Notwendigkeit
Notwendigkeit (lat. necessitas) heißt in allgemeinster Bedeutung, als reales Verhältnis gedacht, die Unmöglichkeit des Gegenteils. So faßte den Begriff schon Aristoteles (384 bis 322. Metaphys. IV, 5 p. 1015 a 34), der das Notwendige als das bezeichnete, was sich nicht anders verhalten könne, was also durch Widerlegung seines Gegenteils indirekt bewiesen werde (to mê endechomenon allôs echein anankaion phamen houtôs echein). Das Notwendige wäre demnach die Verneinung einer Verneinung. Aber eine solche negative Fassung des Begriffs befriedigt nicht. Der Versuch, die Erklärung positiver zu gestalten, führt zunächst zur Unterscheidung verschiedener Arten der Notwendigkeit.
Der Begriff der absoluten Notwendigkeit würde zunächst die Existenz von etwas fordern, was unabhängig von allem anderen ist; der bloße Begriff müßte also die Existenz in sich schließen. Da aber das Dasein kein Merkmal eines Begriffs ist, ist ein solcher Begriff, der Existenz in sich einschlösse, nicht vorhanden, und der Begriff einer absoluten Notwendigkeit ist deswegen als unberechtigt aufzugeben; er ist höchstens so weit als abstrakte Idee zulässig, als die Existenz dem Gedachtwerden gleichgesetzt wird. Es bleibt also weiterhin nur der Begriff einer bedingten (relativen) Notwendigkeit. Hier können wir logische, physische, moralische und metaphysische Notwendigkeit unterscheiden. Logisch notwendig ist die Folge, wenn der Grund gesetzt ist. Physisch notwendig ist die Wirkung, wenn die Ursache gegeben. Moralisch notwendig ist die Handlungsweise, die aus einem gegebenen allgemeinen Sittengesetz folgt. Metaphysisch notwendig ist die Konsequenz, wenn das Grundprinzip feststeht. Notwendig ist also im allgemeinen, was im kausalen Zusammenhang mit einem Gegebenen steht und darum, sobald dieses gegeben ist, in allen Fällen zutrifft. Kant (1724-1804) nahm außerdem eine erkenntnistheoretische Notwendigkeit an. Notwendig und allgemein gültig sollten nach ihm in dem Erkenntnisprozesse alle diejenigen Anschauungen (Raum und Zeit) und Begriffe (Kategorien) sein, ohne welche Erfahrung überhaupt nicht möglich ist. Aber der Nachweis der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit der uns gegebenen Raum- und Zeitanschauung und der von Kant aufgestellten Kategorien für alle Erfahrung mißlang. Es ist sehr wohl eine auf anderen Anschauungsformen und Begriffen beruhende Erfahrung denkbar, und für uns schließen die Gesetze des Erkennens nur Tatsächlichkeit, nicht Notwendigkeit in sich ein. Und da alle Notwendigkeit schließlich auf kausale Bestimmung und Gesetzmäßigkeit hinauskommt, unsere Einsicht in das Wesen der Kausalität aber nur so weit reicht, daß wir den Eintritt der Folge nach dem Grunde, der Wirkung nach der Ursache kennen lernen, das Wie des Zusammenhangs aber nicht erkennen, so ist im Grunde alle uns bekannte Notwendigkeit nicht mehr als Tatsächlichkeit; das gilt von aller logischen, physischen und metaphysischen Notwendigkeit, und die moralische ist nicht einmal immer Tatsächlichkeit, sondern bleibt oft nur ein Gefühl der Verpflichtung ohne Verwirklichung. Weil alle Notwendigkeit, soweit sie uns in der Erkenntnis gegeben ist, schließlich nur das Wiederkehrende in der Erfahrung, die Tatsächlichkeit in ihrem kausalen Zusammenhange ist, ist die rationalistische Methode in der Philosophie unschöpferisch und unfruchtbar, die empiristische allein schaffend und fördernd. Das Fördernde in allen mathematischen Schlüssen ist auch nur das tatsächlich Gegebene der Raum- und Zeitanschauung und die Möglichkeit der Verbindung der Elemente derselben in den verschiedensten Formen. Auch mathematische Gewißheit und Allgemeingültigkeit schließt keine höhere Notwendigkeit in sich ein als alles Tatsächliche; wohl aber bleibt das Bedürfnis nach einer höheren Notwendigkeit als die des Tatsächlichen in seinem gegebenen Zusammenhange für das menschliche Gefühl bestehn. (Vgl. Freiheit, Determinismus, Prädestination, Fatalismus, Gott.) Die rechte Einsicht in den Begriff der Notwendigkeit gibt schließlich nur die Erkenntnis, daß sie ein Modalbegriff ist und als solcher überhaupt nicht ein reales Verhältnis (Sein und Nichtsein), sondern nur einen Grad der Überzeugung, mithin ein subjektives Verhältnis des Menschen zum Ausdruck bringt. Sie bezeichnet den stärksten Grad der menschlichen Überzeugung von der Wahrheit eines Satzes oder der Existenz eines Dinges. Wenn wir alle Bedingungen einer Sache erfüllt sehen, halten wir sie für notwendig, wo die Erfüllung aller Bedingungen behindert ist, reden wir im Gegensatz dazu von Unmöglichkeit. Als modale Kategorie, d.h. als solche, die dem Begriff kein Merkmal hinzufügt, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrückt, hat sie auch Kant erfaßt, wenn er definiert: „Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist notwendig“ (Kr. d. r. V. S. 218). Nur dürfte die Notwendigkeit nicht Kategorie zu nennen sein, sondern sich als abgeleiteter Begriff erweisen.