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Die deutschen Kleinstädter

Ich pflege in Polemiken den Ausdruck »Provinz« zu vermeiden; es hat so einen Nebenklang, als ob Berlin der Nabel der Welt sei, und es schließt eine törichte Verachtung des Eigenlebens deutscher Landschaften ein, kurz: es ist genauso dumm wie das Gekläff gegen Berlin. Doch drängt sich der Begriff einem manchmal auf, fassen wir ihn anders, sagen wir: geistige Kleinstadt, enges Blickfeld, kleiner Mann, dann kommen wir der Sache schon näher.

Die Zeitschrift »Pologne Littéraire« hat eine Rundfrage gemacht, ausgehend von der polnischen Sektion des PEN-Klubs: Was unsereiner von einem Literaturpreis des Völkerbundes dächte. Ich habe geantwortet, ich sei Gegner jedes literarischen Preises. Andre haben anders geantwortet. Zwei will ich herausgreifen.

»Ich bin sicher, dass ein Preis in dieser Höhe eine außerordentliche Wirkung haben wird, nicht der Summe allein halber, sondern der Ehre und der Würde wegen, die ein so hoher Preis in Verbindung mit einer menschlich so hoch stehenden Institution, wie der Völkerbund sie darstellt, haben muß.«

Oberregierungsrat Potzkuchen? Registrator Sengebiel? Nein das ist Schriftsteller Edschmid. Der Fall, dass einer in zwanzig Jahren literarischer Arbeit seine Muttersprache nicht erlernt, ist nicht häufig.

Nun aber eine nicht durchgebackne Schrippe: Josef Ponten.

»An sich kann man natürlich einen vom Völkerbund zu stiftenden und bei ihm zu begebenden Jahresliteraturpreis begrüßen.« Das deutsche Wörterbuch von Sanders kennt diese merkwürdige Anwendung von »begeben« nicht; ich auch nicht. Weiter.

»Aber der Völkerbund hat die Hälfte der Staaten und Völker der Welt tief enttäuscht, ein starkes Mißtrauen hat Platz ergriffen« – richtig, warum? –, »und daran ist die französische Führung schuld. Die Völker sind in ihm in französischer Hörigkeit. Wie für seine politischen Taten, so möchte auch für diese seine literarische die Gefahr des vorbetont Französischen drohen – ich und viele Kollegen in aller Welt würden das ablehnen.«

Frage: Reisen diese Leute nicht? Das ist doch Satz für Satz Unsinn.

Es ist nicht wahr, dass ein beträchtlicher Teil der außerdeutschen Welt gegen Frankreich ist. Die Welt ist auch nicht unbedingt für Frankreich, das braucht man gewiß nicht zu sein – aber so simpel und primitiv sieht es doch nicht aus. Wieder und wieder täuschen sich die deutschen Kleinstädter über die Unbeliebtheit ihres Erbfeindes – wenn es nachher zum Klappen kommt, sitzen sie vor Staunen auf dem Hintern und sehn in den Mond. Es ist auch nicht wahr, dass der Völkerbund unter französischer Führung steht – England dürfte ja wohl auch noch dasein. Reisen diese Leute nicht –? Vielleicht. Aber sie können nicht kieken.

Doch nun kommt die Schnecke aus dem Haus und legt Zeugnis davon ab, wie weit sie sehen kann.

»Denken Sie sich zum Beispiel, mir, dem aus dem heutigen Zwangsbelgien stammenden Romandichter, gelänge ein hochwertiges Werk« – das ist nicht auszudenken –, »in dem ich die unüberwindliche Sehnsucht der Menschen einer Landschaft, zu ihrem Volke zu gehören, ihr in den Sternen geschriebenes Recht darauf, hinreißend und preiswürdig schilderte, was ganz gewiß einen ›seelischen und geistigen Fortschritt‹ enthielte, und der Roman spielte in meiner Heimat Eupen, glauben Sie denn wirklich, dass der Völkerbund« – Momang, der Satz ist noch lange nicht zu Ende –, »dass der Völkerbund, in dem von der Führung heute noch an der ›Unabänderlichkeit der Verträge‹ festgehalten wird, ein solches Werk krönen würde, auch wenn ich Hamsun hieße« – heißt du aber nicht – »und sich das eingereichte Werk zum nächsten in Wettbewerb tretenden verhielte wie … « Ach, Kinder, gehn wir derweil frühstücken, bis der mit seinem Satz fertig ist!

Deutscher Kleinstädter. Da haben wir ihn ganz.

Man denke sich, Eupen und Malmédy seien Deutschland zugesprochen worden. Und nach zehn Jahren käme Belgien und wollte das Land wiederhaben. Man stelle sich das Geschrei Pontens vor, der dann sicher auf die Unabänderlichkeit der Verträge pochte – welch ein Logiker!

Aber abgesehn davon: ist das nicht jammervoll? Nicht, dass der Mann seine Heimat liebt, das ist ja schön und natürlich – aber dass er wirklich glaubt, es gebe auf der ganzen Welt nichts Wichtigeres als das Schicksal dieser paar Dörfer, und dass es bei so einem Werk, wie er es da skizziert, auf Eupen ankäme und auf die bewegende Frage, an wen diese Leute ihre Steuern zu entrichten haben, das eben ist: kleiner Mann. Ja, ich weiß. Knie nicht vor dem Grenzpfahl, Pepi Ponten – der Grenzpfahl ist kein Götze. Du betest Holz an.

Man hat Hamsun vorgeworfen, er sei »provinziell«, und manchmal ist er das auch. Er schildert Norwegen, kleine Fischerdörfer – und es geht uns alle an. Ponten schildert in zähflüssiger, schlechter Prosa Gott weiß was, und es geht uns gar nichts an.

Deutsche Kleinstädter. Wissen nicht, dass ihre Begriffe, gute und schlechte, nur ein sehr kleines kulturelles Hinterland haben, in dem das Echo ihrer Rufe nur schwach widertönt; ahnen nicht, worauf die ungeheure Macht des französischen Gedankens, ganz unabhängig von jedem Herrn Laval, beruht; hören nichts; schmecken nichts; sehen nichts.

»Die Frau von dem Sohn, wo Paula die Semmeln holt, neben Weyl. Deren Schwester hat auch solch ein Magengeschwür –« heißt es einmal bei Ringelnatz. Und ist überschrieben: »Mutter Frühbeißens Tratsch«.

Diese Frau sieht um eine Nasenlänge weiter als Josef Ponten und die deutschen Kleinstädter.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 23.02.1932, Nr. 8, S. 289.