür schwatzte er unaufhörlich. Seine Schwatzhaftigkeit war sogar größer geworden, als sie vorher gewesen war. Marja Alexandrowna war sich darüber klar, daß diese Lebhaftigkeit nur eine vorübergehende sei und der vom Weine beschwerte Gast bald schläfrig werden würde. Sie mußte den Augenblick benutzen. Bei dem Blicke über den Kampfplatz hatte sie mit großer Genugtuung bemerkt, daß der sinnliche alte Mann mit besonderer Lüsternheit Sinaida betrachtete, und ihr Mutterherz war vor Freude erzittert.
„Au-ßer-or-dentlich vergnügt“, antwortete der Fürst; „und wissen Sie, sie ist eine ganz vor-treff-liche Frau, diese Natalja Dmitrijewna, eine ganz vor-treff-liche Frau!“
Wie sehr Marja Alexandrowna auch mit ihren großen Plänen beschäftigt war, so gab ihr doch ein so volltönendes Lob ihrer Rivalin einen Stich mitten ins Herz.
„Aber ich bitte Sie, Fürst!“ rief sie mit funkelnden Augen. „Wenn bei Ihnen schon Natalja Dmitrijewna eine ganz vortreffliche Frau ist, dann weiß ich gar nicht, was ich von Ihnen denken soll! Dann kennen Sie eben die hiesige Gesellschaft gar nicht! Das ist ja überall nur ein Zurschaustellen der eigenen unerhörten Vortrefflichkeit, der eigenen edlen Gefühle, nur eine Komödie, nur eine äußere vergoldete Schale. Lüften Sie diese Schale ein wenig, und Sie werden eine ganze Hölle unter den Blumen erblicken, ein ganzes Wespennest, wo Sie vollständig aufgefressen werden, so daß kein Knöchelchen übrigbleibt!“
„Wahrhaftig?“ rief der Fürst. „Das setzt mich in Erstaunen!“
„Aber ich schwöre Ihnen, daß es so ist! Ah, mon prince! Höre einmal, Sinaida, es ist doch meine Pflicht und Schuldigkeit, dem Fürsten zu erzählen, wie komisch und unwürdig sich diese Natalja vor vierzehn Tagen benommen hat, erinnerst du dich? Ja, Fürst, das betrifft eben jene Natalja Dmitrijewna, von der Sie so entzückt sind. O mein liebster Fürst! Ich schwöre Ihnen, ich bin keine Klatschliese! Aber ich muß Ihnen das unbedingt erzählen, einzig und allein, um Sie zu erheitern, um Ihnen an einem lebendigen Pröbchen, sozusagen unter dem Mikroskop, zu zeigen, was das hier für Menschen sind. Vor vierzehn Tagen kommt diese Natalja Dmitrijewna zu mir. Ich setzte ihr Kaffee vor und verließ aus irgendwelchem Grunde für kurze Zeit das Zimmer. Ich erinnere mich ganz genau, wieviel Zucker in der silbernen Zuckerdose vorhanden war: Sie war ganz voll. Als ich zurückkomme, sehe ich hin: Es liegen nur drei Stückchen auf dem Boden. Außer Natalja Dmitrijewna war niemand im Zimmer gewesen. Was sagen Sie dazu? Sie besitzt ein eigenes steinernes Haus und eine Menge Geld! Das ist ein lächerlicher, komischer Vorfall; aber Sie können danach über die Moralität der hiesigen Gesellschaft urteilen.“
„Wie ist das mög-lich!“ rief der Fürst in ungeheucheltem Erstaunen. „Welch eine unnatürliche Habgier! Hat sie das wirklich alles allein aufgegessen?“
„Da sehen Sie, was sie für eine vortreffliche Frau ist, Fürst! Wie gefällt Ihnen dieses schmähliche Benehmen? Ich glaube, ich würde in demselben Augenblicke sterben, in dem ich mich zu einer so abscheulichen Handlung entschlösse!“
„Nun ja, ja … Aber, wissen Sie, sie ist doch eine solche belle femme.“
„Natalja Dmitrijewna! Ich bitte Sie, Fürst; sie ist ja einfach ein Trampeltier! Ach, Fürst, Fürst! Was reden Sie da! Ich hatte gemeint, daß Sie einen weit besseren Geschmack besäßen …“
„Nun ja, ein Trampeltier … aber, wissen Sie, sie hat so eine Figur … Nun, und dieses junge Mädchen, das da tanzte, das hatte ebenfalls so eine Fi-gur …“
„Sonja? Aber die ist ja noch ein Kind, Fürst! Sie ist erst vierzehn Jahre alt!“
„Nun ja … aber, wissen Sie, sie ist ein so behendes Mädchen, und es entwickeln sich bei ihr ebenfalls … solche Formen. Ein al-ler-liebstes Mädchen! Und die andere, die mit ihr zusammen tanzte … die entwickelt sich ebenfalls …“
„Ach, das ist eine unglückliche Waise, Fürst! Sie laden sie oft zu sich ein.“
„Eine Wa-ise! Übrigens war sie sehr schmutzig; sie hätte sich vorher wenigstens die Hände waschen sollen … Aber, sie war ebenfalls ver-füh-re-risch …“
Während er das sagte, betrachtete der Fürst mit wachsender Begehrlichkeit Sinaida durch seine Lorgnette.
