Der Geschäftsmann in der Literatur
Der Generaldirektor ergriff den Telefonhörer, »Müller!« sagte er nervös in den Apparat, »lassen Sie den großen Wagen vorfahren!«
Seit ›Soll und Haben‹, das noch heute viel mehr gelesen wird, als man glauben sollte, ist der Kaufmann Objekt der deutschen Romanliteratur. Man müßte also denken, dass uns solche Gesellschafts-Romane nun über das Wesen des Kaufmanns unterrichten, über seinen Charakter und seine Geschäfte, über die Art, wie er hochklettert oder nach unten rutscht … welche Rolle spielt der Geschäftsmann in der modernen Literatur?
Die eines beschäftigten Liebhabers, der in den Pausen, die ihm sein Innenleben läßt, mit lässiger Gebärde Schecks unterschreibt, Sekretärinnen sinnend nachsieht, im Handumdrehen ganze Trusts aufkauft, einer, dem sein Geschäft eine Folie abgibt, vor der sich seine männlichen Eigenschaften leuchtend abheben. Gott segne ihn.
Denn so ist er gar nicht.
Ich will nicht einmal von dem verständlichen Trick sprechen, den diese Romanmacher mehr oder weniger bewußt anwenden: ihr Kaufmann ist eigentlich nichts andres als der Held schlechthin, der Held aus den alten Ritterromanen; nur trägt er statt eines Visiers und der Panzerrüstung das undurchdringlich glatte Gesicht des Generaldirektors und den schwarzen Sakko-Anzug, der die Vorteile seiner Figur, die trotz der vierzig Jahre immer noch … kusch!
Keiner dieser Geschäftsleute wird uns in seinen Geschäften gezeigt. Wir wissen nicht, welcher Art diese Geschäfte sind, wir sehen nur ihre äußere Form – die aber sehn wir bis auf die Metall-Lasche der schwarzen Füllfederhalter.
Vorfahrende Autos und Türen aufreißende Diener; staubige Kontorräume und seidenbespannte Konferenzzimmer; die Psychologie einer Schlauheit, mit der ein kleiner Hypothekenmakler hinter dem Alexanderplatz auch nicht ein einziges Geschäft zusammenbrächte; heroische Schilderungen von Industriekapitänen, die gern im Schatten sitzen und ihre Besucher ins volle Licht setzen, um mit sich dasselbe zu tun: aber alles das besagt ja überhaupt nichts. Warum ist das so?
Weil die Romanschriftsteller nichts vom Geschäft verstehn, es sei denn, von ihrem eignen. Und über das schreiben sie nicht gern Romane.
Nun hat aber die Entwicklung einer zustandegekommenen Anleihe etwas durchaus Spannendes; um sie richtig zu schildern, darf man allerdings nicht nur Erzähler von Liebesgeschichten sein – man muß sich schon, wie Balzac und Flaubert es getan haben, über das unterrichten, was man da schildern will. Aber sie wollen ja gar nicht, weil sie, wenn sie wollten, es nicht dürften …
Wollten sie: so geht es nun nicht, wie sie es anfangen. Ich zum Beispiel leide an etwas, was Harry Kahn für sich »economical insanity« getauft hat – und man will sich doch belernen! So möchte ich denn einmal lesen, wie das nun wirklich vor sich geht, wenn Herr Direktor Achenbach zu Geld kommt, und wodurch er zu Geld kommt, und wem er es weggenommen hat, und ob er sehr listenreich dabei verfahren ist und wie, und worin seine Schlauheit besteht und die Dummheit der andern, und wie er es alles gemacht hat … das möchte ich wohl gern wissen. Aber niemand sagt mir das.
Wie sieht es im Gehirn eines jungen Syndikus aus, der wie fast alle Finanzherrscher von der Seite her in die Direktorialräume gerät, weil er mit jemand verwandt ist oder weil er Korpsbruder ist oder weil er eben dazu gehört. Wie arbeitet er sich ein? Wie erobert er sich Schritt für Schritt den Weg nach ganz oben? Wodurch? Bei welchen Gelegenheiten?
