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Das Buch fast zum Menschen geworden

208.

Das Buch fast zum Menschen geworden. — Jeden Schriftsteller überrascht es von Neuem, wie das Buch, sobald es sich von ihm gelöst hat, ein eigenes Leben für sich weiterlebt; es ist ihm zu Mute, als wäre der eine Teil eines Insectes losgetrennt und ginge nun seinen eigenen Weg weiter. Vielleicht vergisst er es fast ganz, vielleicht erhebt er sich über die darin niedergelegten Ansichten, vielleicht selbst versteht er es nicht mehr und hat jene Schwingen verloren, auf denen er damals flog, als er jenes Buch aussann: währenddem sucht es sich seine Leser, entzündet Leben, beglückt, erschreckt, erzeugt neue Werke, wird die Seele von Vorsätzen und Handlungen — kurz: es lebt wie ein mit Geist und Seele ausgestattetes Wesen und ist doch kein Mensch. — Das glücklichste Los hat der Autor gezogen, welcher, als alter Mann, sagen kann, dass Alles, was von lebenzeugenden, kräftigenden, erhebenden, aufklärenden Gedanken und Gefühlen in ihm war, in seinen Schriften noch fortlebe und dass er selber nur noch die graue Asche bedeute, während das Feuer überall hin gerettet und weiter getragen sei. — Erwägt man nun gar, dass jede Handlung eines Menschen, nicht nur ein Buch, auf irgend eine Art Anlass zu anderen Handlungen, Entschlüssen, Gedanken wird, dass Alles, was geschieht, unlösbar fest sich mit Allem, was geschehen wird, verknotet, so erkennt man die wirkliche Unsterblichkeit, die es gibt, die der Bewegung: was einmal bewegt hat, ist in dem Gesamtverbande alles Seienden, wie in einem Bernstein ein Insect, eingeschlossen und verewigt.