Wauwau-Theorie
Die dritte Theorie, die onomatopöetische, schallnachahmende, welche Max Müller als die Wauwau-Theorie lächerlich zu machen vermeinte, ist die älteste Lehre über Entstehung der Sprache, und zu ihr ist man seit Platon immer wieder zurückgekehrt. Onomatopöie hieß bei den Griechen — wie schon das Wort besagt — eben gar nichts anderes als Wortbildung. Auch wir glauben, dass in Urzeiten die Menschen sehr häufig Dinge dadurch zu bezeichnen suchten, dass sie ihre eigentümlichen Geräusche mit der Menschenstimme nachzuahmen glaubten. Aber wieder frage ich in dieser Lehre, so wie sie vorgetragen wird, vergebens nach der Idee von einer Ursache der Spracherscheinungen, nach der "Kraft".
Es wird nämlich in der folgenden Untersuchung — überzeugend, wie ich hoffe — nachgewiesen werden, dass in jeder Schallnachahmung nur ein Bild, eine Metapher des Originalschalles geboten wird. Dies gilt nicht allein von den Fällen, wo ein ganz verworrenes Naturgeräusch — wie in "Rauschen", "Donnern" — für unser Sprachgefühl nachgeahmt wird; es gilt auch — mein Beispiel ist "Kuckuck" — überall da, wo wir ganz ernstlich glauben, das Tier habe einen Ruf, der mit seinem deutschen Namen identisch wäre. Diese Täuschung ist ganz allgemein, nicht nur bei Philologen, sondern auch bei ganz unverdorbenen Leuten. Kürzlich erst, als ich mit einem Jäger durch ein Binnenwasser segelte und ein Kiebitz mit seinem Schrei (plattdeutsch "kiwiet") über uns hinflog, sagte mein Begleiter: "Er kann nichts als seinen eigenen Namen rufen."
(Ich möchte an dieser Stelle übrigens noch die Bemerkung einschalten, dass wir bei der endlosen Vergangenheit unserer Wörter niemals wissen können, ob die Onomatopöie, die wir z. B. heute aus einem Worte herausfühlen, auch seine Etymologie sei. Hier sind die gröbsten Irrtümer möglich und wahrscheinlich. Es kann und wird sehr häufig onomatopöetische Volksetymologie vorliegen, ein Begriff, zu dem Beispiele zu sammeln ich Detailforschern überlassen muß.)
Wenn nun unsere echten Schallnachahmungen — sie dürften zu zählen sein — durchaus keine realistischen Nachahmungen sind, wenn jedesmal das Eintreten artikulierter Menschenlaute für die jedesmal unartikulierten Naturlaute oder -Geräusche ein Symbol, ein konventionelles Bild, mit einem Worte eine Metapher von dem Originalgeräusch darstellt, so fehlt der Wauwau-Theorie meines Erachtens abermals dasjenige, was die Erscheinung oder Entstehung der Sprache erst erklären könnte. Irgend eine Ursache für die Erfindung der Artikulation wird nicht entfernt angegeben. Läßt man das Metaphorische in der Onomatopöie außer acht, so bleibt zwischen Nachahmung und Sprache eine unüber-brückte Kluft. Es gibt bekanntlich Tiere (Papageien, Spottdrosseln), die Schallnachahmungen auszuführen lieben; sie haben aber nicht artikuliert sprechen gelernt, wenn sie auch — neben ihrem spielenden Nachplappern — ihre eigene Sprache haben mögen. Der Mensch wiederum, der Schallnachahmungen nützlich zur Sprache umgeformt zu haben glaubt, erkennt sofort instinktiv, dass er konventionelle Zeichen für Nachahmungen genommen hat, sowie mit der Ähnlichkeit Ernst gemacht werden soll. Der Jäger, der ein Tier durch Nachahmungen seines Rufs anlocken will, begnügt sich niemals mit den hergebrachten Onomatopöien. Selbst viele Kinder wissen das schon. Sie antworten auf die Frage: "Wie singt der Hahn?" wohl "Kikeriki"; aber wenn sie es ernstlich nachahmen wollen, dann bringen sie "unartikulierte" Laute hervor. Ebenso sagen sie wohl, der Hund mache "Wauwau"; aber sie bellen unartikuliert besser, sobald sie nachmachen wollen. Und mancher Tingeltangelvirtuose kann die verschiedenen Bellaute recht gut auseinander halten.
Unsere sogenannten Schallnachahmungen sind also schon konventionelle Zeichen, sind schon Worte. Und auf die Frage: wie kam der Mensch dazu, neben seiner Fähigkeit, die Naturtöne realistisch nachzuahmen, auch noch die andere Fähigkeit zu entwickeln, diese selben Laute konventionell umzugestalten? auf diese Frage hat die Wauwau-Theorie keine Antwort. Ja, die Frage ist meines Wissens noch niemals gestellt worden.
Auf einen drolligen Rettungsversuch der Wauwau-Theoretiker lasse ich mich nur ungern ein. Während ich jede Onomatopöie für metaphorisch erkläre, ihrem Wesen nach, eben der Artikulation wegen, haben überzeugte Onomatopöetiker die Nachahmung selbst bildlich erweitern und durch die Artikulation, z. B. Schnelligkeit, Mühsamkeit, gewissermaßen plastisch dargestellt wissen wollen. Noch Whitney glaubt, das sei nicht ohne Glück geschehen. Erinnert er doch sogar an die "Wurzel" ma, deren Konsonant m in so vielen Sprachen (allen indoeuropäischen vor allem) die erste Person der Einzahl bezeichnet, weil bei der Aussprache des m "die Lippen sich fest zusammenpressen, den Sprecher gleichsam von der Außenwelt abschließen"; oder an die "hinweisende Pronominalwurzel" ta, welche figürlich den Hinweis auf einen Gegenstand bezeichnen soll, "weil die Zunge sich dabei im Munde vorstreckt, gerade als wollte sie irgendwohin deuten".