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Entdeckung der Mitteilungsmöglichkeit

Das Verhältnis des Lallens zur Erlernung der Muttersprache läßt sich beim Kinde am besten während des letzten Viertels des ersten Lebensjahres beobachten. Da hat der Säugling den größten Schritt der urzeitlichen Menschengeschichte in seinem Gehirn kleinweise bereits wiederholt: er hat begriffen, dass das Tönen des Sprachorgans zur Mitteilung zwischen den Menschen geeignet sei. Er versteht bereits einige Worte seiner Umgebung und reagiert darauf mit seinen Bewegungen. Er ahnt auch bereits, dass er im stande sein werde, diese Töne nachzumachen; aber die ersten Versuche mißlingen vollständig, er hört irgend etwas Tönendes, bewegt aufmerksam Zunge und Lippen und bringt etwas anderes Tönendes hervor. Es ist schon vorhin darauf aufmerksam gemacht worden, dass wir durchaus nicht wissen können, ob nicht irgend eine Absicht der Nachahmung auch dem Lallen dieses Lebensjahres zugrunde liegt. Jedenfalls hören wir Erwachsenen keine Bestandteile der Muttersprache heraus. Was wir wahrnehmen können, das ist folgendes: das Kind weiß jetzt (ungefähr so wie ein erwachsener Hund), dass z. B. sein Nahrungsbedürfnis rascher befriedigt wird, wenn es mit den Händen oder mit den Sprachorganen geeignete Bewegungen macht. Freiwillige Bewegungen zum Zwecke der Ernährung sind das Kennzeichen der Tiere. Es gibt sehr unentwickelte Tiere, welche das nahrungshaltige Wasser durch Bewegungen ihrer Elimmerhärchen an ihr Freßorgan heranspülen; es gibt sehr hochentwickelte Tiere, man nennt sie Dichter, welche Theaterstücke schreiben aus fein differenziertem Hunger und welche diese äußerst komplizierte Maschinerie des Stückeschreibens doch nur für Herbeischaffung der Nahrung (in weiterem oder im engsten Sinne) in Bewegung setzen. Mitten zwischen diesen beiden Extremen steht das einjährige Kind mit seinen Nahrungsbewegungen. Vielleicht glaubt der Hund, dass sein Winseln unmittelbar durch eine Zauberkraft die Tür öffne; vielleicht glaubt das Kind, dass die Bewegungen seiner Sprachorgane ihm die Milch aus der Brust oder der Elasche herbeispülen. Wir haben dann einen frommen Hund, ein frommes Kind vor uns. Das Kind arbeitet dabei mit den Muskeln seiner Augen und seiner Ärmchen, es fleht mit Blicken und Händen. Aber es hat bereits auch gelernt, die Muskeln der Lippen, der Zunge und des Kehlkopfes in Bewegung zu setzen; es hat z. B. einmal bemerkt, dass auf die Bewegung, welche das Zufallswort "mimi" hervorbrachte, sofort die süße Milch an seinem Munde war. Das Kind hat nun schon Gedächtnis genug, um beim nächsten Hungergefühl die gleichen Sprechbewegungen zu machen; auch die Mutter hat Gedächtnis und versteht das Zufallswort mimi schnell, ohne dass das Kind die Muskeln seiner Augen und seiner Arme anzustrengen braucht. Das auszeichnende Merkmal der Sprache, die große Bequemlichkeit der Zeichen, ist zum ersten Male praktisch geworden. Mutter und Kind üben sich unbewußt auf das Zufallswort ein, und wieder einmal hat eine neue Ursprache angefangen. Sie wird nachher durch die Muttersprache verdrängt, weil diese im Verkehr zwischen den Menschen noch bequemer ist. Aber für einige Zeit ist das Lallen zur Sprache geworden, der Zufallslaut mimi ist das Zufallswort mimi geworden.

Noch einmal: wir sagen Zufall, weil wir die Notwendigkeit nicht beschreiben können. Vermuten können wir aber doch, dass die Lippenbewegung, ohne welche m nicht hervorgebracht werden kann, doch nicht so ganz zufällig das Wort für das erste Bedürfnis des Kindes bildet: die Nahrungsaufnahme. Vielleicht ist der Säugling dabei ein mimischer Künstler und ahmt das Saugen nach, um das Saugen zu ermöglichen, oder vielmehr: er saugt so lange, bis er Milch findet. Psychologen mögen sich nun daran ergötzen, dass der Begriff mimi im Säuglingsgehirn unklar und unbestimmt unsere Begriffe Milch, Mama, Amme, Mund umfassen mag und dass da überall das mimische m vorhanden ist. Ein Kind, das mit der Elasche aufgezogen worden ist, wird natürlich auch "Flasche" unter dem Begriff mimi mitdenken.