Organismus
Organismus heißt ein Naturganzes, in welchem sämtliche Teile sich wechselseitig zueinander wie Mittel und Zweck verhalten. Im Organismus liegen die Teile des Ganzen nicht nur äußerlich nebeneinander, wie in Mechanismen und Industrismen, sondern sie hängen innerlich zusammen und vermitteln einen einheitlichen Prozeß, der sich auf das Ganze selbst bezieht. Die Organismen entwickeln sich von innen heraus. Aus einem Keime (Zelle, Samen oder Ei) entstehend, wachsen sie und erhalten sich durch den Stoffwechsel, bis sie entweder das ihnen gesteckte Lebensziel erreicht haben und sterben oder gewaltsam zerstört werden. Alle Organismen haben eine gewisse Spontaneität, welche besonders ihrer Ernährung und Fortpflanzung dient. So stellen sie sich alle als ein System von Kräften dar, das durch die in der Zelle angelegte Form spontan (d.h. von innen heraus) und zweckvoll ausgestaltet wird und sich selbst erhält. Der Begriff des Organismus ist im Altertum besonders von Aristoteles, in der Neuzeit von Kant philosophisch bestimmt worden. Aristoteles (384-322) geht von der Bedeutung des Wortes organon aus: organon heißt Werkzeug. Jedes Werkzeug ist aus ungleichartigen Teilen zusammengesetzt, hat einen Zweck und ist um einer bestimmten Tätigkeit willen da. Organische Wesen sind daher zusammengesetzte aus ungleichartigen Teilen bestehende Wesen, deren Teile zweckmäßig zu irgend einer Tätigkeit eingerichtet sind (De anima II, 1). Zu diesem Begriff fügt Aristoteles noch den Begriff des Lebens, der Beseeltheit (der Kraft der Selbstbewegung, der Selbstwirkung und des Wachstums) hinzu. So ergibt sich die aristotelische Definition, daß ein organisches Wesen ein innerlich zweckmäßiges, beseeltes oder belebtes Naturwesen ist, ein Mikrokosmus, dessen ungleichartige Teile dem Zweck des Ganzen als Werkzeuge dienen. Die organischen Wesen bilden eine Stufenfolge von der Pflanze zum Tiere und von da zum Menschen. Für Kant (1724-1804) ist das organische Wesen ein seine Gattung fortpflanzendes, sich selbst als Individuum im Wachstum fortbildendes Naturprodukt, dessen Teile sich gegenseitig erhalten, oder kürzer zusammengefaßt, ein Naturprodukt, das zugleich Naturzweck ist. Beide Philosophen gründen also den Begriff des organischen Wesens auf die Merkmale: Naturwesen, Selbsternährung, Wachstum, gegenseitige Abhängigkeit der Teile, Innere Zweckmäßigkeit. Aber Kant fügt dem Begriff noch das Merkmal der Erhaltung der Gattung hinzu und verfeinert den Begriff des Wachstums zum Begriff der beständigen Selbsterzeugung des Individuums, und für die Bestimmung des Aristoteles, daß die Teile des Organismus dem Zweck des Ganzen dienen, die auch auf ein Kunstprodukt paßt, setzt Kant den Begriff der gegenseitigen Erhaltung der Teile des Organismus. So ist Kants Definition der des Aristoteles überlegen. (Kr. d. U. II, §§ 62-68; Vom Gebrauch teleologischer Prinzipien 1788.) Nach Kants Zeit ist der Begriff des organischen Wesens namentlich durch die Entdeckung der Zelle neu begründet, aber philosophisch noch nicht endgültig formuliert. Wundt (geb. 1832) erklärt den Organismus als einen aus einer großen Zahl ineinandergreifender Selbstregulierungen zusammengesetzten Apparat, der, sobald er mit einer Anzahl anderer gleich- und verschiedenartiger Organismen in Wechselwirkung tritt, nun alsbald auf das so entstehende Ganze ebenfalls das Prinzip der Selbstregulierung übertragen muß (Logik). Ostwald sieht in den Organismen Wesen, deren Betätigung der Energiestrom ist und die befähigt sind, sich selbst zu erhalten und fortzupflanzen, oder kurz, sich selbst als Individuen und Familien erhaltende stationäre Energiegebilde (Vorles. üb. Naturphilos. 3. Aufl. Leipzig 1905. S. 312-331). Vgl. Lebenskraft. Telelogie.