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Idealismus

Idealismus ist dasjenige monistische System der Metaphysik, das dem Allgemeinen, der Idee, der Seele, dem Geiste die Existenz zuschreibt, und dem Einzelnen, dem Wahrnehmbaren, dem Körperlichen, der Materie nur eine abgeleitete untergeordnete Existenzart als Erscheinungswelt zuweist, oder die Existenz ganz abspricht. Der Idealismus ist zunächst die Philosophie Platons (427-347) gewesen. Platon schreibt den Ideen (s. d.), den Allgemeinbegriffen, die Existenz zu und spricht sie der Körperwelt ab. Der Stoff ist ihm nur ein Nichtseiendes. Aristoteles (384-322) modifizierte den Idealismus des Platon, indem er das Allgemeine nicht vom Einzelnen trennte, sondern als Wesen in dasselbe verlegte, dem Stoff nicht die Existenz absprach, sondern denselben als eine Anlage bezeichnete, in der Form aber eidos den Zweck und die Entfaltung der bloßen Anlage zur vollen Energie sah. Im Mittelalter nannte man gerade die Anhänger des Platon Realisten, weil sie die allgemeinen Gattungsbegriffe für etwas Wirkliches hielten. Seit Descartes (1696-1650) stellte sich die alte Bedeutung des Wortes Idealismus wieder her, indem es wieder die Theorie bezeichnete, welche die Realität der Außendinge leugnet. Man fragte sich nämlich, wie denn die Außenwelt auf die Seele einwirke, und ob nicht die Annahme jener überhaupt nur eine Vorstellung der Seele sei. Descates (1596-1650) und Malebranche (1638-1715) begnügten sich damit, einen physischen Einfluß des Körperlichen auf das Geistige zu leugnen und an dessen Stelle die Systeme der Assistenz und des Occasionalismus zu setzen; aber sie leugneten nicht die Realität der Körperwelt, obgleich Malebranche meinte, es sei sehr schwer zu beweisen, daß es Dinge außer uns gebe. Erst Leibniz (1646-1716), seit dessen Zeit auch das Wort Idealist in Gebrauch kommt, schuf den konsequenten neueren Idealismus, indem er die Körperwelt nur für eine Erscheinung (phaenomenon bene fundatum) erklärte, das Wesen der Dinge aber in den Vorstellungen fand und die Dinge selbst für vorstellende Monaden, Seeleneinheiten (âmes) erklärte. Für Leibniz ist also nicht die Idee (der allgemeine Begriff), sondern die Seele der Kern des Daseins. Nach Leibniz ist der moderne Idealismus aus vielen Quellen hervorgeströmt, zunächst aus der empirischen Naturwissenschaft und Philosophie, was auf den ersten Blick Verwunderung erwecken könnte, aber doch natürlich ist. Die Physik erkannte bald als das Wesen ihrer Methode nicht nur die induktive Ableitung aus Beobachtung und Experiment, wie Galilei es gezeigt und Bacon es gelehrt hatte, sondern vor allem die Zurückführung der Qualitäten der Körperwelt auf Quantitäten, Raum-, Zeitverhältnisse, Bewegungen. So entstand der zuerst von Locke (1632-1704) fixierte naturwissenschaftliche Idealismus, welcher bewies, daß die sinnlichen Qualitäten der Dinge nicht ihr Wesen, sondern bloß Erscheinung seien, nicht primäre, sondern sekundäre Eigenschaften wären. Damit wurde schon das Konto des Objekts zu Gunsten des Subjekts entlastet. G. Berkeley (1686 bis. 1753) erklärte dann, daß körperlich- materielle Wesenheiten nicht außerhalb des Geistes existieren. Im menschlichen Geiste würden sie durch einen höheren Geist, Gott, nach Naturgesetzen erzeugt. Und abgesehen vom menschlichen Geiste existierten sie auch als Ideen Gottes fort, ohne daß wir sie zu haben oder wahrzunehmen brauchten, und hätten außerhalb unseres Geistes wenigstens im göttlichen Geiste ein wirkliches Dasein. Aber die wirkliche Welt bildeten nur die geistigen Wesen, und was man die sinnliche Erscheinung der Dinge nennt, habe keine gesonderte Existenz. – Kant (1724-1804) schuf dann den kritische oder transzendentalen Idealismus. Dieser beruht auf der Lehre, daß zwar der Stoff der Erfahrung durch die Empfindung gegeben werde, und daß dazu die Dinge an sich als reales Äquivalent vorausgesetzt werden müssen, daß aber die Formen der Erfahrung (Raum, Zeit und die Kategorien) als Bedingung jeder möglichen Erfahrung in uns a priori, d.h. unabhängig von der Erfahrung entstehen, und daß wir die Dinge daher immer nur erkennen, wie sie erscheinen, nicht aber, wie sie an sich sind. Kant setzte also die räumliche und zeitliche Form, die Locke noch auf dem Kontoblatt des Objekte gelassen hatte, auf die Seite des Bewußtseins. So mußte die objektive Realität des Sinnesdings schließlich leer und inhaltslos erscheinen. – J. G. Fichte (1762-1814) ging daher noch einen Schritt weiter und hielt die Voraussetzung realer Dinge an sich für überflüssig, wenn sich nachweisen ließe, durch welche Tathandlung das Ich, als das allein Produktive unseres Vorstellungskreises, überhaupt dazu komme, sich die Außenwelt, das Nicht-Ich als einen Widerstand aufzubauen. Hiernach ist also das Ich, das sich selbst und die Welt setzende Subjekt, sowohl Träger als auch Urheber der als objektiv gegebenen Erscheinungswelt. Diesem moralischen und subjektiven Idealismus stellte Schelling (1775-1854) den objektiven gegenüber, indem er die Identität von Sein und Denken auch unabhängig vom Ich als Fundament der Philosophie ansah; nach ihm hatten die Begriffe und Ideen im Gebiete des geistigen wie des körperlichen Daseins kraft der intellektuellen Anschauung absolute Produktivität. Daran schloß sich endlich Hegels (1770-1831) absoluter Idealismus, der das Denken, den Begriff, die Idee, resp. den Denkprozeß, das immanente Werden des Begriffs für das allein Wirkliche und Wahre ansah. – Aber auch die nachhegelschen Philosophen, Herbart (1776-1814), der im wesentlichen wieder zu Leibniz zurückkehrte, Schopenhauer (1788-1860), der den Willen zum Kern des Daseins machte, bewegen sich in Bahnen des Idealismus, obgleich namentlich der erste von ihnen sein System Realismus genannt und die Monaden durch die Realen ersetzt hat. Zu den neuesten Idealisten gehören Fechner (1801-1887) und Lotze (1817-1881). Im Gefolge des Idealismus sind meist die Teleologie, der Theismus und der Optimismus gewesen, so daß der Idealismus die Zwecke in der Welt, Gott als letzte Ursache derselben und ein gewisses Maß der Vollkommenheit im Dasein anerkannt hat. Nur in der widerspruchsvollen Willenslehre Schopenhauers (1788-1860) hat sich der kantisch- platonische Idealismus mit dem Atheismus und Pessimismus in wunderlicher Weise verquickt. – Für den Idealismus spricht die Tatsache, daß der wahre Ausgang aller Philosophie vom Bewußtsein hergenommen werden muß, und daß wir in der inneren Erfahrung ein unmittelbareres Dasein erschlossen sehen als in den äußeren. Vgl. Eucken, Geistige Strömungen der Gegenwart. Leipzig 1904, S. 66 ff.