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Zufallssinne

Wir können noch einen Schritt höher steigen, wenn wir uns erinnern, daß die Kategorien unserer Sprache in einer notwendigen Abhängigkeit von unseren Sinnesorganen stehen, daß aber unsere Sinne — wie später ausgeführt werden soll — Zufallssinne sind. Es ist kein Zufall, daß wir nach der Konstruktion unserer Sinnesorgane an der Welt unser Ich von den Dingen unterscheiden, an den Dingen Eigenschaften von Bewegungen, an den Eigenschaften Farben, Töne u. s. w. Es ist aber ein Zufall, daß die Tiere der Erde bis hinauf zum Menschen gerade die Sinne für Töne, Farben u. s. w. entwickelt haben. Das tote Stück Eisen ist seinerseits weit empfindlicher für die uns völlig unbekannten Kategorien der Chemie und der Elektrizität. Auf diesem, um einen kleinen Schritt höheren und luftärmeren Standpunkt erscheint uns dann der Streit um den Nutzen der Sprache etwa so, wie ein Streit um den Nutzen unserer Sinne, d. h. um die Vorteile und Nachteile unseres Körperbaus. Solange man an einen Gott glaubte, der alles sehr gut gemacht hatte, mußten die schwachen Seiten unserer Organisation zum Glauben an einen Teufel führen, der die Fehler machte. Die Unterwerfung unter die blinde Entwicklung lehrt die letzte Resignation, das Verstummen der Frage nach gut und böse, nach Nutzen und Schaden. Die Sprache wird zum Gedächtnis des Organismus, welcher Mensch heißt, und dieser Organismus selbst ist auch nur das Gedächtnis seiner eigenen Entwicklung. Das Leben und die Sprache fällt zusammen zu einer unlösbaren Einheit. Man kann sagen: wie das Gedächtnis als "Vermögen", als Gehirnfunktion und das Gedächtnis als Einzelakt (Erinnerung) in einem Worte überhaupt zusammenfließen, so auch hier; der Organismus ist das Gedächtnis aller lebenden Natur, die Sprache ist dasselbe Gedächtnis noch einmal, seit der Erinnerungsmöglichkeit, — mit der Erinnerungsmöglichkeit. Und die Frage nach dem Nutzen der Sprache, d. h. ob ich mir nützlich bin, zerfließt in einer bloßen Stimmung, in dem Gemeingefühl, welches wechselt von Moment zu Moment, ob ich mich meines Lebens freue oder nicht.

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