„Mais quelle charmante personne!“ murmelte er halblaut, fast vergehend vor Wonne.
„Sinaida, spiele uns etwas vor, oder nein, singe lieber! Wie schön sie singt, Fürst! Man kann sagen, sie ist eine Virtuosin, eine richtige Virtuosin! Und wenn Sie wüßten, Fürst“, fuhr Marja Alexandrowna halblaut fort, als Sinaida zum Flügel ging, mit ihrem leisen, schwebenden Gange, bei dessen Anblick der arme Alte sich fast zusammenkrümmte vor Vergnügen, „wenn Sie wüßten, was sie für eine Tochter ist! Wie sie zu lieben versteht, wie zärtlich sie gegen mich ist! Was für Gefühle, was für ein Herz!“
„Nun ja … Gefühle … und, wissen Sie, ich habe in meinem ganzen Leben nur eine einzige Frau gekannt, die man mit ihr an Schön-heit vergleichen könnte“, unterbrach sie der Fürst, den Speichel hinunterschluckend. „Das war die verstorbene Gräfin Nainskaja; sie ist vor ungefähr dreißig Jahren gestorben. Sie war eine ent-zük-ken-de Frau, von unbeschreiblicher Schönheit; sie heiratete nachher noch ihren Koch …“
„Ihren Koch, Fürst?“
„Nun ja, ihren Koch … einen Franzosen, im Auslande. Sie hatte ihm im Aus-lan-de den Grafentitel verschafft. Er war ein stattlicher Mann und außerordentlich gebildet, mit so einem kleinen Schnurr-bärt-chen.“
„Und … und … wie lebten sie denn miteinander, Fürst?“ „Nun ja, sie lebten ganz gut miteinander. Übrigens trennten sie sich bald wieder. Er plünderte sie aus und ging davon. Sie hatten sich wegen einer Sauce gezankt …“
„Mama, was soll ich spielen?“ fragte Sinaida.
„Singe uns lieber etwas, Sinaida! Wie schön sie singt, Fürst! Lieben Sie die Musik?“
„O ja! Charmant, charmant! Ich liebe die Musik sehr. Ich bin im Auslande mit Beethoven bekannt gewesen.“
„Mit Beethoven! Denke dir nur, Sinaida, der Fürst ist mit Beethoven bekannt gewesen“, ruft Marja Alexandrowna entzückt. „Ach, Fürst! Sind Sie wirklich mit Beethoven bekannt gewesen?“
„Nun ja, ich habe mit ihm auf freund-schaft-lichem Fuße gestanden. Er hatte immer die Nase voll Schnupftabak. So ein komischer Mensch!“
„Beethoven?“
„Nun ja, Beethoven. Übrigens war es vielleicht auch nicht Beet-ho-ven, sondern ein anderer Deutscher. Es gibt da sehr viele Deutsche … Ich glaube, ich begehe eine Ver-wech-se-lung.“
„Was soll ich denn singen, Mama?“ fragte Sinaida.
