Abteilung VIII.
Über Freiheit und Notwendigkeit.
Abschnitt I.
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Die Menge, welche die Dinge nach ihrer ersten Erscheinung beurteilt, schreibt die Unsicherheit des Erfolges der Ungewissheit in den Ursachen zu; deshalb sollen sie in ihrem Einfluss manchmal fehlgreifen, wenn auch kein Hindernis ihrer Tätigkeit entgegentritt. Aber Philosophen bemerken, dass beinah in allen Gebieten der Natur eine große Mannigfaltigkeit von wirkenden Kräften und Prinzipien besteht, welche wegen ihrer Kleinheit oder Entfernung nicht bemerkt werden, und erkennen es wenigstens als möglich an, dass der Unterschied der Erfolge nicht von einer Zufälligkeit in der Ursache, sondern von den geheimen Wirkungen der Gegenursachen herrührt. Fortgesetzte Beobachtung verwandelt diese Möglichkeit in Gewissheit; man bemerkt bei genauer Untersuchung immer, dass der unterschied der Erfolge einen Unterschied in den Ursachen verrät und aus deren wechselseitiger Hemmung entspringt. Ein Bauer kann, wenn die Uhr stehen bleibt, keinen Grund dafür angeben, als dass sie meist nicht richtig gegangen sei; aber der Sachverständige weiß, dass dieselbe Kraft der Feder oder des Pendels immer dieselbe Kraft auf die Räder übt, und dass diese gewohnte Wirkung hier vielleicht nur wegen eines Sandkornes ausbleibt, welches die Bewegung aufhält. Aus der Beobachtung verschiedener gleichlaufender Fälle entnehmen die Philosophen den Grundsatz, dass die Verknüpfung zwischen allen Ursachen und Wirkungen gleich notwendig ist, und dass die anscheinenden Ausnahmen in einzelnen Fällen nur von geheimen Gegenwirkungen anderer Ursachen herkommen.
Wenn z.B. bei dem menschlichen Körper die gewöhnlichen Zeichen von Gesundheit und Krankheit das Urteil täuschen; wenn die Medizin nicht in gewöhnlicher Weise wirkt; wenn unregelmäßige Erfolge sich an eine Ursache knüpfen, so ist der Philosoph und Arzt nicht darüber verwundert; sie bestreiten deshalb im Allgemeinen nicht die Notwendigkeit und Gleichförmigkeit der Prinzipien, welche das tierische Leben regieren. Sie wissen, dass der menschliche Körper eine außerordentlich verwickelte Maschine ist; dass viele geheime Kräfte in ihm lauern, von denen man keine Vorstellung hat; dass er in seiner Wirksamkeit oft unregelmäßig erscheinen muss, und dass deshalb diese unregelmäßigen Folgen, welche sich äußerlich zeigen, nicht beweisen, dass die Naturgesetze nicht die größte Regelmäßigkeit in ihrer inneren Wirksamkeit und Wirkung innehalten.
Will der Philosoph folgerecht sein, so muss er dasselbe von den Handlungen und dem Wollen verständiger Wesen gelten lassen. Die unregelmäßigsten und unerwartetsten Entschlüsse eines Menschen werden von dem verstanden, der alle Einzelheiten seines Charakters und seiner Lage kennt. Ein gutmütiger Mensch gibt eine mürrische Antwort; aber er hat Zahnschmerzen oder hat noch nicht zu Mittag gegessen. Ein dummer Mensch zeigt eine ungewohnte Lebhaftigkeit in seinem Benehmen; aber es ist ihm plötzlich etwas Angenehmes begegnet. Selbst wenn für eine Handlung zu Zeiten keine genügende Erklärung, weder von dem Handelnden selbst noch von Andern gegeben werden kann, so bleibt die Regel, dass die Charaktere der Menschen bis zu einem gewissen Grade unbeständig und unregelmäßig sind. Dies ist gewissermaßen der feste Zug in der menschlichen Natur; insbesondere gilt er für Solche, welche keine Regel in ihrem Benehmen festhalten, sondern sich in einer fortlaufenden Reihe von Eigensinn und Unbeständigkeit bewegen. Trotz dieser anscheinenden Unregelmäßigkeit können die inneren Prinzipien und Beweggründe regelmäßig wirken; wie man ja auch bei dem Winde, dem Regen, den Wolken und anderem Wechsel des Wetters feste Gesetze für ihr Eintreten voraussetzt, die nur der menschliche Scharfsinn und die Beobachtung nicht leicht entdecken können.
