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Worte im Bewußtsein

Stellen wir uns unter dem Bewußtsein etwas Wirkliches und Wirkendes vor, so werden wir außer allen anderen Widersprüchen auch noch zu dem geführt, daß bei der Enge des Bewußtseins immer nur ein außerordentlich kleiner Bruchteil unserer Erfahrung vorhanden ist, präsent ist, daß aber doch in jedem gesunden Kopfe die Sicherheit besteht, von diesem Bruchteil zu jedem anderen Punkte der Erfahrung sofort hinüberspringen zu können. Wie wir im stände sind, jede Stelle unseres Gesichts ohne Überlegung mit dem Zeigefinger zu finden, wie wir innerhalb eines vertrauten Zimmers oder einer wohlbekannten Straße blitzschnell einen Gegenstand in den Blickpunkt bringen können, so besteht unser Bewußtsein doch nur darin, daß seine Enge aufgehoben wird durch seine sichere und schnelle Beweglichkeit. Nun ist es aber ein eigenes Ding um die Enge des menschlichen Bewußtseins. Freilich kann nur ein Bruchteil unseres Gedächtnisses präsent sein, beispielsweise immer nur ein Wort; doch dieses Wort kann ebensogut ein Individuum bezeichnen als irgend eine Art oder Gattung; und je nach der Kenntnis dessen, der es denkt, kann das Wort arm oder reich an Erfahrungen heißen. Die Enge des Bewußtseins wird nun doch scheinbar verschwinden, wenn jemand die Worte Amerika oder Pflanze oder Rom mit großer Sachkenntnis im Bewußtsein hat. Wäre er doch im stände, über Amerika, die Pflanze oder Rom vom Flecke weg ein ganzes Buch zu sprechen. Es hat mit der Enge des Bewußtseins aber dennoch seine Richtigkeit, weil dieses Buch dem betreuenden Herrn eben nicht präsent ist, sondern nur das Wort, welches für das Buch an Sachkenntnis nur den Knotenpunkt des Gedächtnisses darstellt. Wir sind es nur so gewohnt, unser eigenes Gedächtnis an Worte zu heften und mit denselben Worten das Gedächtnis anderer Menschen anzuregen, daß wir es gar nicht mehr bemerken, wie wir uns bei solchen Worten oft gar nichts Sachliches denken, nicht einmal die engsten und bequemsten Kenntnisse. Solche Worte sind im Salongeschwätz, in der Schule sehr häufig nur Lautzeichen, fähig, Erinnerungen zu wecken, aber zu geläufig, um sie immer auszulösen. Nur in diesem Sinne ist H. v. Kleists (dem bekannten französischen Satze vom Appetit, der beim Essen komme, nachgebildeter) Satz wahr: l'idée vient en parlant. Für den erregten Dichter ist er psychologisch interessant. Als Motto der Sprachkritik bekam er einen ironischen Sinn, an welchen Kleist nicht dachte. Wenn man einen sogenannten Gebildeten fragen würde, was Columbus entdeckt habe, so würde er zuverlässig Amerika antworten. Aber höchst wahrscheinlich würde er nur die Lautgruppe aussprechen, und weder der damalige noch der jetzige Zustand des Landes, weder die Geschichte noch die Statistik Amerikas würden ihm ins Bewußtsein kommen.

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