„Ach, Sinaida! Singe doch das Lied, in dem soviel von Rittertum vorkommt, du erinnerst dich wohl; es handelt von einer Burgherrin und ihrem Troubadour … Ach, Fürst! Wie ich diese Ritterzeit liebe! Diese Burgen, diese Burgen! Dieses mittelalterliche Leben! Diese Troubadours, Herolde, Turniere … Ich werde dich begleiten, Sinaida. Setzen Sie sich hierher, Fürst, näher heran! Ach, diese Burgen, diese Burgen!“
„Nun ja, die Burgen. Ich liebe die Burgen auch“, murmelte der Fürst voll Entzücken und sog sich mit seinem einzigen Auge ordentlich an Sinaida fest. „Aber … mein Gott!“ rief er, „dieses Lied! … Aber … ich kenne dieses Lied! Dieses Lied habe ich schon vor langer Zeit gehört … Das erinnert mich so an … Ach, mein Gott!“
Ich unternehme nicht zu schildern, was mit dem Fürsten vorging, während Sinaida sang. Sie sang ein altes französisches Lied, das früher einmal sehr Mode gewesen war. Sinaida sang es sehr schön. Ihr reiner, klangreicher Alt hatte etwas zum Herzen Dringendes. Ihr schönes Gesicht, die wundervollen Augen, die fein gedrechselten Finger, mit denen sie die Notenblätter umschlug, das dichte, schwarze, glänzende Haar, die wogende Brust, die ganze stolze, schöne, edle Gestalt: Alles dies bezauberte den armen Alten endgültig. Er sah sie, während sie sang, unverwandt an und wußte sich vor Aufregung gar nicht zu lassen. Sein Greisenherz, erwärmt von dem Champagner, der Musik und den erwachenden Erinnerungen (und wer hätte keine lieben Erinnerungen?), klopfte immer schneller und schneller, so wie es seit langer Zeit nicht geklopft hatte … Er war nahe daran, vor Sinaida niederzuknien, und weinte beinah, als sie zu singen aufhörte.
„O, ma charmante enfant!“ rief er, indem er ihre Fingerspitzen küßte, „vous me ravissez! Ich komme jetzt erst wieder zu mir, jetzt erst … Aber … aber … o, ma charmante enfant …“
Der Fürst war nicht imstande zu Ende zu sprechen.
Marja Alexandrowna fühlte, daß für sie der Augenblick zum Handeln gekommen war.
„Warum richten Sie sich selbst zugrunde, Fürst?“ rief sie pathetisch. „Soviel Gefühl, soviel Lebenskraft, soviel seelischer Reichtum, und dabei sich für das ganze Leben in der Einsamkeit zu vergraben! Von den Menschen, von den Freunden zu fliehen! Das ist doch unverzeihlich! Kommen Sie zur Besinnung, Fürst! Schauen Sie das Leben mit hellem Blicke an! Rufen Sie in Ihrem Herzen die Erinnerungen an die Vergangenheit wach, die Erinnerungen an Ihre goldene Jugend, an Ihre goldenen, sorglosen Tage; rufen Sie sie wach, rufen Sie sie wach! Beginnen Sie wieder in der Gesellschaft, unter den Menschen zu leben! Fahren Sie ins Ausland, nach Italien, nach Spanien — nach Spanien, Fürst …! Brauchen Sie einen Führer, ein Herz, das Sie liebt, Sie verehrt, mit Ihnen fühlt? Aber Sie haben doch Freunde! Rufen Sie sie, rufen Sie sie, und sie werden in Scharen herbeikommen! Ich werde die erste sein, die alles verläßt und sich auf Ihren Ruf einstellt. Ich erinnere mich an unsere Freundschaft, Fürst; ich werde meinen Mann verlassen und mit Ihnen mitgehen … und wenn ich noch jung wäre, wenn ich so gut und schön wäre wie meine Tochter, so würde ich Ihre Gefährtin, Ihre Genossin, Ihr Weib werden, wenn Sie es wollten!“
„Und ich bin davon überzeugt, daß Sie seinerzeit une charmante personne waren“, sagte der Fürst und schneuzte sich in sein Taschentuch. Seine Augen waren feucht von Tränen.
„Wir leben in unseren Kindern fort, Fürst“, erwiderte Marja Alexandrowna mit tiefer Empfindung. „Auch ich habe meinen Schutzengel! Und das ist sie, meine Tochter, die Genossin meiner Gedanken, die Freundin meines Herzens, Fürst! Sie hat schon sieben Heiratsanträge abgelehnt, weil sie sich nicht von mir trennen wollte.“
„Dann wird sie also wohl mit Ihnen mitkommen, wenn Sie mich ins Ausland be-glei-ten? Wenn es so ist, dann werde ich unbedingt ins Ausland reisen“, rief der Fürst begeistert. „Un-be-dingt werde ich hinreisen! Und wenn ich mir mit der Hoffnung schmeicheln könnte … Aber sie ist ein entzückendes, ein ent-zücken-des Kind! O, ma charmante en-fant! …“ Und der Fürst begann von neuem, ihr die Hände zu küssen. Der arme Mensch, er wollte sogar vor ihr niederknien.
