Fort mit dem Visumzwang!
Zwischen Deutschland und Frankreich besteht noch immer der Zwang, sich die Einreise visieren zu lassen. Das muß aufhören.
Es ist ja vorläufig nicht anzunehmen, dass auch nur einer der beiden Staaten anfangen wird, mit dem andern wegen der Abschaffung dieser Formalität zu verhandeln – geschähe es, so kann ich mir ungefähr vorstellen, wie das geschieht. Von unendlicher Wichtigkeit, Bedenken, Anweisungen, Skrupeln, Takt- und Prestigefragen voll bis zum Hals werden die beiden Vertreter umeinander herumreden und um alles in der Welt nicht auf das schöne Recht verzichten wollen, durch einen Stempel zu bescheinigen, dass sie etwas durch einen Stempel bescheinigen.
Ganz abgesehen von dem Geld- und Zeitverlust hat diese Prozedur auf beiden Seiten etwas Beschämendes für erwachsene Menschen. Die lächerliche Pflicht, erst »nachzuweisen«, warum einer nach Paris oder Berlin fahren will, die kindlichen Einwände zu hören: »Diese Reise interessiert uns nicht« – als ob das nötig wäre, damit man nötig hat, sie zu unternehmen –, die vollkommene und klägliche Aussichtslosigkeit, jemals einen an der Reise zu hindern: alles das ist beklagenswert und durchaus geeignet, die Beziehungen der beiden Länder noch auf lange hinaus unersprießlich zu gestalten. Der Betrieb auf dem französischen Konsulat in Berlin und auf der deutschen Botschaft in Paris geht anständig vor sich; aber was da getrieben wird, ist in der Sache eine Torheit. Sie nützt keinem, führt beiden Staaten ein paar nicht so erhebliche Einnahmen zu und schadet allen Beteiligten, verärgert sie, macht sie mißmutig.
Die Neunmalklugen und Einmaldummen werden antworten: »Es ist noch zu früh … « Ich weiß. Es war im Jahre 1921 für die Frankfurter Snobs, die sich heute das Maul an der französischen Literatur zerreißen, auch zu früh, solche Berichte zu bringen, und so vergehen ungenutzt Jahre, weil die Tröpfe Klugheit mit schwerfälliger Bedenklichkeit verwechseln. Es ist keinen Tag zu früh – und von jetzt an alle Tage zu spät, mit dem Unfug aufzuräumen.
Man höre ja nicht auf die Einwürfe der politischen Fachleute, von denen aus nie Friede eintritt, weil die Zeit noch nicht gekommen ist. Wir haben schließlich kein A. A. und mit den Karriereaussichten von Botschaftsräten zu befassen. Sie müssen immerhin ihre Existenzberechtigung nachweisen. Für vernünftige Menschen liegt der Fall klar:
Der Kriegszustand ist aufgehoben. Die beiden Länder haben das größte Interesse daran, gegenseitig wieder miteinander Geschäfte zu machen und in einen geregelten Austausch ihrer geistigen und wirtschaftlichen Aktiva zu kommen. Der Paß hindert sie daran. Er ist unnötig, überflüssig, schädlich und schikanös. Es ist höchste Zeit, ihn aufzuheben.
Aber wahrlich, ich sage euch: »Eher gehet ein Diplomat durch ein Nadelöhr, denn dass ein Gerechter kommt in den Zustand der Visumlosigkeit« (Matth. 19, 24).
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 25.08.1925, Nr. 34, S. 307.