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Legende

Oft träumt mir, wie war das, ich fasse es kaum,
mir träumt noch am Tage, mir träumt noch vom Traum.
Eines Tags, eines Morgens entschlief ich, doch bald
war’s Frühling, da stand ich im frischesten Wald.
Wie schade zu schlafen, o wär’ ich doch wach
und träumte verlorenen Frühlingen nach!
Da lag ich und stand ich, ein reuiger Schläfer.
Ich schlief, und es lief und es rief mir ein Käfer.
Und er hob sein bekümmertes Haupt aus dem Grase
und hatte ein riesiges Hörn auf der Nase.
Er klagte, was ihm da soeben geschehn,
und er fragte, ob ich seinen Sohn nicht gesehn.
Den Jungen, verliebt bis über die Ohren,
er hab’ ihn im Frühjahrsgedränge verloren.
Der Alte erzählte von vieler Bemühung,
die er stets verwandte an die Erziehung,
und seufzte, daß er den Sohn vermisse,
und allerlei sonstige Ärgernisse.
Da rackern und sorgen wir uns, wir Alten,
doch das leichte Tuch war nicht länger zu halten.
Ich versprach, unter allen vorhandenen Tuchen
in Wald und Feld nach dem rechten zu suchen,
und wandt’ mich voll Mitleid zum Gehen endlich
und fand es traurig, doch selbstverständlich.
Und wie ich so meiner Wege ging,
kam flugs mir entgegen ein Schmetterling,
der schien es mir allzu bunt zu treiben,
und er verlockte mich, stehen zu bleiben.
Von allen Feuern und Farben brannt’ er.
Kein Zweifel, es war ein alter Bekannter,
wir waren uns beide, ich und der Falter,
erst neulich begegnet im Kindheitsalter.
Doch schien auch er etwas zu vermissen,
und erzählte von allen den Hindernissen,
die man ihm daheim in den Weg gestellt,
drum nahm er Reißaus in die weitere Welt.
Nun wüßte er selbst nicht, wozu er tauge.
Ich sah ihm fest in das Pfauenauge.
Da fragte er schüchtern, mit zitterndem Ton
— und sah aus wie der verlorene Sohn
und ach, es entstürzte ihm Träne auf Trän’ —:
Haben Sie nicht meinen Vater gesehn?
Ich fragte, wer denn sein Vater wäre,
ich hätte noch nicht ihn zu kennen die Ehre.
Da schalt er mich einen vergeßlichen Schläfer,
sein Vater sei doch ein Nashornkäfer!
Wie, sagte ich, jener dort auf der Matte,
den ich soeben getroffen hatte?
Derselbige, sagt er, da muß ich mich tummeln —
und überflog die behäbigsten Hummeln,
die dicken Tanten und auch die Cousinen,
die schon ein wenig behenderen Bienen.
Schon schien ich verwandt mit der ganzen Verwandtschaft
und bekannt mit jedem Grashalm der Landschaft.
Doch spürte den Schmerz ich der heutigen Welten,
in denen die Tagpfauenaugen so selten,
und wann hatt’ ich denn, ach wie die Dinge vergehn,
den letzten Nashornkäfer gesehn?
Und was mir drum gar nicht zusammenging,
war, wie heutzutage ein Schmetterling
da konnte zu allen herrlichen Gaben
noch einen Käfer zum Vater haben,
und gar ein Käfer zu allem Daseinslohn
einen Schmetterling haben zum leiblichen Sohn!
Doch wenn sie sich nun in die Arme sanken,
so haben sie es nur mir zu verdanken,
dem jeder mit einer Ursprache Laut
das Geheimnis der Sehnsucht anvertraut.
Doch trieb es mich fort zwischen Hummeln und Bienen,
fern summten schon Rotationsmaschinen,
schon war es die Sprache von allerlei Leuten,
noch träumte ich, daß sie den Traum mir deuten,
und in Furcht um die verlorne Bedeutung
erwacht’ ich und griff nach der Tageszeitung.