„Aber … aber, Fürst, Sie sagen: ob Sie sich mit der Hoffnung schmeicheln können?“ ergriff Marja Alexandrowna wieder das Wort; sie fühlte, daß ihr neue, schöne Redewendungen zuströmten. „Aber Sie sind sonderbar, Fürst! Glauben Sie denn wirklich, daß Sie der Beachtung von seiten der Frauen bereits unwert seien? Nicht Jugend ist es, was die Schönheit ausmacht. Denken Sie daran, daß Sie ein Mitglied der höchsten Aristokratie sind! Sie sind ein Repräsentant der feinsten, ritterlichsten Gefühle und … Manieren! Hat sich etwa Marija nicht in den alten Mazeppa verliebt? Ich erinnere mich gelesen zu haben, daß Lauzun, dieser bezaubernde Marquis am Hofe Ludwigs … ich habe vergessen des wievielten …, noch in vorgerückten Jahren, noch als Greis das Herz einer der ersten Schönheiten des Hofes gewann …! Und wer hat Ihnen gesagt, daß Sie ein alter Mann seien? Wer hat Ihnen das in den Kopf gesetzt? Werden denn Männer wie Sie überhaupt jemals alt? Sie mit einem solchen Reichtum an Gefühlen, an Gedanken, an Heiterkeit, an Witz, an Lebenskraft, an glänzenden Manieren! Aber zeigen Sie sich jetzt einmal irgendwo im Auslande in einem Badeorte mit einer jungen Frau, mit einer solchen Schönheit, wie es zum Beispiel meine Sinaida ist (ich rede nicht von ihr, ich ziehe sie nur zum Vergleiche heran), und Sie werden sehen, welchen kolossalen Eindruck Sie beide machen, Sie, ein Mitglied der höchsten Aristokratie, und sie, eine auserlesene Schönheit! Sie fuhren sie feierlich am Arme; sie singt in der glänzendsten Gesellschaft, Sie Ihrerseits werfen mit geistreichen Bemerkungen um sich — alle Kurgäste werden zusammenlaufen, um Sie beide anzusehen! Ganz Europa wird einen Ruf der Bewunderung ausstoßen; denn alle Zeitungen, alle Feuilletons in den Badeorten werden nur eine Stimme darüber sein … Fürst, Fürst! Und da fragen Sie, ob Sie sich mit der Hoffnung schmeicheln können?“
„Die Feuilletons … nun ja, nun ja! … Das ist in den Zeitungen …“ murmelte der Fürst, der Marja Alexandrownas Geschwätz nur zur Hälfte verstanden hatte und immer mehr unterlag. „Aber … mein Kind, wenn Sie nicht er-mü-det sind, so singen Sie mir doch, bitte, das Lied, das Sie soeben gesungen haben, noch einmal!“
„Ach, Fürst! Aber sie singt ja auch noch andere Lieder, noch schönere … Erinnern Sie sich noch an L’hirondelle, Fürst? Sie haben das Lied früher gewiß schon gehört?“
„Ja, ich erinnere mich … oder, richtiger gesagt, ich habe es ver-ges-sen. Nein, nein, das vorige Lied, dasselbe, das sie soeben ge-sun-gen hat! L’hirondelle will ich nicht! Ich will dieses Lied …“, bat der Fürst bettelnd, wie ein kleines Kind. Sinaida sang das Lied noch einmal. Der Fürst konnte sich nicht mehr beherrschen und ließ sich vor ihr auf die Knie nieder. Er weinte.
„O, ma belle châtelaine!“ rief er mit seiner vor Alter und Aufregung zitternden Stimme. „O, ma charmante châtelaine! O, mein liebes Kind! Sie haben so viele Erinnerungen in mir wach-ge-ru-fen … an Dinge, die längst vergangen sind Ich dachte damals, alles würde besser werden, als es nachher geworden ist. Ich sang damals Duette … mit einer Vikomtesse … dieses selbe Lied … aber jetzt … Ich weiß nicht, was jetzt! …“
Während dieser ganzen Rede ging dem Fürsten mehrmals der Atem aus, und er verschluckte sich zu wiederholten Malen. Es war zu merken, daß ihm die Zunge steif wurde. Einige Worte waren fast gar nicht zu verstehen. Man sah nur, daß er im höchsten Grade gerührt war. Marja Alexandrowna goß unverzüglich Ol ins Feuer.
„Fürst! Aber Sie verlieben sich am Ende gar noch in meine Sinaida!“ rief sie, da sie fühlte, daß der kritische feierliche Augenblick gekommen war.
