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Warnungsschrei und Metapher

Nun haben solche Wirkungen der Metapher und der Analogie die Sprache immer weiter entwickelt, so weit wir auch das bißchen Geschichte irgend zurückverfolgen können. Warum soll das in der vorhistorischen Zeit anders gewesen sein? Ich gestehe, dass ich es mir mit aller Mühe gar nicht anders vorstellen kann. Viel eher kann ich mir denken, dass die Aufstellung von sogenannten Sprachwurzeln, wie im Sanskrit und in den semitischen Sprachen, selbst wieder eine Modelaune der Analogietätigkeit war. Meine Phantasie sieht nicht die kleinste Schwierigkeit darin, in irgend einer, über alle Begriffe zurückliegenden Zeit den Warnungschrei einer Menschenhorde anzunehmen, der noch gar nicht in unserem Sinne artikuliert war, und der dennoch durch Höhe, Stärke, Wiederholung und andere Differenzen das Ausdrucksmittel für Warnungen vor verschiedenen Gefahren werden konnte. Der "unartikulierte" Warnungschrei einer bestimmten Horde konnte also durch Neuschöpfung schon zum sprachlichen Ausdrucksmittel z. B. für einen Löwen, eine Schlange, einen Regen oder einen Feind werden. Dieser Feind, die benachbarte Horde, hatte sicherlich einen anders klingenden Warnungschrei, der seinerseits wieder auch noch nicht in unserem Sinne artikuliert war. Wollte nun der Führer der ersten Horde das Herannahen der zweiten Horde melden, so wiederholte er gewiß deren Warnungschrei; dieser wurde also zum Namen der anderen Horde. Wir haben demnach hier in einem sehr wahrscheinlichen, an der Grenze der Sprachentstehung gedachten Falle bereits die wirkenden Ursachen der heutigen Sprachentwicklung beisammen: Metapher, Analogiebildung und Entlehnung von Fremdwörtern.

Zu den Neuschöpfungen, deren Vorhandensein die Sprachwissenschaft freundlichst zugesteht, gehören eine Menge sogenannter onomatopoetischer Worte, der bekannten Klangnachahmungen. Die Wissenschaft würde sicherlich auch an diesen Worten ihr beliebtes Spiel mit den Gesetzen des Lautwandels fortsetzen und jede Neuschöpfung leugnen, wenn die lebendige Sprache nicht gegen alle Lautgesetze solche Formen häufen würde. Bammeln und bimmeln, bollern, bullern und poltern, knarren, knarzen, knirren und knirschen, wabbeln und wibbeln und viele ähnliche lassen sich lautgesetzlich nicht erklären. Habe ich aber recht mit meiner Behauptung, dass jede Klangnachahmung durch artikulierte Menschensprache unbedingt und notwendig schon eine Metapher sein muß, weil die Geräusche der toten wie der lebendigen Natur durchaus nicht den Artikulationen der Menschensprache gleichen, so fallen alle diese klangnachbildenden Neuschöpfungen unter die Klasse der Metapher. Es sind aber sehr kühne Metaphern, und ich möchte wohl der Phonetik die schwierige Aufgabe stellen, diese sogenannten Klangnachahmungen, die in Wirklichkeit Metaphern unartikulierter Geräusche sind, besser als bisher zu beschreiben, also nach ihrer Meinung zu erklären. Es wäre eine lohnende Aufgabe für die Phonetik, z. B. in diesem Sinne die Geschichte des Wortes "Kuckuck" zu liefern. Empfand man das mittelhochdeutsche "gouch" ebenso als Onomatopöie wie wir unser "Kuckuck"? Oder ist die Klangempfindung im Mittelalter verloren gewesen und erst im Neuhochdeutschen (Guckgauch) wiedergekehrt?