Metaphorik
Als besonderer Vorzug der indogermanischen Sprachen wird es empfunden, dass sie ihren Dingworten ein bestimmtes Geschlecht verliehen haben. Eine Schönheit mag es sein, wenn wir auch über Sprachschönheit so wenig urteilen können, wie über Tier- oder Pflanzenschönheit; den Vorzug sehe ich nicht. Uns ist der Mond männlich, die Sonne weiblich, den Romanen umgekehrt, und dem Kalender ist es gleichgültig. Wohl aber mag die Entdeckung, dass Sprachen mit starkem Geschlechtssinn auch gut entwickelte Verbalformen haben — ich weiß nicht, ob man diese Beobachtung schon ein Gesetz genannt hat — verraten, was bei der Geschlechtsfrage in die Augen zu springen scheint, dass nämlich derselbe künstlerische, phantastische Geist, der Geschlechtsstimmung in die Dinge hinein verlegt, eben auch — wie schon oben gesagt ist — auch den menschlichen Willen unter dem Namen Verbum in die Wirklichkeit hinein träumt, dass also die indogermanischen Sprachen sich besonders gut zum Kunstmittel eignen, weil sie nicht nur in ihrem Stoff, das heißt in ihren Worten, sondern auch in ihren Formen ganz ausgezeichnet lebhaft metaphorisch sind.
Dass Sprachen außer in ihrem Stoff auch noch in den Formen metaphorisch sein können, darf aber nur den überraschen, der nicht mit mir dazu gelangt ist, einzusehen, dass alle Sprache Nichtwissen ist, alle Sprache ihrem Wesen nach bildlich, metaphorisch sein muß. Dass die Kategorie Verbum oder Handlung eine Metapher ist, ist aber leicht einzusehen; es mag als Brücke dienen zu der Einsicht, dass auch die Kategorien "Ding" und "Eigenschaft" im Grunde nur Metaphern unseres Nichtwissens sind, dass also auch die Formen des Substantivs und Adjektivs nur bildlich zu verstehen sind. (Vgl. mein "Wörterbuch der Philosophie", Art. Substantivische Welt.)
Aus dem Persischen kann man sogar ein Beispiel dafür beibringen, dass die Grammatik Metaphern für das Leben und den Tod zu bilden gewußt hat, wie sie es übrigens auch in slawischen Sprachen und im Spanischen versucht. Von ähnlichen Erscheinungen in amerikanischen Sprachen nicht erst zu reden. Im Persischen wurde der Plural für Unbelebtes anders gebildet, als für Belebtes und Vernünftiges. Der Plural für Vernünftiges und Belebtes allein endigt auf an. Und nun ist es ganz typisch für die Geschichte der Sprachen (die ihre Worte wie Scheidemünzen entwerten läßt), dass diese Pluralendung für Vernünftiges ruhig da angewandt wurde, wo ein Poet z. B. eine Blume beseelen wollte. Bei Firdusi kommen Rosen und Narzissen schon mit der Endung des Vernünftigen vor (Nargisan), bis dann später die Metapher ihren Wert ganz verlor und zur toten Form wurde.
Die Sprachwissenschaft ist aber leider nicht allein eine Wissenschaft der Sprache, sondern auch eine Wissenschaft in Sprache. So kommt sie zu der traurigen Aufgabe, die Fehler der Sprache zu potenzieren. Wenn alle Sprache daran scheitern muß, dass sie die Wirklichkeitswelt nur klassifizieren kann, anstatt sie zu begreifen, so gibt sich ihre Wissenschaft nur zu sehr damit ab, die Formen der Sprache zu klassifizieren, anstatt sie zu begreifen, was dann freilich auch schon lachende Erkenntnis der Wirklichkeitswelt wäre.
Wollte Sprachwissenschaft solche Erkenntnis werden, so mußte sie die Worte behandeln, wie die Nationalökonomie die Münzen und andere Werte nimmt. Als Mittel des Bedürfnisses, des Interesses. Interesse oder Aufmerksamkeit hat die Sprachwissenschaft entstehen lassen; Interesse oder Aufmerksamkeit hat sich die Sprache geschaffen. Wir wissen, dass von unserem Interesse die Gedächtnisse abhängen. Also auch die Summe der Gedächtnisse, die Sprache.
Wenn ich mich nach einem Beispiel umsehe, um zu zeigen, wie sehr es das Interesse ist, was den Sprachschatz häuft, so finde ich nichts Besseres als die Armut oder den Reichtum einer Bantusprache, welche — wenn ich die Mitteilung recht verstehe — die Mehrzahl "Väter" nicht besitzt, dafür aber besondere Ausdrücke für: mein Vater, dein Vater, sein Vater. Wenn jemand also von seinem Vater spricht, so muß er dort ein anderes Wort gebrauchen, als wenn er zu seinem Bruder von dessen Vater (also bei uns von derselben Person) spricht.
Wie aber, wenn die Bantukaffern gar kein Gewicht legten auf den Begriff "Vater"? Wie wenn ihnen z. B. die Mutter das allein Gewisse und darum das allein Merkenswerte, Redenswürdige wäre?
Wenn wir aufmerksam suchen, so werden wir selbst für einen so wilden Sprachgebrauch bei uns eine Analogie finden.
Eine Schafherde interessiert einen Bauern gar sehr auf ihre Vermehrung hin. Aber im Widder wird er nur die Zeugungskraft beachten, nicht die Vaterschaft; er kann und wird nie von Lammvätern sprechen. Von Mutterlämmern, von Mutterschweinen, von Muttertieren spricht er aber wohl, weil die Mutterschaft ihn allein interessiert.