Die Antwort des Fürsten übertraf ihre höchsten Erwartungen.
„Ich bin bis zum Wahnsinn in sie verliebt!“ rief der alte Mann, der plötzlich ganz lebendig wurde; er lag noch immer auf den Knien und zitterte vor Aufregung am ganzen Leibe. „Ich möchte mein Leben für sie hingeben! Und wenn ich nur hoffen könnte … Aber heben Sie mich auf; ich bin ein wenig matt ge-wor-den … Ich … wenn ich nur hoffen könnte, daß ich ihr mein Herz anbieten darf, so … ich … sie würde mir alle Tage Lieder vor-sin-gen, und ich würde sie immerzu ansehen … sie immerzu ansehen … Ach, mein Gott!“
„Fürst, Fürst! Sie machen ihr ja einen Heiratsantrag! Sie wollen sie mir wegnehmen, meine Sinaida, mein treues Kind, meinen Engel, meine Sinaida! Aber ich lasse dich nicht von mir, Sinaida! Nur mit Gewalt soll man sie aus meinen Armen, aus meinen Mutterarmen reißen!“ Marja Alexandrowna stürzte zu ihrer Tochter hin und umschlang sie fest mit den Armen, obgleich sie fühlte, daß sie recht stark zurückgestoßen wurde. Die Mama trug ein bißchen zu stark auf. Sinaida empfand das mit ganzer Seele und blickte mit unbeschreiblichem Ekel auf diese ganze Komödie. Indessen, sie schwieg; und das war alles, was Marja Alexandrowna brauchte.
„Sie hat neun Anträge abgewiesen, nur um sich nicht von ihrer Mutter trennen zu müssen!“ rief sie. „Aber jetzt ahnt mein Herz, daß die Trennung bevorsteht! Schon vorhin habe ich bemerkt, daß sie Sie so eigentümlich ansah … Sie haben ihr durch ihr aristokratisches, feines Wesen imponiert, Fürst! … Oh, Sie werden uns voneinander trennen; das ahne ich! …“
„Ich ver-göt-tere sie!“ murmelte der Fürst, der immer noch wie ein Espenblatt zitterte.
„Also du wirst deine Mutter verlassen!“ rief Marja Alexandrowna und warf sich noch einmal ihrer Tochter um den Hals.
Sinaida beeilte sich, der peinlichen Szene ein Ende zu machen. Sie streckte dem Fürsten schweigend ihre schöne Hand hin und zwang sich sogar zu einem Lächeln. Der Fürst ergriff diese Hand ehrfurchtsvoll und bedeckte sie mit Küssen.
„Ich be-gin-ne erst jetzt zu leben“, murmelte er; er konnte vor Entzücken kaum reden.
„Sinaida!“ sagte Marja Alexandrowna feierlich, „siehe diesen Mann an! Das ist der ehrenhafteste, edelste Mensch, den ich kenne! Das ist ein Ritter des Mittelalters! Aber sie weiß das, Fürst; sie weiß es, zum Schmerze meines Herzens … Oh! warum sind Sie hergekommen! Ich übergebe Ihnen mein Kleinod, meinen Engel! Behüten Sie ihn, Fürst! Eine Mutter fleht Sie darum an, und welche Mutter wird mich wegen meines Schmerzes tadeln?“
„Mama, lassen Sie es genug sein!“ flüsterte Sinaida.
