Die Pest zu Athen
Solch ein Krankheitsstoff und todverbreitender Pesthauch
Wandelte einst das Kekropische Land in ein Leichengefilde,
Machte zur Wüste die Gassen und raubte der Stadt die Bewohner.
Tief im Ägypterland war diese Verseuchung entsprungen,
Dann durchflog sie gewaltigen Raum der Lüfte und Meere,
Bis sie am Ende befiel Pandions ganze Bevölkrung,
Die nun haufenweise der Pest und dem Tode geweiht ward.
Anfangs spürten ihr Haupt sie von fiebriger Hitze entzündet,
Und ihr Augenpaar war blutigrot unterlaufen;
Schwärzlich geronnenes Blut entquoll dem Innern des Schlundes,
Schwären versperrten der Stimme den Weg und verengten den
Durchgang,
Und die Zunge, des Geist's Dolmetscherin, schwimmend im Blute
Ward durch die Seuche geschwächt, rauhkörnig und kaum mehr
beweglich.
Als nun der Krankheitsstoff durch den Schlund in die Brust war
gedrungen,
Und er dem Kranken ins zagende Herz war zusammengeflossen,
Ja, da gerieten die Riegel des Lebens alle ins Wanken.
Widrigen Odem verhauchte der Mund in die Lüfte, wie wenn sich
Stank von verfaulendem Aas aus dem Anger des Schinders erhebet.
Seele wie Körper verloren ermattend jegliche Spannkraft,
Und man fühlte bereits sich dicht vor der Schwelle des Todes.
Unerträglichem Leiden gesellte beklemmende Angst sich
Unaufhörlich hinzu und mit Stöhnen mischte sich Jammer;
Häufiges Schluchzen ergriff bei Tag und bei Nacht oft die Nerven;
Dieser beständige Krampf zwang nieder die einzelnen Glieder,
Und die schon lange Erschöpften zerflossen in dieser Ermattung.
Allzu erhebliche Hitze vermochte man nicht zu bemerken
Auf dem Körper der Kranken, der außen mäßig erwärmt schien;
Eher empfand man ein laulich Gefühl, wenn die Hand ihn berührte,
Aber der ganze Leib war von brandigen Schwären getötet,
Wie wenn das »heilige Feuer« sich über die Glieder verbreitet,
Vollends im Innern der Menschen da brannte es bis auf die Knochen,
Brannte im Magen so loh wie die Flamme im Innern der Esse.
Da half keine Gewandung, so leicht und so dünn man sie suchte;
Einzig nach Wind und nach Kühle war stets ihr Streben gerichtet.
Manche begaben sich drum in die eisigen Fluten der Flüsse
Mit pestglühenden Gliedern und warfen sich nackt in das Wasser.
Viele stürzten sich auch kopfüber hinab in die Brunnen
Und gelangten zuerst mit dem offenen Mund in die Tiefe;
Aber der dörrende Durst, der ins Wasser sie zwang, war mit nichts mehr
Stillbar; reichliches Naß war soviel wie wenige Tropfen.
Nirgend Erholung vom Leiden: matt lagen die Körper am Boden,
Ratlos verstummten die Ärzte, die ihre Befürchtung verbargen,
Wenn sie die Kranken erblickten, die wieder und wieder die Augen
Rollten, Wie fieberdurchglüht und schlaflos starrten ins Weite.
Außerdem noch erschien viel andres als Zeichen des Todes:
Völlig verwirrter Verstand mit Angstzuständen und Schwermut,
Finstere Stirn und scharfer, ja wütender Blick aus den Augen;
Ferner ein ängstlich erregtes Gehör und Brausen im Ohre,
Fliegender Atem, dann wieder auch tiefe und langsame Züge,
Reichlicher Schweißerguß, der perlend am Halse herabfloß,
Dürftiger, salziger, dünner und safranfarbiger Auswurf,
Den nur mühsam die Kehle mit heiserem Husten herauswarf.
In den Händen ein zuckender Krampf, in den Gliedern ein Zittern
Und an den Füßen herauf zog Glied für Glied sich ein Frösteln
Unaufhaltsam empor. Und ging es schließlich zum Ende:
Eingefallene Nase, die Nasenspitze verlängert,
Hohle Augen und Schläfen, verhärtet und kalt die Gesichtshaut,
Niedersinkender Mund und die Stirnhaut dauernd in Spannung.
Nicht gar lange danach erstarrten die Glieder im Tode;
Meistens gaben ihr Leben sie auf, wenn achtmal die Sonne
Leuchtend die Fackel erhoben, bisweilen auch erst bei der neunten.
War nun auch einer, wie's kommt, dem Todesschicksal entronnen,
So ergriff ihn doch später die Zehrung, da ekle Geschwüre
Nebst schwarzflüssigem Stuhl ihn schwächten; der Tod war ihm sicher;
Oder es quoll auch nicht selten zugleich mit heftigem Kopfweh
Reichlich verdorbenes Blut aus verstopfenden Nasengeschwüren;
Damit floß auch die Körperkraft dem Erkrankten zugleich hin.
Wer nun auch wirklich dem starken Erguß des vereiterten Blutes
Glücklich entrann, der verfiel doch in Nerven- und Gliederverrenkung;
Ja, es warf sich die Pest sogar auf die Zeugungsorgane.
Einige ließen in ängstlicher Furcht vor den Pforten des Todes
Lieber das Glied mit dem Messer entfernen, um weiter zu leben;
Einige blieben auch leben, doch gaben sie Hände und Füße
Drein, wie andere wieder das Licht der Augen verloren.
So stark hatte sie grimmige Angst vor dem Tode ergriffen.
