Der Ernst um die Wahrheit
88.
Der Ernst um die Wahrheit. — Ernst um die Wahrheit! Wie Verschiedenes verstehen die Menschen bei diesen Worten! Eben die selben Ansichten und Arten von Beweis und Prüfung, welche ein Denker an sich wie eine Leichtfertigkeit empfindet, der er zu seiner Scham in dieser oder jener Stunde unterlegen ist, — eben die selben Ansichten können einem Künstler, der auf sie stößt und mit ihnen zeitweilig lebt, das Bewusstsein geben, jetzt habe ihn der tiefste Ernst um die Wahrheit erfasst, und es sei bewunderungswürdig, dass er, obschon Künstler, doch zugleich die ernsthafteste Begierde nach dem Gegensatze des Scheinenden zeige. So ist es möglich, dass Einer gerade mit seinem Pathos von Ernsthaftigkeit verrät, wie oberflächlich und genügsam sein Geist bisher im Reiche der Erkenntnis gespielt hat. — Und ist nicht Alles, was wir wichtig nehmen, unser Verräter? Es zeigt, wo unsere Gewichte liegen und wofür wir keine Gewichte besitzen.