Geschichte des Bewußtseins
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Wollten sie das Wissen, d. h. die Wissensbegrenzung, in Löwensprüngen erreichen, müßten sie Aufgaben stellen wie: Die Geschichte, d. h. die Naturgeschichte des Bewußtseins.
Die Geschichte, d. h. die Entwicklung der Arten ist eine banale Phrase geworden. Fast zu gleicher Zeit wurde entdeckt, daß auch das menschliche Gewissen eine Geschichte habe und Nietzsche wurde mächtig, weil er diesen Gedanken (nachdem er von Geiger und Rée für Erkenntnistheorie und Ethik gewagt worden war) geistreich und paradox prachtvoll ausführte. Das alles ist Oberfläche. Zur Liebesknechtschaft zwingt die Sphinx erst der, der sie niederwirft und sie nach der Geschichte ihres Bewußtseins, d. h. ihres Gedächtnisses, d. h. ihrer Sprache fragt.
Wo ist das Bewußtsein im Stein ? Es muß da sein, das Analoge, sonst könnte es nicht im Menschen sein. Es muß bei der Kristallisation begleitend sein. Aber wo und wie? Wenn Kochsalz jedesmal in Würfeln kristallisiert, so ist das seine Sprache, sein Gedächtnis, sein Bewußtsein. "Es ist nur ein Naturgesetz, eine objektive Wirkung seiner Moleküle." Jawohl, objektiv, wie objektiv die Geburt der Sonaten im Gehirn Beethovens Bewegung der Moleküle war. Aber subjektiv ist die Geburt der Sonaten Geistestätigkeit, nicht wahr? Bewußtsein auch wieder nicht. Kristallisation aber subjektiv Gedächtnis und noch nicht energisches Bewußtsein. Aber Bewußtsein, das Analogen, doch schon. Wir ahnen, wir verstehen die Sprache nur noch nicht.
Pflanzen haben mehr. Der Kristall hat nur einmal freiwillige Bewegung (was noch nie beachtet worden ist), um dann ewig starr zu bleiben. Die Pflanze hat ihre jährlichen und ihre täglichen Bewegungen, Gedächtnis, Bewußtsein. Vor dem Kristall hat noch niemand lauschend gestanden, weil es noch nicht gedacht wurde, daß er vielleicht spricht. Vor den Pflanzen stehen die Menschen und lauschen. Die Sprache wird schon geahnt, aber noch nicht verstanden.
Diese subjektive Seite der Bewegungen nennen wir beim Menschen bald Gedächtnis, bald Bewußtsein, an Sonntagen Selbstbewußtsein, und wissen nicht, daß es dasselbe ist. Das Bewußtsein ist also das, was wir bei uns als Begleiterscheinung des Lebens oder der organischen Veränderung kennen. Für dieses Bewußtsein haben, wir beim Kristall kein Wort, weil wir da den Begriff nicht haben, wie wir beim Kristall weder Ursachen noch Zweckursachen für die Kristallisation haben. Und doch sind sie da nicht mehr oder weniger vorhanden als beim Wachstum von Pflanzen und Tieren. Bei uns nennen wir die Motive oder Zweckursachen unseres gesamten geistigen und unbewußten Nervenlebens: Hunger, Liebe und Eitelkeit. Wir fassen sie in diese drei Gruppen zusammen.
Die Physiologie oder Psychologie kennt drei Dinge: Wahrnehmungen, Willensakte und Gefühle oder so was.
Diese Dreieinigkeiten decken sich ungefähr. Soweit das Bewußtsein, die subjektive Begleiterscheinung des Lebens, von außen gereizt wird, kann es ursprünglich gewöhnlich Hunger genannt werden. Durch Zuflüsse von außen wird ursprünglich der Hunger befriedigt. Was sonst noch wahrgenommen wird, ist Menschenüppigkeit, ist Luxus.
Worauf sich Willensakte in unwiderstehlichen Bewegungen erstrecken, das ist nun der Gegenstand von Hunger oder Liebe. Und genau genommen geht nur die Liebe nach außen; die Bewegungen des Hungers sind beim Flimmertierchen wie beim menschlichen Kauen doch eigentlich nur hereintreibende. Mensch und Raubtiere müssen freilich vorher jagen. Das ist aber doch nur der Luxus der Hungersnot.
Bleibt der Vorgang, wo im Gehirn die Brücke geschlagen wird von der Wahrnehmung von außen zur Bewegung nach außen. Das ist das Unbewußteste, das Geheimnisvollste. Aber gerade daran heftet sich die Gefühlsform des Bewußtseins, die Eitelkeit. Man versteht unter Gedächtnis oder Bewußtsein doch mehr diesen Zentralvorgang als die Einfuhr und Abfuhr, die Wahrnehmungen und Willensakte, Hunger und Liebe. Man denkt sich unter Seele oder Bewußtsein oder Gedächtnis doch mehr die Spinne als die Spinnfäden.
Nun sind aber nur die Einfuhr und die Ausfuhr wirklich; die Brücke ist unfaßbar, ist unnahbar, ist fast so unwirklich wie — ein statisches Gesetz. Unsichtbar schwimmt der Zentralvorgang in einem dünneren oder dickeren Nebel, welcher die Sprache ist. Letzte Zweckursache der Sprache scheint also das dritte große Motiv der Menschheit zu sein: die Eitelkeit. Nur daß die Sprache, das Organ jeder Eitelkeit, sich auch der anderen Motive bemächtigt hat, so weit sie luxuriiert haben. Der Hunger und die Liebe brauchen die Sprache, sobald sie im Menschen lasterhaft geworden sind.
Das sind wohl noch keine Beiträge zu einer Geschichte des Bewußtseins, vielleicht aber Gesichtspunkte, das heißt gute Fragen.
Ich möchte fragen lehren und lernen.
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