Wie sieht die Geistesgegenwart aus, die der alte Thyssen bei mannigfachen Verhandlungen angewandt hat, um sich die Macht zu verschaffen, die sein Konzern heute hat? Was ist bei diesen Leuten sauber? Was gilt noch als sauber? Was nicht mehr? Wie laufen die Fäden? Wie machen sie es –?
Das möchte ich erfahren. Statt dessen erfahre ich die gewaltige Ignoranz der Herren Romanautoren, die uns nun dartun:
Wie sich der Generaldirektor räuspert und wie er spuckt; dass er müde zwischen zwei Romansituationen hinwirft: »Ich fahre morgen nach der Türkei, um mit einem Regierungsbevollmächtigten über unsere Konzessionen zu verhandeln«, und das imponiert dem Autor so, dass er glaubt, solch ein Zeug genüge, uns einen Begriff von der Welt zu geben, die er schildern sollte, aber nicht schildern kann.
Es gibt freilich Ansätze, Versuche … Erstens: ›Die weiße Rose‹ von B. Traven. Dann ist einmal vor Jahren im Verlag Eugen Diederichs ein anonymes Werk ›Der Fenriswolf‹ erschienen; da hats jemand probiert. Der mir unbekannte Autor gab Schriftstücke, Telegramme, Zeitungsaufsätze, um auf diese Art ein großes Geschäft in den nordischen Staaten, seine Entwicklungsgeschichte und seinen Aufbau zu erklären. Aber es war noch nicht das Richtige. Denn geschäftliche Schriftstücke sind Ergebnisse von geistigen Vorgängen, nicht das unmittelbare Zeugnis der Vorgänge selbst. Da fehlen die Überlegungen, die gescheiterten Pläne, die Intrigen, das Hin und Her in den Gruppen, die nur nach außen geschlossen auftreten, es fehlt der Dreh – das Buch war eine halbe Sache. Die ›Weiße Rose‹ ist eine ganze. Auch in den ›Buddenbrooks‹, die ja auf etwas andres hinzielen, ist das Geschäftliche nur Hintergund. Herr Thomas Buddenbrook hat leichtsinnigerweise eine Ernte auf dem Halm gekauft, und die ist verhagelt … »Du lieber Gott!« würde Christian sagen, und er hätte nicht einmal so unrecht. Wir wollen mehr wissen, die Einzelheiten, alles.
Von den Unterhaltungsromanfritzen erfahren wir es nicht. Ihr Generaldirektor ist immer noch der große Mann, und kein Wort davon, wie der nun wieder in seiner Gruppe eingeschachtelt ist, wie er geschoben wird, wo ihn der Autor kaum schieben läßt, und wie die Ressorts sich durchkreuzen; kein Wort über die höchst zweifelhafte Rolle, die der Staat bei alledem spielt … kein Wort. Die meisten Kaufleute sind außerhalb ihres Shops und auch oft innerhalb ihres Ladens große Esel und viel kindlicher, als man glauben sollte. Aber so kindlich, wie es in diesen Romanen geschrieben steht, geht es bei ihnen denn doch nicht her.
Früher haben sich die Romanhelden nicht gewaschen – das zu erwähnen, galt als unpoetisch. Heute machen sie uns vor, wie sie ihr Geld ausgeben; wie sie es verdienen, wird leider nicht gesagt. Es sind Helden von des kleinen Sankt Moritz Gnaden, zweidimensionale Filmfiguren, die immerzu in Autos steigen und sich ihre Zigaretten nachdenklich auf der goldenen Zigarettendose zurechtklopfen, gutgebügelte Herren, bei denen man nur zu sehen bekommt, dass … aber nie zu sehen bekommt, wie … flächige Lebewesen aus Pappkarton geschnitten. Balzac ließ seine Puppen sämtliche Geschäfte machen, die zu gutem Ende zu führen ihm versagt war. Unsre Romanfabrikanten führen ihre Geschäfte zu gutem Ende, indem sie schlechte Romane teuer verkaufen. Und so gibt es viele literarische Geschäftsleute, aber es gibt – mit Ausnahme der ›Weißen Rose‹ von B. Traven – keinen Geschäftsmann in der Literatur.
Peter Panter
Die Weltbühne, 25.02.1930, Nr. 9, S. 319,
wieder in: Lerne Lachen.