Chamfort
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Chamfort. — Dass ein solcher Kenner der Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben der Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und Abwehr seitwärts stehen blieb, das weiß ich mir nicht anders zu erklären, als so: Ein Instinkt war in ihm stärker, als seine Weisheit, und war nie befriedigt worden, der Hass gegen alle Noblesse des Geblüts: vielleicht der alte nur zu erklärliche Hass seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur Mutter in ihm heilig gesprochen war, — ein Instinkt der Rache von seinen Knabenjahren her, der die Stunde erwartete, die Mutter zu rächen. Und nun hatte ihn das Leben und sein Genie, und ach! am meisten wohl das väterliche Blut in seinen Adern dazu verführt, eben dieser Noblesse sich einzureihen und gleichzustellen — viele viele Jahre lang! Endlich ertrug er aber seinen eigenen Anblick, den Anblick des „alten Menschen“ unter dem alten Regime nicht mehr; er geriet in eine heftige Leidenschaft der Busse, und in dieser zog er das Gewand des Pöbels an, als seine Art von härener Kutte! Sein böses Gewissen war die Versäumnis der Rache. — Gesetzt, Chamfort wäre damals um einen Grad mehr Philosoph geblieben, so hätte die Revolution ihren tragischen Witz und ihren schärfsten Stachel nicht bekommen: sie würde als ein viel dümmeres Ereignis gelten und keine solche Verführung der Geister sein. Aber der Hass und die Rache Chamfort’s erzogen ein ganzes Geschlecht: und die erlauchtesten Menschen machten diese Schule durch. Man erwäge doch, dass Mirabeau zu Chamfort wie zu seinem höheren und älteren Selbst aufsah, von dem er Antriebe, Warnungen und Richtersprüche erwartete und ertrug, — Mirabeau, der als Mensch zu einem ganz anderen Range der Größe gehört, als selbst die Ersten unter den staatsmännischen Größen von gestern und heute. — Seltsam, dass trotz einem solchen Freunde und Fürsprecher — man hat ja die Briefe Mirabeau’s an Chamfort — dieser witzigste aller Moralisten den Franzosen fremd geblieben ist, nicht anders, als Stendhal, der vielleicht unter allen Franzosen dieses Jahrhunderts die gedankenreichsten Augen und Ohren gehabt hat. Ist es, dass Letzterer im Grunde zu viel von einem Deutschen und Engländer an sich hatte, um den Parisern noch erträglich zu sein? — während Chamfort, ein Mensch, reich an Tiefen und Hintergründen der Seele, düster, leidend, glühend, — ein Denker, der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben nötig fand, und der sich beinahe verloren gab, an jedem Tage, wo er nicht gelacht hatte, — vielmehr wie ein Italiener und Blutsverwandter Dante’s und Leopardi’s erscheint, als wie ein Franzose! Man kennt die letzten Worte Chamfort’s: „Ah! mon ami, sagte er zu Sieyès, je m’en vais enfin de ce monde, où il faut que le cœur se brise ou se bronze — “. Das sind sicherlich nicht Worte eines sterbenden Franzosen.