Der Mittler
Er (Hermann Löns) erzählte mir, sein Verleger wäre gekommen, hätte ihm ein Gedicht von Rainer Maria Rilke gezeigt und gesagt: »So etwas müßten wir auch mal haben!«
›Meine Erinnerungen an Hermann Löns‹ von Elisabeth Löns-Erbeck
Diese Zeit steht im Zeichen des Kommissionärs – auch ihre Kunst wird von ihm regiert.
Wir unterscheiden zweierlei Arten von Vermittlern: den künstlerischen und den geschäftlichen Vermittler.
Von der Überschätzung des künstlerischen Mittlers – des Regisseurs, des Kapellmeisters – ist viel gesagt worden. Daß seine Schätzung gegen früher gestiegen ist, ist gerechtfertigt; die Werke des Theaters und des Kinos sind immer mehr zu falschen Kollektivkunstwerken geworden, bei denen jeder jedem dreinredet und zum Schluß keiner schuld sein will, wenn es ein Mißerfolg geworden ist. Bei einem Erfolg wollen es alle gewesen sein.
Der künstlerische Vermittler drängt das Werk und den Urheber des Werkes völlig an die Wand; das Werk wird Anlaß und Vorwand. Es ist ja ganz gut und schön, dass Beethoven und Shakespeare gelebt haben – vorneweg aber marschieren Karlheinz Martin und Furtwängler, Reinhardt und Bruno Walter. Der Vater des Werkes wird nicht gefragt, sein Wille gilt nichts, sein Kind ist nun im Waisenhaus, und der Vorstand wird das Kind schon schaukeln. Sie dichten auch mit, die Herren, sie lassen fort und fügen ein – sie haben Vaterstelle übernommen.
Zu dieser erfreulichen Gesellschaft der plurium gesellt sich der Schauspieler, der heute, wie in allen Zeiten bürgerlicher Schwäche und behördlicher Diktatur, maßlos überschätzt und in seinen Spitzenleistungen ebenso überzahlt wird. Das führt zum Startum, und da die meisten Schauspieler gar nicht imstande sind, ohne die Führung eines gebildeten Tyrannen in den Geist eines Stückes wirklich einzudringen, erleben wir die Vergewaltigung von Kunstwerken oder ihre Ersetzung durch Trapeze, die das garantieren, was jene eine Wirkung nennen. Der Satz Reinhardts: »Das Theater gehört dem Schauspieler«, ist gefährlich und noch dazu unrichtig: der Schauspieler sei Diener am Werk. (Freilich muß eines da sein.) Was der Schauspieler heute treibt, ist in fast allen Fällen Herausstellung der eignen Person, und das ist begreiflich; aber er tut es auf Kosten des Dichters, und das ist ungehörig. Sie scheren sich den Teufel um die Absichten des Dichters – wenns gut geht, um die des Regisseurs, der wiederum seinerseits auf das Opus pfeift, das er da in Szene setzt. Sie sprechen kaum die Sätze ihrer Rolle – »Da sage ich einfach … «, und dann kommt irgendeine Monstrosität, an die der Dichter nicht im Traum gedacht hat. Aber es ›wirkt‹. Es ist eine leerlaufende Schauspielkunst: in den meisten Fällen versteht der Geschäfts-Schauspieler nicht, was er spricht, es ist ihm auch völlig gleichgültig – er sagts aber schön auf. Früher hat man mit den Rrs gerollt; heute zerlegen sie den unverstandenen Text in tausend kleine und grobe Einzelwirkungen, grob noch in der Diskretion. So ist auch ihr übertrieben großer Einfluß auf das Repertoire und den Wortlaut der Stücke von größtem Übel. Der Star ist ein miserabler Dramaturg.
Aber so, wie der Urheber des dramatischen Werks auf den Schauspieler herunterkommt, passiert jeder Künstler eine andre Leidensstation, die weit, weit gefährlicher, peinlicher, übler und hemmender ist: er hat zuvor mit dem geschäftlichen Vermittler zu kämpfen.
Der Mann, der aus dem Kunstwerk eine Ware macht, also für den Produktionsprozeß in der Kunst unerläßlich notwendig ist, hat seit langem seine Grenzen überschritten – er maßt sich heute Rechte an, die ihm nicht zustehn. Der Kaufmann ist nicht mehr dienendes Glied in der Kette, nicht mehr gleichberechtigter Faktor auf dem weiten Weg zwischen Künstler und Publikum: er herrscht. Wie macht er das?
Er macht das elend schlecht.
Damit es hier nun keine Mißverständnisse gibt: ich glaube nicht daran, dass etwa die unentdeckten Talente haufenweise herumlaufen, nur, weil die Kaufleute grobkalibrige Dummköpfe sind. Das ist nicht richtig. Genies können untergehn; Talente kommen hoch – man braucht sie nämlich, und man ist meist froh, wenn man sie hat. Jeder Mann vom Bau, der den Posteingang einer Redaktion und eines dramaturgischen Büros kennt, wird mir beistimmen, wenn ich sage: Man brauchte das Zeug eigentlich gar nicht zu lesen; man tuts aus Pflichtbewußtsein, verloren hat man da nicht viel. Die Talente werden also nicht im Dunkel gelassen.
