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Kolossal berühmt

Auf der sprachlichen Niederjagd gefangen: »berühmt geworden«.

Irgend ein Esel mag das einmal geschrieben haben, um sich wichtig zu machen: »die berühmt gewordene Rede des Kanzlers … « Und nun schreiben es ihm alle, alle nach: die berühmt gewordene Szene, das berühmt gewordene Chanson, die berühmt gewordene Wendung. Gemeint ist: bekannt.

Homer ist berühmt. Chaplin ist zur Zeit berühmt. Der Ruhm Napoleons, das kann man sagen. Es ist aber ein Irrtum, zu glauben, dass berühmt sei, was zweimal in der Schlagzeile einer Mittagszeitung gestanden hat, denn da steht vieles, was früher, Borgis, ohne Durchschuß, im lokalen Teil zu stehen pflegte. Es ist da eine jammervolle Verengung des Gesichtskreises eingetreten, die Vordergrund-Figuren erscheinen ganz groß, und die gesamte Welt verschwimmt zu einem grauen Fond. Geistige Autarkie.

Sprache ist stets Ausdruck einer Gesinnung. Diese hier ist beklagenswert. Jeder dieser kleinen Kreise hält sich für das Zentrum der Erde, und man muß einmal erlebt haben, was geschieht, wenn sich diese Leute im Ausland mit Fremden unterhalten: wie da beide Teile aneinander vorbeireden, wie der Deutsche auch nicht einen Augenblick auf den Gedanken kommt, seine Begriffe und Maßstäbe könnten vielleicht dort nicht gelten, mehr, überhaupt nicht bekannt sein … seine Seele kreist um den Potsdamer Platz oder um drei Zeitschriften oder um Hitler oder um sonst eine Lokalgröße und ist nicht davon loszubekommen. Und dann sind alle Beteiligten erstaunt, weil es zu keiner Einigung kommt. Wenn zwei Kaufleute miteinander abschließen wollen, und der eine meint, es handle sich um Kauf, und der andre meint, es handle sich um Miete, so kommt auch bei einer scheinbaren Einigung kein Vertrag zustande – Dissens nennt es der Jurist. So ungefähr verlaufen die meisten internationalen Diskussionen. Es ist ein Jammer, dass dabei nicht Latein gesprochen wird.

Man blättere, was viel zu wenig getan wird, in den Zeitungen ein Jahr zurück, und man wird sehen, was das »berühmt gewordene Stück« heute ist: Geraschel eines welken Kranzes. Und zwei Flugstunden weiter, grade um die Ecke, haben sie von dem statuierten Ruhm überhaupt nichts gewußt. Es ist ein Ruhm, dessen Reichweite mit den Grenzen eines postalischen Bestellbezirks zusammenfällt und der vierzehn Tage dauert, gut gerechnet. Diese Zeit spricht noch nicht ihre Sprache, oder: ihre Sprache ist die der Zeit von gestern. Sie pappt große Wörter, die beinah ihren Sinn verloren haben, auf die kleinen Begriffe des Alltags, ihr Kleid ist vier Nummern zu weit, und wenn alles schief geht, so sieht sie sich doch ununterbrochen im Spiegel eines imaginären Konversationslexikons und kommt sich sehr berühmt geworden vor.

Peter Panter
Die Weltbühne, 15.03.1932, Nr. 11, S. 418.