So zeigt sich, dass die Verbindung zwischen Beweggrund und Handeln ebenso regelmäßig und gleichförmig ist wie die zwischen Ursache und Wirkung in allen Gebieten der Natur. Diese regelmäßige Verbindung wird von Jedermann anerkannt und ist weder im Leben noch in der Philosophie bestritten worden. Da nur frühere Erfahrung die Unterlage für alle Schlüsse auf die Zukunft abgibt, und da man annimmt, dass Gegenstände, die man immer verbunden angetroffen hat, auch immer verbunden bleiben werden, so ergibt sich von selbst, dass diese wahrgenommene Gleichförmigkeit des menschlichen Handelns die Quelle ist, ans der wir die Schlüsse für dasselbe ableiten. Um indes die Untersuchung nach allen Seiten abzuschließen, will ich zu diesem letzten Punkte noch Einiges bemerken.
Die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen in allen Gemeinschaften derselben ist so groß, dass kaum irgend eine menschliche Handlung in sich selbst so abgeschlossen und ohne Beziehung auf die Handlungen Anderer ist, dass ohne diese die Absicht des Handelnden erreichbar wäre. Der ärmste Handwerker, der für sich allein arbeitet, hofft mindestens auf den Schutz der Obrigkeit, um ihm den Genuss der Früchte seiner Arbeit zu sichern. Ebenso erwartet er, dass er, wenn er seine Waren zu Markte bringt und billige Preise stellt, Käufer finden werde und dass er mit dem gelösten Gelde Andere wird bestimmen können, ihn mit dem, was er zu seinem Lebensunterhalte bedarf, zu versehen. Je weiter die Menschen ihre Tätigkeit ausdehnen, und je verwickelter der Verkehr mit Andern wird, desto größer wird bei ihren Plänen die Mannigfaltigkeit der Handlungen, welche nach den besonderen Beweggründen mit den ihrigen sich verbinden sollen. Bei allen diesen Übergängen fasst man seine Maßregeln nach früheren Erfahrungen, wie bei den Erwägungen rücksichtlich äußerer Gegenstände, und man ist überzeugt, dass die Menschen, ebenso wie die Elemente in ihrer Wirksamkeit genau so bleiben werden, wie man sie immer gefunden hat. Ein Fabrikant rechnet auf die Arbeit seiner Leute für die Fertigung seiner Waren ebenso sicher wie auf die Wirksamkeit der Werkzeuge, welche er dabei benutzt, und er würde ebenso überrascht sein, wenn er dort in seinen Erwartungen getauscht würde. Kurz, dieses Schließen aus Erfahrung auf die Handlungen Anderer dringt so in das Leben ein, dass Niemand im wachen Zustande auch nur einen Augenblick davon ablässt. Kann man daher nicht mit Recht behaupten, dass alle Menschen in der Lehre von der Notwendigkeit nach der obigen Definition und Erläuterung derselben immer übereingestimmt haben?
Selbst Philosophen haben in diesem Punkte keine, von der gemeinen abweichende Ansicht; denn abgesehen davon, dass beinahe jede Handlung ihres Lebens von dieser Ansicht ausgeht, ist sie auch für jede tiefere Untersuchung in den Wissenschaften unentbehrlich. Was sollte aus der Geschichte werden, vertraute man nicht der Wahrhaftigkeit des Geschichtsschreibers nach der Erfahrung, die man über die Menschen besitzt? Wie könnte die Politik eine Wissenschaft sein, wenn die Gesetze und Verwaltungsformen nicht einen gleichmäßigen Einfluss auf die Gesellschaft übten? Wo. bliebe die Grundlage der Moral, wenn bestimmte Charaktere nicht die sichere und bestimmte Macht hätten, bestimmte Entschlüsse hervorzurufen, und wenn diese Entschlüsse nicht eine regelmäßige Wirksamkeit auf die Handlung hätten? Und mit welchem Rechte könnte man die Kritik über einen Dichter oder ästhetischen Schriftsteller üben, wenn das Benehmen und die Gesinnungen seiner Personen nach ihren Charakteren und Verhältnissen weder für natürlich noch unnatürlich erklärt werden könnten? Man kann sich daher weder mit einer Wissenschaft noch mit einer Handlung befassen, ohne die Lehre von der Notwendigkeit und die Schlussfolgerungen vom Beweggrunde auf die Handlung und vom Charakter auf das Benehmen anzuerkennen.
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