Der Kaufmann sieht, was ein Talent ist – er hörts mindestens von andern, er will ja den Erfolg, an dem er brennend interessiert ist. Aber er verdirbt die Talente. Das Schlimme ist, dass er, in der Literatur, am Theater und besonders im Film, den sogenannten Geschmack des Publikums zu kennen glaubt. Er kennt einen: den niedrigsten. Auf dem spekuliert er unaufhörlich herum – und er denkt und rechnet nur in Schablonen. Hat er einmal gesehen, dass im ›Potemkin‹ eine Szene gewirkt hat, in der man nur Soldatenstiefel in der Großaufnahme sieht, dann will er überall seine Soldatenstiefel haben. Er weiß, dass das vielbeschriene Dienstmädchen in Glauchau gern weint, nun will er seine weinerlichen Schmierszenen … und im niedersten Bezirk der Kunst hat er damit recht.
Solange sie noch zynisch sind, gehts ja an. Einer dieser gehauten Jungen hat neulich einmal gesagt: »Hier an dieser Stelle muß sich der Hufschmied verlegen herumdrehn und ein bißchen weinen … das hat das Publikum gern.« – »Warum hat das Publikum das gern?« fragte ein intelligenter Schauspieler. »Weils nicht wahr ist«, sagte der Direktor.
Ich möchte einmal sehen, was geschähe, wenn sich ein Künstler anmaßen wollte, dem Geschäftsmann in seine Bilanzen hineinzureden. Der würde mit Recht erwidern: »Herr, davon verstehen Sie nichts!« So ähnlich liegt der Fall umgekehrt: wenn man von den verschwindenden Ausnahmen jener absieht, die wirklich eine Nase für ihr Geschäft haben, dann bleibt ein Haufe ewig mißmutiger, aufgeregt-müder Menschen, vor denen sich der Künstler eine Frage zu stellen hat:
Mit welchem Recht kommandiert der Mann hier eigentlich herum?
Weil er Geld in das Unternehmen gesteckt hat? Weil er geerbt hat? Weil er nun einmal da ist?
Wie sie in den Betrieb kommen, ist nicht immer klar. Welche anmaßenden Ansprüche sie erheben, ist lächerlich.
Ich habe in zwanzig Jahren Literaturarbeit allerhand gesehn. Fast immer saß mir da ein Kaufmann gegenüber, der Geld mit einer Sache verdienen wollte, von der er nicht viel wußte. Er wußte nur das Gröbste, und darauf war er sehr stolz. Fast immer haben wir mit Leuten zu tun, die vor allem nichts riskieren wollen, und das darf ich um so klarer aussprechen, als sie mich nicht schädigen, denn ich will nichts von ihnen. Sie gehen die breit ausgetretenen Bahnen, und dann wundern sie sich, wenn das Publikum nicht mitgeht. Macht einer einen Sportfilm, und hat der Erfolg, dann machen sie, Mann für Mann, Sportfilme, und zerstören damit die eigne Konjunktur, weil der Zuschauer diese Art Filme sehr bald satt bekommt. Und man muß sich vor solchen Verlegern, vor solchen Theaterdirektoren, vor diesen Filmkaufleuten nur immer fragen:
Ja, haben denn diese Männer so viel Erfolg, dass sie uns rechtens auf die Schulter klopfen dürfen, mit der Zigarre im Mund, und dem berühmten: »Lieber Freund, glauben Sie mir … «? Ich glaube ihnen nicht; dazu gehen mir zuviel von ihnen pleite.
Sie machen aus ihren mehr oder minder kümmerlichen Bildungsbrocken das Maß aller Dinge. Sie halten ihren meist klobigen Verstand für das einzig mögliche Fundament, daher denn das von ihnen propagierte Kunstwerk sehr oft nicht über ein gewisses Niveau herauskommen kann, nämlich das ihre. Und das ist nicht hoch. Und wenn sie selbst etwas mehr Verstand und Bildung haben: wie feige ist diese Gesellschaft!
Fünf Proteste, und die Hosen sind voll. Etwas durchsetzen? Etwas der Masse aufzwingen? Ah, gar keine Spur. Und dabei spreche ich jetzt nicht etwa von gewagten und wilden Experimenten, sondern nur von harmlosen Abweichungen aus der Linie, nicht von Möglichkeiten, die einer gern ausprobieren möchte, nicht von Neuem.
Sie bestehen aus Angst. Sie fürchten die Behörden, sie fürchten das Publikum und die Presse, sie fürchten die Frauen und die Berufsstände … und so schleift sich denn das, was sie produzieren, so unerträglich ab, dass es einem zermanschten Brei gleicht. Die Ufa ließ einmal triumphierend verkünden, sie habe den ›Blauen Engel‹ erst einer Delegation des Preußischen Philologen-Verbandes vorgeführt, die denn auch begeistert gewesen sei (weil es ja ein solches Lehrerschicksal nicht gibt). Heinrich Mann hat das Buch, wenn ich nicht irre, keinem Verband vorgelegt.