„Sie werden sie gegen jede Kränkung verteidigen, Fürst? Ihr Degen wird dem Verleumder oder dem Frechling entgegenblitzen, der sich erdreisten sollte, meine Sinaida zu beleidigen?“
„Hören Sie auf, Mama, oder ich …“
„Nun ja, entgegenblitzen …“ murmelte der Fürst. „Ich beginne erst jetzt zu leben … Ich will, daß die Hochzeit jetzt gleich stattfindet, augenblicklich … ich … Ich will sofort nach Du-cha-no-wo schicken. Da habe ich Bril-lan-ten. Die will ich ihr zu Füßen legen …“
„Welch eine Glut! Welch eine Begeisterung! Welch ein Adel der Gesinnung!“ rief Marja Alexandrowna. „Und Sie haben es fertiggebracht, Fürst, Sie haben es fertiggebracht, sich von der Welt zurückzuziehen? Das werde ich Ihnen tausendmal vorhalten! Ich bin außer mir, wenn ich an dieses teuflische Weib denke …“
„Was sollte ich denn tun? Ich hatte solche Furcht“, murmelte der Fürst, vor Aufregung schluchzend. „Sie wollten mich ins Ir-ren-haus bringen … Da bekam ich solche Angst!“
„Ins Irrenhaus! O diese Ungeheuer! O diese erbarmungslosen Menschen! O diese gemeine Tücke! Fürst, ich habe davon gehört! Aber das ist ja Wahnsinn von seiten dieser Menschen! Aber weshalb wollten sie denn das tun, weshalb?« „Ich weiß selbst nicht weshalb!« antwortete der alte Mann und ließ sich vor Schwäche in einen Lehnstuhl sinken. „Wissen Sie, ich war auf einem Bal-le und erzählte da eine An-ek-dote, und die hat ihnen nicht ge-fal-len. Nun, und daraus entstand ein großer Skandal!«
„Wirklich nur deshalb, Fürst?«
„Nein. Ich spielte nach-her noch Karten, mit dem Fürsten Pjotr De-ment-jitsch, und blieb ohne sechs. Ich hatte zwei Kö-ni-ge und drei Damen … oder, richtiger gesagt, drei Damen und zwei Könige … Nein! einen Kö-nig! Und dann waren da auch noch Damen …«
“Und deshalb? Deshalb! O diese teuflische Unmenschlichkeit! Sie weinen, Fürst! Aber jetzt wird sich so etwas nicht wiederholen! Jetzt werde ich um Sie sein, mein Fürst; ich werde mich nicht von Sinaida trennen, und dann wollen wir einmal sehen, ob diese Menschen noch wagen werden, auch nur ein Wort zu sagen! … Und wissen Sie, Fürst, Ihre Heirat wird ihnen geradezu imponieren. Sie wird sie beschämen! Denn sie werden sehen, daß Sie noch fähig sind … das heißt, sie werden begreifen, daß eine solche Schönheit nicht einen Irrsinnigen geheiratet haben würde! Jetzt können Sie stolz das Haupt erheben. Sie werden allen gerade ins Gesicht sehen …«
„Nun ja, ich werde ihnen ge-ra-de ins Gesicht sehen«, murmelte der Fürst und schloß die Augen.
„Aber er ist ja ganz benommen«, dachte Marja Alexandrowna. „Ich verschwende unnütz meine Worte!«
„Sie sind aufgeregt, Fürst, ich sehe das; Sie müssen sich unbedingt beruhigen, sich von Ihrer Aufregung erholen«, sagte sie und beugte sich mütterlich zu ihm herab. „Nun ja, ich möchte mich gern ein wenig hin-le-gen«, sagte er.
„Ja, ja! Beruhigen Sie sich, Fürst! Diese Aufregungen … Warten Sie, ich werde Sie selbst begleiten … Ich werde Sie selbst zu Bett bringen, wenn es nötig ist. — Warum sehen Sie dieses Porträt so an, Fürst? Es ist das Porträt meiner Mutter; sie war ein Engel von Frau! Oh, warum ist sie jetzt nicht unter uns! Sie war eine Heilige, Fürst, eine Heilige! Anders kann ich sie nicht nennen!«
„Eine Hei-li-ge? C’est joli … Ich habe auch eine Mutter gehabt … eine princesse … und denken Sie sich: sie war eine außerordentlich kor-pu-lente Frau … Aber ich wollte etwas anderes sagen … Ich bin ein wenig müde geworden. Adieu, ma charmante enfant! … Ich werde mit Wonne … ich werde heute … oder morgen … Nun, ganz gleich! Au revoir, au revoir!« Hier wollte er Sinaida eine Kußhand zuwerfen; aber er strauchelte und wäre beinahe an der Schwelle gefallen.
„Seien Sie vorsichtiger, Fürst! Stützen Sie sich auf meinen Arm!« rief Marja Alexandrowna.
„Charmant, charmant!« murmelte er beim Hinausgehen. „Jetzt beginne ich erst zu leben …«
Sinaida blieb allein im Zimmer zurück. Ein unbeschreiblicher Druck lastete auf ihrer Seele. Sie fühlte sich so angeekelt, daß ihr ordentlich übel wurde. Sie war nahe daran, sich selbst zu verachten. Ihre Wangen brannten. Die Hände zusammenpressend, die Zähne aufeinanderdrückend, den Kopf herabhängen lassend, so stand sie da, ohne sich vom Fleck zu rühren. Tränen der Scham rollten aus ihren Augen … In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür, und Mosgljakow stürzte ins Zimmer herein.