Unbewußte Vorstellungen
Unbewußte Gehimtätigkeiten sind vorausgesetzt worden, lange bevor Eduard von Hartmann ein neues System, gewissermaßen eine neue Société anonyme auf sie gründete.
Selbstbewußtsein ist für uns nur ein höherer selbstverliehener Titel des Bewußtseins. Wie wenn ein Usurpator nach erlangter Macht sich auch noch den Zierat der Krone aufsetzt, oder wie wenn ein König als oberster Kriegsherr sich selbst auch noch zum Inhaber eines bestimmten Regiments ernennt.
Dieses sogenannte Bewußtsein wieder haben wir erkannt als den sprachlichen Ausdruck für die Tatsache der Erinnerung, d. h. der Fortwirkung unserer Gehirneindrücke. Ja es gibt außer den Gleisen der Sprache die schwer auszudrückende Ahnung: daß das sogenannte Bewußtsein im Zentralnervensystem nichts weiter ist als der uralte Begriff der Ursache, der sich später das Gesetz der Trägheit nannte, und der sich jetzt gern die Erhaltung der Energie nennt; daß das Bewußtsein in seinem feinen Nervensystem so einfach sein muß, wie die Fortdauer eines Felsens, solange ihn die Zeit mit Sonne und Regen nicht zerstört. Wir haben erkannt oder wir ahnen, daß das sogenannte Bewußtsein der Ausdruck für die Dauer der Eindrücke ist, nicht aber selbst etwas Dauerndes. In den Gleisen der Sprache geredet: Das Bewußtsein ist in jedem Momente der stumme Meilenzeiger auf dem Wege. Wenn wir auf der Straße marschieren, so zeigen die schwarzen Ziffern auf dem weißen Stein bei einiger Aufmerksamkeit plötzlich, daß wir uns 3,7 Kilometer von Fonterossa entfernt haben. Dann geht es weiter, unsere Aufmerksamkeit blickt anders wohin, wir gehen, wir atmen, wir lieben und hassen, wir leben. Plötzlich blickt unsere Aufmerksamkeit wieder nach unten und wir schauen zurück auf 5,6 Kilometer seit Fonterossa. Wir erinnern uns des Rückwärts, der Vergangenheit, und wir wissen vom Vorwärts, daß es nun so und so viel kürzer geworden ist. Das ist alles.
So ist das Bewußtsein durch die Wichtigkeit, welche wir (aus praktischen Gründen) der Erinnerung beilegen, der positive Ausdruck für die stummen Wegsteine unseres Lebens geworden. Das Leben selbst, das ohne Bewußtsein zwischen ihnen liegt, das eigentlich Positive hat die Sprache schamloserweise mit der Negation "unbewußtes Vorstellen" gebrandmarkt. Doch die Sprache ist so wenig wie ihre Weltgeschichte ein Weltgericht. Das Reich des Bewußtseins ist klein und machtlos, die Macht des Unbewußten aber ist groß, ja wirklich ungeheuer, wie denn ungeheuer wieder zufällig ein negativer Ausdruck für das Größte ist.
* * *