Einige büßten sogar die Erinnrung an alles Vergangne
Ein, so daß sie nicht mehr auf sich selbst sich konnten besinnen.
Zwar lag Leiche auf Leiche gehäuft, da niemand beerdigt
Wurde, allein die Scharen von Vögeln und wildem Getiere
Wichen zurück in die Ferne, dem gräßlichen Stank zu entfliehen,
Oder sie fielen dem Tode anheim, sobald sie gekostet,
Oder es kam überhaupt in jenen schrecklichen Tagen
Schwerlich ein Vogel hervor und die bösen Bestien blieben
In den Gehölzen zurück; die meisten siechten und starben
Gleichfalls. So auch besonders die treuen Wächter, die Hunde:
Überall hauchten ihr Leben sie jämmerlich aus auf den Straßen;
Denn das entsetzliche Gift nahm qualvoll ihnen das Leben.
Auch gab's keine Arznei, die bei allen sich sicher bewährte;
Denn was dem einen vergönnte, in volleren Zügen zu atmen
Lebenerhaltende Luft und des Himmels Räume zu schauen,
Das war vernichtendes Gift für den ändern und brachte den Tod ihm.
Hierbei war nun vor allem die jammervollste Erscheinung
Und die kläglichste die, daß jeder, sobald nur die Krankheit
Ihm sich bemerkbar machte, als wär' er zum Tode verurteilt,
Jegliche Hoffnung verlor, und während er traurigen Herzens
Seines Endes nun harrte, alsbald die Seele verhauchte.
Freilich, es wurden ja auch die Keime der gierigen Seuche
Während der ganzen Zeit von einem zum ändern vertragen.
Wie bei den Trägern der Wolle und hörnerbewehreten Ochsen.
Dies war vor allem der Grund, daß Leichen auf Leichen sich häuften;
Denn wenn aus Angst vor dem Tod und aus gieriger Liebe zum Leben
Mancher davor sich scheute die kranken Familienglieder
Aufzusuchen, so strafte auch ihn bald Mangel an Pflege,
Da ihn freundlos und hilflos ein schimpfliches Ende erreichte.
Doch wer die Hand nur reichte, der ging durch stete Berührung
Und an der Mühe dahin, zu der ihn die Ehre getrieben
Oder die rührende Bitte und Jammerstimme der Siechen.
Also erlagen dem Tode auf die Art grade die Besten.
Ohne Begleitung rasten die Wagen zum Grab wie im Wettlauf;
[Jeder begrub die Gebeine, wo grade der Zufall ihn hintrieb,
Ohne nach frommen Gebrauch die Sitten der Väter wehren.]
Wie um die Wette bald hier bald dort begrub man die Seinen;
Dann von dem Weinen und Trauern erschöpft ging jeder nach Hause,
So warf wohl gar manchen der Harm um die Lieben aufs Lager.
Niemand war da zu finden, dem nicht in dem schrecklichen Jahre
Krankheit oder der Tod sich nahte oder doch Trauer.
Nunmehr siechte zudem wie der Schafhirt so auch der Stierknecht
Hin und der Ackersmann, der mit Kraft den gebogenen Pflug lenkt.
Aufeinander gepfercht lag da in dem Innern der Hütte Körper an
Körper, wo Krankheit und Not dem Tode sie weihten.
Über entseelten Kindern erblickte man öfters die Körper
Ihrer Eltern entseelt; und hinwiederum konnte man schauen
Söhne, die über die Eltern gesunken ihr Leben verhauchten.
Dieses betrübliche Leid floß nicht zum geringsten vom Lande
Über zur Stadt, und die Masse des dorthin strömenden Landvolks
Trug, schon krank, die Keime herbei aus allen Bezirken.
Sämtliche Räume und Häuser erfüllten sie: nur um so höher
Türmte in stinkender Enge der Tod die Haufen der Leichen.
Zahlreiche Leichen bedeckten die Straßen; sie hatten sich vorwärts
Dorthin gewälzt, wo der Durst zu den Röhren der Brunnen sie lockte,
Aber der Labe zu gieriger Trank nahm ihnen das Leben.
Viele sah man sogar auf belebten Straßen und Plätzen,
Wo sich das Volk gern trifft, halbtot und erschlafft in den Gliedern,
Lumpenbedeckt und starrend von gräßlichem Schmutze verenden:
Unflat deckte den Körper, Gerippe von Haut und von Knochen
Schienen sie, fast schon begraben in Dreck und eklen Geschwüren.
Endlich hatte der Tod auch die heiligen Tempel der Götter
Vollgestopft mit den Leibern der Toten, und überall blieben
Sämtliche Gotteshäuser mit Leichen belastet, da diese Räume die
Küster den Scharen der Fremdlinge hatten geöffnet.
Freilich der Gottesdienst und die Gottheit selbst war bei ihnen
Nicht mehr geachtet. Zu groß war der gegenwärtige Jammer.
Auch die Bestattungsbräuche der Stadt, mit denen dies Volk stets
Früher die Seinigen pflegte zu Grabe zu tragen, verschwanden.
Gänzlich verwirrt im Gemüt lief jeder bald hierhin bald dorthin
Und barg, wie es nun ging, voll Kummer [den Töten] im Grabe.
Hierbei riet auch die Eile und Not zu entsetzlichen Dingen;
Denn sie legten nicht selten mit lautem Geschrei auf den Holzstoß,
Den man für andre geschichtet, die Leichen der eignen Verwandten,
Zündeten dann mit der Fackel ihn an und stritten sich oftmals
Lieber auf Mord und Tod, als daß von der Leiche sie wichen.