Was sie machen, sieht, um das Wort eines Arbeiters anzuwenden, der vor dem Denkmal der Kaiserin Augusta stand: »Es sieht so eenjal aus.« Es ist alles dasselbe, und man mag gar nicht mehr hinsehn. Und das wundert einen nicht, wenn man weiß, wie die aussehn, die es machen.
Sie sind nicht nur feige – sie sind, was damit eng zusammenhängt, auf das höchste unsicher. Es ist meine feste Überzeugung: wenn man einem von ihnen einen großen amerikanischen Schlager im Manuskript vorlegte, und zwar vor der amerikanischen Uraufführung: sie nähmen ihn nicht. Aber wenn es dann ein Schlager geworden ist, dann kaufen sie ihn für teures Geld. Das rührt daher, dass ihnen keine Vision des Werkes und ihrer Absichten vorschwebt. Und wenn ihnen einer vorher ihren eignen Film zeigen könnte, wie er nun nach allen ihren Tadeln, Nörgeleien, Einsprüchen und Schwierigkeiten werden wird; sie nähmen ihn wieder nicht und lehnten ihn ab. Denn was ein andrer anbringt, erscheint ihnen a priori schlecht. Solch Unternehmer ist unsicher und muß unsicher sein, denn er weiß nicht, was er will. Er kann es nicht wissen, denn er ist niemand. Er bedeutet für die Kunst selbst wenig.
Macht es Vergnügen, dieser Sorte etwas anzubieten? sie auf etwas aufmerksam zu machen? Es macht keinen Spaß; es ist uninteressant. Sie sagen auf alle Fälle zunächst einmal: Nein. Sie ermutigen niemand, sie dopen niemand – sie drücken automatisch und verbreiten schlechte Laune um sich und Nervosität, die aber auch gar nichts mit dem ›Tempo der Zeit‹ zu tun hat, sondern alles mit ihrer schlechten Verdauung, ihrer Angst und ihrer Unsicherheit.
Und dann muß man sehen, was sie machen!
Und dann muß man sehen, was sie bejahen, was sie für gut halten, was sie gern haben wollen! Es ist in den meisten Fällen das Plumpste, das Dickste, das Platteste – das geht ihnen ein wie Butter.
Es bleibe hier ausdrücklich außer Betracht, was an dieser Frage eindeutig politisch ist. Daß aber diese aufgedonnerten Unternehmungen der Kunstbranche, wie sie gebacken und gebraten sind, dem Künstler grundsätzlich das Verspielte austreiben, ihm im Werk die Stille nehmen, die Feinheit und das Kräftige dazu – das ist bitter. Was bleibt? Das Schema bleibt.
Und das ist so, weil diese Art Kaufmann in seinem Betrieb eine Rolle spielt, die ihm nicht zukommt. Zu diesen Kunstkaufleuten gehören übrigens genau die, die sich durch diese Zeilen nicht getroffen fühlen – grade sie. Wie ja ein Halbgebildeter immer gefährlicher ist als ein Kuhkopf.
Natürlich soll der Kaufmann, der sein Geld aufs Spiel setzt, eine Schlußentscheidung abgeben; darüber ist ja nicht zu sprechen. Aber er delegiere seine Macht und höre auf Leute, die das gelernt haben, was er treibt, ohne es gelernt zu haben. Es kauft ja auch keiner Dachpappe ein, ohne selber in dieser Branche Lehrling gewesen zu sein oder ohne sehr gute Fachleute gefragt zu haben, sonst meldet er eben Konkurs an.
Diese Brüder da aber haben zu allem andern auch noch einen geistigen Hochmut, der durch die Komplimente der Künstler, die sie in Sold und Bewegung setzen, gefördert wird, und das ist schade. Es ist schade, dass ihnen nicht einmal jemand sagt:
»Käse verkaufen ist eine nützliche und vernünftige Sache. Auch dazu gehören Verstand, Schnelligkeit der Entschlußkraft, Kombinationsgabe und Überblick. Den hat aber der Kaufmann von heute nicht gepachtet – viele Menschen haben diese Gaben. Du jedoch, du Kunstkaufmann, bist gar keiner; du bist nur ein verrutschter Konfektionär, entlaufen aus einem Getreidegeschäft oder aus dem Tuchhandel oder Gott weiß woher. Du bist nicht legitimiert, mit uns so umzuspringen – du hast nur das Geld, es zu tun. Begegne mir im Mondschein.«
So spricht kaum einer, weil fast jeder diese Vermittler braucht. Es darf gesagt werden, dass sie ihre Stellung überschätzen und überschreiten und dass sie ihre Arbeit lange nicht so gut tun wie jene, deren Arbeit sie vermitteln.
Vermitteln ist nötig; aber es ist in den seltensten Fällen eine produktive Sache. Diese Tätigkeit wird überschätzt. Wesentlich für ein Kunstwerk sind Urheber und Empfänger. Was dazwischen liegt, ist ein notwendiges Übel.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 11.11.1930, Nr. 46, S. 718,
wieder in: Lerne Lachen.